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Anstand, Recht, Ordnung und gegen „Ehe für alle“

Einwanderer haben sich zu assimilieren, und die Ehe hat wieder ordentlich heterosexuell zu sein: Die erzkonservative „Werte-Union“ traf sich im badischen Schwetzingen

„Werte-Union“-Stargast Manuel Hagel, CDU-Generalsekretär in Baden-Württemberg Foto: Uwe Anspach/dpa

Aus Schwetzingen Benno Stieber

Die Zahl der Teilnehmer ist ungefähr genau so groß wie im letzten Jahr, aber der Wind aus der eigenen Partei weht den organisierten „Werte-Unionisten“ aus CDU und CSU jetzt nicht mehr so scharf ins Gesicht. Am Samstag trafen sie sich im badischen Schwetzingen, in Sichtweite zum Barockschloss, zu ihrem ersten Jahrestreffen.

Als sich vor ziemlich genau einem Jahr Merkel-Kritiker aus der Union ebenfalls in Schwetzingen die Werte-Union gründeten, gab es für ihren vermeintlichen „freiheitlich-konservativen Aufbruch“ von CDU-Oberen nur gallige Kommentare. Diesmal gibt es für die etwa 80 Teilnehmer ein freundliches Grußwort von Jens Spahn, verlesen vom Werte-Unions-Vorsitzenden Alexander Mitsch, in denen alle Buzz-Words, die den Konservativen so wichtig sind, vorkommen: Respekt, Anstand, Verantwortung, Recht, Ordnung. „Werte“, die jetzt wieder wichtig würden. „Wenn wir reden und handeln in einer Haltung, die breite, sich bürgerlich fühlende Schichten zuletzt oft schmerzlich vermisst haben, dann können wir die AfD überflüssig machen“, lässt Spahn übermitteln. Dafür gibt es herzlichen Applaus.

Die warmen Worte tun den Anwesenden gut. Die Werte-Union ist mit nach eigenen Angaben etwa 1.000 Mitgliedern klein, hofft aber, als eigene Gruppe innerhalb der Union anerkannt zu werden wie etwa die Vertriebenen. Heimatdebatten und konservative Akzente vom Gesundheitsminister könnten ihnen da helfen.

Da macht es dann auch nichts aus, dass der Südwest-Landesvorsitzende der Werte-Union, Holger Kappel, noch vor wenigen Tagen über Jens Spahn gesagt hatte, der sei „kein klassischer Konservativer“, weil er im Bundestag für die „Ehe für alle“ gestimmt habe.

Tja, es ist unübersichtlich geworden im konservativen Lager. Da ist die AfD, die ihre völkischen Wurzeln hinter konservativer Attitüde versteckt, Da ist der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der in der taz erklärt, man solle doch mal ihn ein konservatives Manifest schreiben lassen und nicht Leichtmatrosen wie Alexander Dobrindt. Und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet verkündete in der FAZ, nicht das Konservative sei der Markenkern der CDU, sondern das christliche Menschenbild.

Nicht erst seit dieser Bemerkung fühlten sich die selbst ernannten Werte-Unionisten in der eigenen Partei heimatlos. Es ist unverkennbar Angela Merkel, die hier alle für die Entfremdung von der eigenen Partei verantwortlich machen. Deshalb wandte sich die Werte-Union auch gegen eine Wiederauflage der GroKo, die sie als „Selbstaufgabe der Union“ geißelte.

Und deshalb wird jede Geste aus der Partei dankbar angenommen. Dazu zählt auch der Auftritt von Manuel Hagel, dem jungen, stets tadellos gebügelten Generalsekretär der Landes-CDU. Als Hauptredner hält er ein ausführliches Referat dar­über, was das eigentlich heute sei: „konservativ“. Die Strömung, die einstmals von so stolzen wie sturen Vertretern wie Alfred Dregger oder Roland Koch repräsentiert wurde, gehöre selbstverständlich zur CDU und zur gesamten Union, bekundet er.

