: Mehr Platz für Sport
Seit Jahren führt der Mangel an Sportstätten zu Notlösungen und erbitterten Streitigkeiten. Der Senat will nun einen Sportentwicklungsplan auf den Weg bringen
Von Alina Schwermer
Als er das Ergebnis der Studie vorstellt, ist Christian Gaebler (SPD) noch Staatssekretär für Inneres und Sport. Als solcher trägt der Mann, der inzwischen zum Chef der Senatskanzlei ernannt worden ist, die ganze Hoffnung der Berliner Sportler auf den Schultern seines akkuraten Jacketts. Man ist geneigt, ihm zu glauben, dass er das alte Klagelied der Basis über zu wenige Sportflächen ernst nimmt.
Am vergangenen Mittwoch, als Gaebler die Ergebnisse der Sportstudie Berlin präsentierte, erweckte er zumindest einen ambitionierten Eindruck bei der undankbaren Aufgabe, einem kaum lösbaren Mangel hinterherzulaufen. Dass zu dem Thema überhaupt Pressekonferenzen stattfinden, ist an sich schon ein Fortschritt. 73 Sportanlagen und 140 Hallen fehlen in Berlin laut Senatsverwaltung für Inneres und Sport. „In aktuellen Bauplanungen wird dem Sport nicht ausreichend Rechnung getragen“, so Gaebler. „Selbst bei großen Gebieten wird relativ wenig darauf geachtet.“
Das ist keine neue Erkenntnis. Jedes Jahr führt der Platzmangel zu Notlösungen und erbitterten Streitigkeiten um Trainingszeiten. Und seit Spielzeitengedenken fordern Sportvereine eine Entwicklungsplanung für Sportflächen. Mittlerweile scheint der Leidensdruck hoch genug. „Wir werden den Stadtentwicklungsplan auf den Weg bringen“, bekräftigte Gaebler, „und der Sport muss darin eine wahrnehmbare Säule sein.“
Die Studie, die die Senatsverwaltung für Inneres und Sport zum Bewegungsverhalten der Berliner durchführte, darf man als ersten Schritt für einen derartigen Plan lesen. Und offenkundig auch als Papier, das den Interessenvertretern des Sports Argumente liefern soll.
Nach eigenen Angaben ist es die größte deutsche Studie zum Sport- und Bewegungsverhalten überhaupt, mit 62.000 zufällig angeschriebenen Berlinern, von denen rund 25 Prozent teilnahmen. Den Fragebogen gab es auch auf Türkisch, Russisch, Arabisch und Englisch.
Sport habe in Berlin an Bedeutung gewonnen, so eine der zentralen Erkenntnisse. Rund 83 Prozent der Befragten beschrieben sich in der Untersuchung als sport- oder bewegungsaktiv; das sei eine Steigerung von 11 Prozent im Vergleich zur letzten ähnlichen Studie von 2006.
Die hohe Aktivenquote liegt allerdings auch an der Art und Weise, wie der Sportbegriff gefasst ist: Als „bewegungsaktiv“ definiert die Untersuchung alles von Spazieren über Baden bis Radfahren. Um nicht bewegungsaktiv zu sein, müsste man also schon den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen.
Als „sportaktiv“ zählen sich mit rund 37 Prozent deutlich weniger Menschen. Weil aber die vorangegangene Studie ähnlich breit gefasst war, ist der Trend an sich unstreitig.
Die populäre These, dass Sport immer weniger im Verein und immer mehr selbst organisiert stattfinde, bestätigt die Untersuchung interessanterweise jedoch nicht. Das Verhältnis habe sich seit 2006 sogar leicht zugunsten des organisierten Sports entwickelt. Dennoch wird durch die Studie deutlich, wie verzerrend der öffentliche Fokus auf Vereine ist: Nur etwa ein Viertel des Berliner Sports findet im Verein oder bei Anbietern wie Fitnessstudios statt. Der Rest ist selbst organisiert und oft im Freien.
Als wichtigsten Austragungsort nannten die Teilnehmer die Natur, gefolgt von den Straßen. Nur 11 Prozent nannten das Fitnessstudio, 8 Prozent Sporthallen. Am populärsten sind und bleiben die alten Klassiker, schon in der Studie von 2006 war die Verteilung ähnlich: Radfahren, Joggen, Schwimmen. Für die Planer bedeutet das auch, Sportinfrastruktur neu zu denken.
18 Millionen Euro stehen jährlich für die Sanierung klassischer Sportstätten zur Verfügung. Gaebler zufolge wird es bei dieser Investition bleiben, für die bezirklichen Sportanlagen bedürfe es allerdings noch eines Schubs. Trotzdem muss sich der Senat fragen, wie viel Geld er in einen Bereich stecken will, der nur einen kleinen Teil des Sportengagements ausmacht. „Die Vereine haben eine wichtige Rolle, aber wir sehen, dass die Aktivitäten auch außerhalb der Vereine stattfinden“, so Gaebler.
Seit Längerem sehen Politiker und Ehrenamtliche die Lösung für den Flächenmangel zunehmend in den Parks. Die sind praktischerweise auch deutlich besser über die Stadt verteilt als klassische Sportanlagen und lassen sich durchaus mit Basketballcourts, Yogaflächen oder öffentlichen Fitnessgeräten ausstatten. Erste Pilotprojekte laufen.
Unter fehlendem Platz leiden bekanntlich aber weniger die Yogagruppen und Fitnessfreunde, sondern vor allem die Vereine. Und für die sind Parks und Wälder nur sehr bedingt eine Lösung. Christian Gaebler kündigte an, mit Schulbaumaßnahmen bei zwei Drittel der fehlenden Hallen aufholen zu wollen. Für offene Anlagen seien noch keine Neu-Investitionen angedacht. Vermutlich wird es dabei auf individuelle Lösungen der Bezirke hinauslaufen. Sie sollen von den Daten der Untersuchung profitieren. Eine detaillierte Auswertung nach Altersklassen und Herkunft soll im Herbst 2018 vorliegen.
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