Kuratorin über Louise Bourgeois: „Anziehend und unheimlich zugleich“
Als eine Pionierin der Installationskunst passt Louise Bourgeois gut in den Schinkel Pavillon, meint die künstlerische Leiterin Nina Pohl.
taz: Frau Pohl, was an der Louise-Bourgeois-Ausstellung im Schinkel Pavillon am meisten überrascht, ist der Eindruck, die Arbeiten seien geradezu für die Räume gemacht worden. Sowohl unten in der Schinkel Klause wie oben im Pavillon. Haben Sie das schon geahnt, dass das so gut funktionieren würde?
Nina Pohl: Ja, absolut. Ich denke bei jeder Ausstellung daran, wie die Werke in diesem exzentrischen DDR-Bau funktionieren werden. Mir war von Anfang an klar, dass ich oben im gläsernen Oktagon eine der berühmten Zellen von Louise Bourgeois aufstellen möchte. Die Arbeit „Peaux des lapins, chiffons ferrailles à vendre“, die da jetzt steht, ist eine Art Käfig, der sich perfekt in den Pavillon einfügt. Ich fand den Effekt, dass der Eindruck einer Zelle in der Zelle entsteht, interessant.
Und was sieht man in dieser Zelle?
Da hängen Ketten, Stoff- und Tüllsäcke, die wie Hautfetzen oder körperliche Organe anmuten. Marmorsteine sind aufeinandergeschichtet und sehen aus wie eine Wirbelsäule. Diese Zellen gelten als emotionale Erinnerungsräume und sind die komplexesten Werke, die Louise Bourgeois erschaffen hat.
Die Schinkel Klause war in der DDR-Zeit ein bekanntes Restaurant. Jetzt dient sie als Ausstellungsraum. Warum funktioniert Louise Bourgeois auch hier?
Das hängt vielleicht mit dem Zeitkolorit zusammen. Die Kunstwerke korrespondieren nahtlos mit den Wandbemalungen und Paneelen von damals. Die Inhalte der gläsernen Vitrinen sind eine Fortsetzung von Bourgeois’ Auseinandersetzung mit Geburt und Tod, Bewusstsein und Unterbewusstsein, Architektur und dem Organischen. Und dann gibt es in den alten, heruntergerockten Küchenräumen der ehemaligen Schinkel Klause noch weitere fragile Skulpturen zu sehen, wie etwa eine ihrer berühmten Spinnen. Die gesamte Installation wirkt wie ein Gruselkabinett, anziehend und unheimlich zugleich.
Louise Bourgeois ist 2010 mit 98 Jahren gestorben. Was macht es interessant, ihre Arbeit heute auszustellen?
Louise Bourgeois gilt ja als eine Leitfigur der feministischen Kunst. Und feministische Themen werden aktuell auch von einer jungen Künstlergeneration neu verhandelt. Da schien es mir wichtig, sie als eine Pionierin der Installationskunst vorzustellen. Installation war ja ein Medium, mit dem Künstlerinnen die bekannten Erwartungen an das immer maskulin gedachte bildhauerische Werk unterliefen. Es dauerte allerdings, bis das im Kunstbetrieb ankam. Louise Bourgeois hatte ja bekanntlich erst im zarten Alter von 80 Jahren ihre erste große Ausstellung, mit der sie sofort international bekannt wurde. Mit 90 war sie dann eine Ikone.
„Louise Bourgeois. The Empty House“, läuft noch bin zum 29. Juli im Schinkel Pavillon, Berlin. Der von der Künstlerin Nina Pohl geleitete Kunstverein versteht sich als Plattform zur Förderung zeitgenössischer Skulptur, Installation und Medienkunst. Der Name des Ausstellungsortes leitet sich von seinem Standort her, dem 1969 von dem Architekten Richard Paulick erbauten Pavillon im Park des Kronprinzenpalais.
Sie selbst hat sich aber nie als feministische Künstlerin gesehen, oder?
Ja, das stimmt. Louise Bourgeois war der Ansicht, dass die Themen, die in ihrem Werk zum Ausdruck kommen, geschlechtsunspezifisch sind. Jedes Objekt in der Ausstellung aber hat Symbolcharakter: Immerhin hat Louise Bourgeois 30 Jahre lang eine Psychoanalyse gemacht. Sigmund Freud gehört zu ihrem Werk.
Wie gelingt es einem Kunstverein wie dem Schinkel Pavillon, eine Ausstellung mit Werken von Louise Bourgeois zu organisieren?
Der Schinkel Pavillon ist zwar ein kleines Ausstellungshaus, hat sich aber in den letzten Jahren ein internationales Renommee erworben. Da die Arbeiten von Louise Bourgeois sonst nur in sterilen großen Museen zu sehen sind, war unser Ausstellungskonzept in unseren geschichtsträchtigen Räumen etwas völlig Neues. Dieses Konzept hat auch den Präsidenten des Louise Bourgeois Estate begeistert.
Bleibt aber die Frage nach Versicherungskosten, Garantien für Kunstwerke. Wie hat der Kunstverein das gestemmt?
Ja, das ist richtig. Die Sicherheitsanforderungen waren bei Louise Bourgeois immens. So kannten wir das bislang noch nicht. Die Leihgeber forderten monatelange Klimaüberwachung, Condition-Reports, Restauratoren und Kuriere, die mit den Werken mitreisten. Bei den Leihverträgen und Sicherheitsanforderungen war vor allem Überzeugungskraft und Verhandlungsgeschick gefragt. Irgendwie haben wir das alles geschafft und sind jetzt sehr stolz, in Berlin diese Ausstellung zu zeigen.
Gerade ist der aktuelle und hochgepriesene Film „Augenblicke“ von Agnès Varda in den Kinos angelaufen. Varda wurde diese Woche 90 Jahre alt. Ihre im hohen Alter ungebrochene Lust, weiterzuarbeiten, erinnert mich an Louise Bourgeois, aber auch ihre Erscheinung. Stehen die beiden nicht paradigmatisch für den weiblichen Künstler, deren künstlerische Potenz länger währt als die der Männer?
Ja, beide Frauen teilen in der Tat die ungebrochene Lust, einfach weiterzuarbeiten. Viele Menschen sind noch im hohen Alter produktiv, Frauen wie Männer. Louise Bourgeois’ Karriere ist deshalb so beispiellos, weil sie, ohne vom Kunstmarkt überhaupt wahrgenommen zu werden, trotzdem jahrzehntelang unbeirrt gearbeitet hat.
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