Razzia gegen Schleusernetzwerk: Erfahrene Fälscher
Eine Sicherheitsfirma soll Moldawier mit falschen Pässen versorgt und illegal beschäftigt haben. Gibt es Verbindungen zur Reichsbürgerszene?
Montags und donnerstags hat das Bürgerbüro der Samtgemeinde Alte Marck geöffnet, jeweils von 16 bis 19 Uhr. Ein Termin mit der vermeintlichen Gemeindeverwaltung um die angebliche Bürgermeisterin Ellen M. kann auch telefonisch vereinbart werden. Bürgernah und niedrigschwellig gibt sich die selbsternannte Gemeinde in Arendsee in Sachsen-Anhalt.
Auf der Webseite der „Gebietskörperschaft und Weltanschauungsgemeinschaft“ prangt rechts oben ein Bekenntnis: „Wir sind im Netzwerk gegen Nazis! Reichsbürger“. An anderer Stelle steht: Die Menschen der Samtgemeinde hätten zu keiner Zeit gegen die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt oder gegen das Grundgesetz verstoßen. „Wir fordern die Einhalt des Grundgesetzes … und nicht [die] kreative Auslegung!“
Am Montagabend stürmen allerdings Polizisten das Büro in Arendsee. Es geht um Ellen M. Der Vorwurf: Sie soll die Buchhaltung für eine Sicherheitsfirma gemacht haben, in der mit falschen Pässen eingeschleuste Moldawier illegal beschäftigt wurden. Parallel wurden die Räume der Zweigstelle in Hamburg durchsucht, am nächsten Morgen gibt es Razzien in den Unterkünften der mutmaßlich eingeschleusten Personen. 800 Polizisten sind an der Aktion beteiligt.
In Hamburg werden drei hauptverdächtige Männer vorläufig festgenommen. Nach taz-Informationen befindet sich einer von ihnen mittlerweile wieder auf freiem Fuß, die anderen beiden wurden in Untersuchungshaft genommen. Ermittelt wird wegen des Verdachts auf gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern. Die moldawischen Staatsangehörigen sollen mit gefälschten rumänischen Personalausweisen ins Land gebracht und dann illegal im Sicherheitsgewerbe beschäftigt worden sein. Einem Polizeisprecher zufolge wurden sie „mit Niedriglöhnen und hohen Mieten“ ausgebeutet. Bei den Durchsuchungen seien nicht nur Bargeld, Unterlagen und Datenträger beschlagnahmt worden, sondern auch Gold sowie scharfe Munition.
Ellen M. ist in dem Verfahren Zeugin, nicht Beschuldigte. Die von der Staatsanwaltschaft Lüneburg geführten Ermittlungen sollen zeigen, wie eng die Verbindungen zwischen dem mutmaßlichen Schleusernetzwerk und der Reichsbürgerszene sind – und klären, ob etwa auch Geld in die Bewegung geflossen ist.
Vermeintliche Abgrenzung
Auf der Homepage der Samtgemeinde steht in holpernden Sätzen, dass man sich von der Reichsbürgerszene abgrenze: „Die Samtgemeinde Alte Marck die hiermit öffentlich bekannt gibt: Das sich die Samtgemeinde Alte Marck … von der sogenannten ,REICHSBÜRGER' Bewegung distanziert.“
Dieser Darstellung widerspricht jedoch die Selbstbezeichnung, die man ebenfalls online findet: „Samtgemeinde Alte Marck in der Preußischen Provinz Sachsen Staatliche Gebietskörperschaft und Weltanschauungsgemeinschaft in den Gemarktungen der Alten Marck nach Deutschem Recht in Deutschland als Ganzes. Gebietsstand 31. 7. 1914“. Ganz offensichtlich besteht aus Sicht der Samtgemeinde ein Reich als rechtliche Form weiterhin. Das ist seit Jahrzehnten eine Position der sehr heterogenen Reichsbürgerbewegung.
Versucht man die Gemeinde anzurufen, sagt eine freundliche Computerstimme: „Der von Ihnen gewünschte Teilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar.“ Kontaktiert man die beschuldigte Sicherheitsfirma, die die gleiche Anschrift führt wie das Bürgerbüro der Samtgemeinde Alte Marck, nimmt ein Mann ab und sagt, man wolle sich nicht äußern, da es sich um ein laufendes Verfahren handle. Dann legt er auf.
