Proteste gegen Zeltunterkunft in Bremen: Bewohner wehren sich
Nach Protesten gegen die Flüchtlingsunterbringung in einer Zeltstadt neben dem Stahlwerk in Bremen gibt sich die Sozialsenatorin gesprächsbereit.
Ab 10 Uhr hatten Aktivist*innen und Geflüchtete mit Transparenten und Schlafsäcken den Eingang der Behörde belagert. „Shut down!“-Rufe dröhnten über den Vorplatz vorm Tivolihochhaus. Schon am Dienstag hatte eine Demo die Schließung der Einrichtung neben dem Stahlwerk gefordert. Im Gespräch bekräftigte die Senatorin die Absicht, die Unterkunft aufzugeben. Unklar ist bislang der Zeitpunkt. Die sofortige Schließung sei ausgeschlossen worden, sagte Gundula Örter, Sprecherin des Aktionsbündnisses, nach der Unterredung.
Einig waren sich beide Seiten, dass es weitere Gespräche über die umstrittene Altersfeststellungen durchs Jugendamt geben muss. Besonders dem Vorwurf, dass das Jugendamt Ausweisdokumente der Botschaft Guineas nicht anerkennt, will das Sozialressort nachgehen. „Das müssen wir aufklären“, sagte der Sprecher der Senatorin, Bernd Schneider.
Als Zeichen des Protests hatten die Bewohner der Zelte Essen vor der Sozialbehörde ausgekippt: gummiartige Fladenbrote, zuckerstarre Marmelade und ein paar Äpfel. „Das kriegen wir jeden Tag“, klagte ein Bewohner, „morgens und abends.“ Keine Rücksicht wird auf den Fastenmonat Ramadan genommen. Hier will die Sozialsenatorin sofort handeln: „Der Träger, die Innere Mission, hat dem Caterer ein Ultimatum gesetzt“, so Schneider. „Wenn das Essen bis dahin nicht besser wird, kann der Träger ihm kündigen.“
Im Mai 2016 wurde in der Gottlieb-Daimler-Straße in Nachbarschaft der Stahlwerke eine Notunterkunft aus Kunststoff-Metall-Hallen eröffnet. In den Hütten können bis zu 360 Menschen untergebracht werden. Betreiber ist die Innere Mission.
Zur Landesaufnahmestelle umgewidmet wurde sie im Herbst 2017. Seither bringt Bremen dort unbegleitete minderjährige Geflüchtete unter, die von der Behörde für Erwachsene gehalten werden.
Momentan sind in dem Lager 90 junge Männer einquartiert ‒die meisten kommen aus Westafrika.
Mit den Gesprächen reagiert die Senatorin auf eine ganze Woche des Protests. So waren am Dienstag etwa 300 Unterstützer*innen dem Demo-Aufruf des Aktionsbündnisses gefolgt. Vor dem Hauptbahnhof protestierten sie gegen die aus ihrer Sicht menschenunwürdigen Bedingungen der Unterbringung. Dort sind derzeit etwa 90 junge Flüchtlinge einquartiert. Sie geben an, minderjährig zu sein, doch das Jugendamt hält sie für Volljährige.
„Aus behördlicher Sicht sind das junge erwachsene Männer und für die gilt eine ganz andere Rechtslage als für Jugendliche“, sagt Schneider. Die Bewohner akzeptieren das Ergebnis der Altersfeststellung des Jugendamts jedoch nicht. „Fast alle sind im Widerspruchsverfahren“, so Schneider. Bei jedem zweiten Fall haben die Gerichte im Sinne der Jugendlichen entschieden. Das Jugendamt aber zieht dagegen dann oft in die nächste Instanz.
Laut Örter ist der Schaden immens, den man schutzbedürftigen Jugendlichen mit einer solchen Unterbringung antut. Wenn die Jungen angeben, minderjährig zu sein, wäre es besser, sie im Zweifelsfall auch als solche aufzunehmen. „Es gibt kein Verfahren für eine sichere Altersfestsetzung“, betont Örter.
Nasen- und Mundbluten
Die Zeltstadt ist schon länger umstritten. Die schlechten Wohnbedingungen verletzten aus Sicht Örters das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit. Besonders schädlich sei das Heizungssystem. „Es trocknet die Luft aus, macht Kopfschmerzen und verursacht Nasenbluten, bei manchen Jungs sogar Mundbluten, weil es die Schleimhäute extrem austrocknet“, sagte Örter. Einige Bewohner seien deshalb sogar in ärztlicher Behandlung.
Die Sozialbehörde hält die Unterbringung hingegen für zumutbar, will aber bis spätestens Winter für Abhilfe sorgen. Zu lange, finden die Unterstützter*innen. Denn die Jugendlichen könnten schließlich jederzeit woanders untergebracht werden. „Die Aufrechterhaltung des Lagers ist eine Schikane“, sagte die Bürgerschaftsabgeordnete Sofia Leonidakis (Die Linke). Für das Klagen gegen die Altersfeststellung würden sie dadurch quasi bestraft. Denn den Jugendlichen würden in der Zeit des Verfahrens Bildung und gute Wohnbedingungen vorenthalten. „Dabei gibt es überhaupt keine sachliche Not“, so Leonidakis.
Dem widerspricht Schneider. Man habe zwar immer wieder freie Plätze in anderen Unterkünften, aber keine ganze Einrichtung, die den Ansprüchen einer Erstunterkunft gerecht wird. „Richtigen Leerstand gibt es nicht.“
Viel zu spät
„Bullshit“, nennt das Leonidakis. Ende März seien erst feste Unterkünfte mit 500 Plätzen geschlossen worden. „Da hätte man die Jugendlichen ohne großen Aufwand unterbringen können“, sagt Leonidakis. Zudem könne man Unterkünfte sehr leicht in Erstunterkünfte umfunktionieren. Sie bedauert die „verlorene Zeit“ für die Betroffenen. Die Zukunftschancen der Bewohner würden so langfristig verschlechtert.
Tatsächlich hat Michael aus Guinea bereits viel Zeit verloren. Mit 16 Jahren verließ er seine zweite Heimat Gambia, in der er bei seinem Onkel auf einem Bauernhof Schutz fand. Die Schule hat er nie besucht, sondern stattdessen auf dem Hof gearbeitet. Ein Jahr saß er in Libyen fest, dann noch einige Monate in Italien, bis er nach Deutschland floh. In der Daimler-Straße wohnt er seit sieben Monaten. Seit April ist er wirklich volljährig.
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