Bremer Bildungspolitik: Eine Frage des Geldes
Zehn Jahre Schulfrieden haben in Bremen vor allem gezeigt, dass Bildung mehr Mittel braucht. Im Wahlkampf wird die entscheidende Frage nun sein: Inklusion oder Selektion?
Idel gehörte zur Kommission aus Wissenschaftler*innen, die im Auftrag der Bürgerschaft seit 2016 den bundesweit beachteten Bremer Bildungskonsens ausgewertet hat: Ein Zwei-Säulen-Modell, das einen neunjährigen Weg zum Abitur über die Oberschule eröffnet und einen achtjährigen via Gymnasium, sollte helfen, die Herausforderung der Inklusion zu bewältigen und Ansätze zur Heilung der Leistungsdefizite des Bremer Schulwesens zu entwickeln.
Ein Coup war das, weil Grüne und SPD darin einen Schritt in Richtung einer „Schule für alle“ sehen konnten, die sie seinerzeit noch forderten, und umgekehrt die CDU ihre Vorstellung von einer selektiv-gegliederten Bildungslandschaft sah. Folge: Das Thema war für den Wahlkampf 2011 praktischerweise gestorben und spielte auch 2015 keine überragende Rolle.
Das wird diesmal nicht funktionieren – obwohl alles auf eine Neuauflage des Schulfriedens hindeutet: Statt wie früher um die Schulstruktur wird jetzt über die innere Ausgestaltung des Zwei-Säulen-Modells gestritten.
Seit die Kommission das Ergebnis der Evaluation vorgestellt hat, herrscht in den Parteien Unsicherheit. Nachvollziehbar, denn mindestens Grüne, SPD und CDU haben hier erkennbare Fehlentwicklungen verursacht oder an ihnen mitgewirkt. Am 10. April hatten Union und FDP das Feld bereits zu bestellen versucht: „Ein plattes Weiter-so kann es nicht geben“, hatte Thomas vom Bruch (CDU) die Zukunftsfrage noch einigermaßen vage beantwortet.
SPD, CDU, Grüne und FDP hatten 2009 gegen die Stimmen der Linken ein Schulgesetz verabschiedet, das Bremens zerfaserte Bildungslandschaft auf eine vierjährige Grundschule plus die zwei Schultypen Gymnasium und Oberschule – als Zwei-Säulen-Modell – vereinheitlichte. An den Oberschulen gibt es alle Schulabschlüsse, am Gymnasium gibt’s nach acht Jahren Abi.
Als erstes Bundesland begann Bremen damit, das Menschenrecht auf Inklusion zu verwirklichen.
Die Frage nach der Schulstruktur sollte zehn Jahre lang ruhen, um die Lernleistung zu erhöhen und die ausgeprägte Kopplung von sozialer Herkunft und Schulerfolg zu lockern.
Die Evaluation nach acht Jahren belegte nun zwar eine hohe Akzeptanz für die Struktur und positive Effekte des inklusiven Lernens, als Mittel gegen soziale Selektion erwies sie sich jedoch als unwirksam und für die Qualitätsentwicklung als unzureichend.
Als Konsequenzenregen die Expert*innen an, ein einheitliches Modell für die Unterrichtsentwicklung einzuführen, die Ausstattung zu verbessern, mehrfach benachteiligte Schulen besonders zu stärken, Maßnahmen zur frühen Sprachförderung zu verbessern, eine Senatsstrategie für den Ganztagsschulausbau zu entwickeln und über eine kontinuierlich tagende Arbeitsgruppe qualitative Standards für inklusiven Unterricht zu entwickeln und umzusetzen.
Beim von den Grünen einberufenen Meeting wurde Matthias Güldner am Mittwochabend schon konkreter: „Eine inklusive Bildungspolitik benötigt eine entsprechende Haushaltspolitik.“ Vorab hatte er im Gespräch mit der taz noch betont, dass sich das Problem nicht auf die Frage nach der Ausstattung reduzieren lasse. Doch zeigte die Anhörung: Auch die qualitativen Defizite des Schulsystems hängen vom Mittel-, Raum- und Personalmangel ab.