Mehr als 18.000 Personen rechnet das Bundesamt für Verfassungsschutz mittlerweile dem Milieu der Reichsbürger zu. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl jener enorm an, die an das Fortbestehen eines Deutschen Reichs in den unterschiedlichsten Grenzen glauben oder die Bundesrepublik als eine Firma – „BRD GmbH“ – wahrnehmen. Diese Ideen, mit denen auch begründet wird, keine Steuern, Bußgelder oder Gebühren zahlen zu wollen, haben sich aber nicht verstärkt verbreitet. Die Sicherheitsbehörden schauen nur genauer hin.
Polizisten erschossen
Der Anlass des Umdenkens war der Tod eines Polizisten im fränkischen Georgensgmünd. Der selbsternannte Reichsbürger Wolfgang P. erschoss ihn im Oktober 2016 während einer Razzia. Seit jenem Tag bewerten die Sicherheitsorgane die Anhänger dieser Bewegung nicht mehr nur als „Spinner“, „Irre“ oder „Papierterroristen“, die Verwaltungen, Behörden und Gerichte mit seitenlangen Schreiben oder Anträgen herausfordern. Seit dem Schuss gehen bundesweit die Sicherheitsorgane energisch gegen die Bewegung vor – und auch die Medien berichten nun anders.
Einem vertraulichen Lagebericht des Bundeskriminalamts zufolge haben Reichsbürger von 2015 bis Mitte 2017 mehr als 10.500 Straftaten verübt. Nach einen Bericht aus dem Jahr 2017 kam es damals zu 750 Gewaltdelikten. Mehr als 700 Taten richteten sich gegen Mitarbeiter von Behörden.
Die Bewegung, so schlagen Experten vor, solle wegen ihrer Heterogenität in vier Milieus unterteilt werden: 1. Rechtsextreme, die eine Reichsidee verfolgen, 2. Reichsbürger, die kommissarische Reichsregierungen gründen, 3. Selbstverwalter, die eigene Staaten, Königreiche oder Gemeinden ausrufen, sowie 4. Souveränisten, die die Bundesrepublik nicht als souveränen Staat anerkennen und sich für ein anderes, souveränes Deutschland einsetzen.
Urkunden gegen Gebühren
Die „Samtgemeinde Alte Marck“ ordnet Martin Burgdorf den Selbstverwaltern zu. Der Experte vom Verein „Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit“ aus Magdeburg sagt, die selbsternannte Gemeinde, deren harter Kern etwa dreißig Personen umfassen soll, habe seit ihrer Gründung 2015 an lokalem Zuspruch gewonnen. Die „Gemeindevorsteherin“ Ellen M. stellt gegen Gebühr Gewerbescheine, Trauungsbescheide und Geburtsurkunden aus. Mehrere Gewerbetreibende aus Arendsee hätten mittlerweile ihr Gewerbe abgemeldet und zahlten keine Gewerbesteuern mehr, sagte ein Sprecher des Landesverfassungsschutzes jüngst auf einem Fachtag zum Thema Reichsbürger.
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Die Samtgemeinde ist eine der wenigen Strukturen der Reichsbürgerbewegung, denen eine Frau vorsteht. Rund 80 Prozent der Bewegung sind Männer, das Durchschnittsalter liegt bei 50 Jahren. So intensiv wie die Gruppe in Arendsee betreiben nur wenige Organisationen der Reichsbürgerszene den Ausbau einer parallelen kommunalen Verwaltungs- und Wirtschaftsstruktur – das macht sie zu einer besonderen Erscheinung in der Bewegung.
Aber auch in Arendsee kam es zum Streit: 2016 legten Mitglieder ihre Ämter nieder, einzelne „Gemeinden“ verließen die Samtgemeinde. Ein Vorwurf: Der harte Kern um M. bemühe sich vor allem um die eigenen Gewinne. Sollte sich der Verdacht von Polizei und Staatsanwaltschaft bestätigen, könnten die Gelder auch noch aus ganz anderen Quellen geflossen sein. Erfahrung im Fälschen von Papieren dürfte zumindest vorhanden sein.
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