„Es fällt uns jetzt leichter, uns als Teil der Union zu fühlen“, bedankt sich Mitsch bei Manuel Hagel für dessen Besuch. Dabei verbreitet Hagel in Schwetzingen durchaus einen aufgeklärten Konservativismus, in dem auch Windräder und Patchworkfamilien ihren Platz haben. Im Unterschied zur AfD beschreiben Konservative nicht die Welt, wie sie mal war, sagt Hagel. Sie seien da, wo Bewahren und Verändern zusammenkämen.

Der Mainzer Professor Andreas Rödder, der mal im Schattenkabinett von Julia Klöckner als Minister vorgesehen war, verkündet auf dem Podium eine ähnlich milde Definition: Konservative wüssten, dass sie den Wandel nicht aufhalten könnten. Aber sie wollten ihn „erträglich gestalten“, philosophiert der Historiker.

Das klingt politisch wenig brisant. Wie tief aber die Verwundungen der pragmatischen Merkel-Ära bei der Werte-Union sind, zeigt sich an der erstaunlichen Schärfe, wenn es um konkrete Politik geht. Ein Teilnehmer nennt die Bundeswehr „Ursulas Schrotttruppe“. Und unter höhnischem Gelächter spricht Christean Wagner, früherer hessischer Innenminister und einer der prominenteren Teilnehmer, in einem Zwischenruf dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, und dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, aufgrund ihrer vermeintlich allzu großen Liberalität ab, überhaupt Christen zu sein.

Integration und ein Bekenntnis zum Grundgesetz genügen den CDU-Konservativen bei Einwanderern nicht

Ein dreiseitiges „Konservatives Manifest“, das von den Werte-Unionisten am Nachmittag im Galopp und mit nur einer Enthaltung verabschiedet wird, lässt wohl bewusst offen, wo denn eigentlich die Grenze zwischen Konservatismus und Rechtspopulismus verläuft. Man will zurück zur Wehrpflicht und vielleicht auch zur Atomkraft, Geld für „ sogenannte Gender-Mainstreaming-Forschung“ sei zu streichen. „Ehe und Familie sind für uns die wichtigsten Grundlagen unserer Gesellschaft. Dabei sehen wir das Leitbild ‚Vater, Mutter, Kinder‘ als elementaren Grundpfeiler an“, heißt es in dem Papier.

Überproportional viel Platz nehmen die Integrationspolitik und der Islam ein. In drei Absätzen, die noch über Nacht vom Kölner Promi-Anwalt Ralf Höcker in das Dokument geschubst wurden, ist zu lesen, dass die Flüchtlingspolitik von 2015 rückgängig gemacht werden soll. Ziel seien eine Änderung des Grundrechts auf Asyl und der Genfer Flüchtlingskonvention sowie die komplette Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft.

Integration und ein Bekenntnis zum Grundgesetz genügen den CDU-Konservativen bei Einwanderern nicht. „Assimilation“, also das Einebnen von kulturellen Unterschieden, wird vor allem von Muslimen verlangt. Denn der Islam weise als einzige Religion eine „Doppelstruktur“ auf, heißt es in dem Papier.

Während Flüchtlingsthemen das Papier dominieren, fehlt ein Bekenntnis zum Erhalt der Schöpfung. Mit Umwelt- und Klimaschutz haben die angeblich Wertkonservativen nichts am Hut. Dafür wird eine personelle Erneuerung gefordert, was viele in Schwetzingen als Aufforderung an Merkel verstehen, nicht mehr als CDU-Vorsitzende anzutreten.

Während die Werte-Unionisten über ihr „Konservatives Manifest“ disputieren, zieht direkt vor ihrem Fenster die Realität vorbei. Familien aus allen Herren Ländern, schwule Pärchen, Menschen, die viele Sprachen sprechen und unterschiedliche Lebensentwürfe leben, zieht es an diesem Frühlingstag in den Schwetzinger Schlossgarten. Ein Heiratskorso aus dunklen Limousinen mit deutschen Kennzeichen und türkischen Flaggen hält. Handys knipsen die Braut in Brokat vor der Barockfassade. Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität, hat der Konservative Erwin Teufel mal gesagt. Die Mitglieder der Werte-Union müssten dafür nur mal vor die Tür treten.

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