„Es ist gut, wenn endlich einmal die Ressourcen in den Mittelpunkt gestellt werden“, resümiert die Sprecherin der Oberschulen-Leiter*innen, Annette McCallum.
Vergessen worden waren Gymnasialvertreter*innen. Eingeladen hatten die Grünen jene Stimmen, die bei der Evaluation aus Kosten- und Zeitgründen ignoriert worden waren: So wies Helmut Brandenburg vom Vorstand des Zentral-Elternbeirats (ZEB) darauf hin, dass die in der wissenschaftlichen Evaluation per Schulleiterbefragung ermittelte 70-prozentige Akzeptanz der Schulstruktur von Elternseite mit einem Fragezeichen zu versehen sei, genauso wie das Thema Inklusion: „Ja, es gibt dafür eine breite Zustimmung“, versicherte er. „Die ist allerdings nicht uneingeschränkt. Was uns begegnet, ist ein Ja-Aber der gelebten Inklusion.“
Was das sein mag, konnten Cora Oeter und Julian Unbescheid von der Gesamtschülervertretung sehr plastisch schildern: In einer Schule habe „der Lehrer vorne gestanden und etwas erklärt, und die Inklusionsschüler saßen die ganze Zeit nur daneben mit ihrem Sozialpädagogen“, sagte Oeter: „Ich hatte nicht das Gefühl, dass das die perfekte Inklusion darstellt.“ Aus Schüler*innensicht sei es nicht nachvollziehbar, wieso Bremen weniger Geld für Bildung ausgebe als die anderen Stadtstaaten. „Wir sollten da wenigstens aufs gleiche Niveau kommen“, sagte Unbescheid.
Dass die Schulen „unterschiedlich weit auf dem Weg zu einer inklusiven Schulkultur vorangeschritten“ seien, hatte auch die Wissenschaftler*innen-Crew festgestellt. Nötig wäre also, Qualitätsstandards zu entwickeln und die Lehrkräfte pädagogisch fortzubilden.
Die Chancen darauf sind derzeit nach Schilderung von Rektor*innen, Personalrat und Gewerkschaft nicht so besonders groß: „Wir sind vor allem damit beschäftigt, Löcher zu stopfen“, hatte der Vorsitzende der Schulleitervereinigung, Thorsten Maaß, die Lage geschildert. „Wir kommen gar nicht dazu, uns um Unterrichtsqualität zu kümmern.“
Auch fehlt mittlerweile das Know-how, das Bremen hatte, bis die rot-schwarze Koalition auf die Schnapsidee verfiel, den exzellenten sonderpädagogischen Studiengang an der Uni zu beseitigen.
Das ist dramatisch: Während die soziale Inklusion bestenfalls auf der Stelle tritt, bleibt die Inklusion von Menschen mit Behinderung greifbarster Benefit der Schulreform. Immerhin 40 Prozent jener Schüler*innen, bei denen ein sonderpädagogischer Bedarf diagnostiziert wurde, machen mittlerweile einen Abschluss.
Der Anteil ist damit doppelt so hoch wie 2009. „Aus der Perspektive behinderter Menschen ist das ein Erfolg“, sagte der Landesbehindertenbeauftragte Joachim Steinbrück. Gefährdet ist er trotzdem, denn „anfangs hatte es eine gute Stimmung für Inklusion gegeben, das war ein Aufbruch“. Bloß hätten wenig später die Mittelkürzungen dann vielerorts einen regelrechten Umschwung bewirkt. „Damals hatte es darum auch Streit im Senat gegeben.“
Tatsächlich hatte Renate Jürgens-Pieper (SPD) damals eine bessere personelle Ausstattung fürs Ziel der Inklusion ertrotzen wollen. Die Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) hatte dagegen auf die vereinbarten Eckwerte gepocht, die in Erwartung sinkender Schüler*innenzahlen errechnet worden waren. Falsche Zahlen, wie heute klar ist. Jürgens-Pieper trat zurück und ist auch bei ihrer Partei seither ziemlich abgemeldet. Linnert wird 2019 als neuerliche Spitzenkandidatin ihrer Partei die Ernte des Sanierungskurses einfahren.
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