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„Eltern melden ihre Kinder dann aus der Kita ab“

FAMILIENPOLITIK Erziehungsforscher Thomas Rauschenbach kritisiert das „Betreuungsgeld“

Thomas Rauschenbach

Der 56-Jährige ist Direktor des Deutschen Jugendinstituts und Professor für Sozialpädagogik an der TU Dortmund. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist die Bildung im Kindes- und Jugendalter.

taz: Herr Rauschenbach, laut schwarz-gelbem Koalitionsvertrag soll es für Eltern, die ihre Kinder zuhause erziehen und nicht in die Kita gehen lassen, 150 Euro Betreuungsgeld im Monat geben. Wird dieses Geld tatsächlich „versoffen“, wie es der Berliner Bezirksbürgermeister Buschkowsky befürchtet?

Thomas Rauschenbach: Das ist mir zu plakativ. Aber es ist naheliegend, dass Menschen aus purer Not das Betreuungsgeld zu ganz anderen Zwecken nutzen als gedacht. Wenn jemand die Gasrechnung nicht bezahlen kann, wird er eher sein Kind von der Kita abmelden, um die 150 Euro dafür zu kassieren.

Wer die Herdprämie nutzt, folgt also einer ökonomischen Entscheidung?

Das ist die Gefahr. Die Grundidee, dass diejenigen unterstützt werden, die sich aus Überzeugung für die Erziehung zuhause entschieden haben, wird verfehlt.

Sie stützen Ihre Thesen auf das Bundesland Thüringen.

So ist es. Dort gibt es seit 2006 ein Betreuungsgeld für Zweijährige. In allen Altersgruppen bundesweit sind die Betreuungszahlen gestiegen – nur bei dieser Gruppe sind die Zahlen gesunken. Ein starkes Indiz, dass sich Eltern aus finanziellen Gründen entscheiden, ihr Kind bei der Kita abzumelden. Es ist ein Anachronismus zu glauben, dass gute Erziehung vorzugsweise zuhause stattfinden sollte. Viel wichtiger wäre, dass ein Kind von klein auf mit anderen Kindern aufwächst und Fachkräfte zur Verfügung stehen, um es zu fördern. Dann ist das Kind nicht so sehr von den zufälligen Begabungen der Eltern abhängig.

Nun will Angela Merkel an Hartz-IV-Familien Gutscheine verteilen.

Wenn man private Erziehung gezielt unterstützen will, können Gutscheine für pädagogische Leistungen ein Weg sein. Dadurch wäre wenigstens gewährleistet, dass die Kinder etwas davon haben – und nicht nur die Haushaltskasse. Generell ist aber fraglich, warum man Wohlhabenden überhaupt Geld für die Betreuung der eigenen Kinder geben soll.

Welches wäre jetzt die richtige bildungspolitische Maßnahme?

Den beschlossenen Ausbau der Kitas so fortzusetzen, dass 2013 jedes Kind den Rechtsanspruch auf öffentliche Betreuung einlösen kann. Viele Kommunen wissen heute kaum noch, wie dies bei leeren Kassen gelingen soll. Dass in dieser Lage noch bis zu 2 Milliarden für ein Betreuungsgeld ausgegeben werden sollen, ist unverständlich.INTERVIEW: GORDON REPINSKI

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