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Kein Trauerspiel

Erfüllende Arbeit: Die Beschäftigten im Hospiz Lichtenberg arbeiten auf „einer Insel der Seligen.“ Wie kommt das?

Arbeit mit Sterbenden ist im Alltag oft unsichtbar, indes essentiell für das Funktionieren der Gesellschaft. Fotografiert im Friedericke Fliedner Hospiz in Berlin Foto: Lia Darjes

Von Torben Becker

Immer wenn das schwache Kerzenlicht im Eingangsbereich flackert, ist wieder jemand gestorben. Der Tod gehört im Hospiz Lichtenberg zum Arbeitsalltag. Für die hier Beschäftigten ist das jedoch kein Grund zur dauerhaften Trauer – im Gegenteil: Hier trifft man Menschen, die ihre Arbeit als erfüllende Berufung verstehen.

Bereits die einladend große Wohnküche des Hauses, das etwas abseits im Grünen des Krankenhausareals im Landschaftspark Herzberge in Berlin liegt, stimmt beim Eintritt friedlich. Vom benachbarten Kindergarten schallt belebtes Kindergezeter durch die gekippten Fenster herein. Berührungsängste hat man hier weder mit dem Leben noch mit dem Tod.

Das sei der immer weiterwachsenden Hospizbewegung aus den 1970ern anzurechnen, erklären Frau Kraeusel und Frau Krull, die seit zehn Jahren zusammen im Hospiz arbeiten. Besonders in den letzten 15 Jahren sei ein sensibleres Bewusstsein für das Sterben in unserer Gesellschaft entstanden. Die beiden koordinieren von hier aus rund 70 ehrenamtliche Sterbebegleiter*innen, die größtenteils in der ambulanten Hospizarbeit tätig sind und Sterbende und deren Familien auf den letzten Wegen zu Hause oder in der Einrichtung, wo sie wohnen, begleiten. Das ist ein unverzichtbares Engagement, denn viele Betroffene warten vergeblich auf einen stationären Platz im Hospiz.

Letzte Lebenswege lebenswert machen

Allerdings sind die wenigen Hospize, die es gibt, im Vergleich zu anderen Pflegebereichen überraschenderweise oft gut budgetiert. So wird die Kernaufgabe der Palliativtherapie, die Linderung von Symptomen, im Sinne der Betroffenen möglich: „Wir versuchen, die Wünsche unserer Gäste zu erfüllen“, sagt Frau Kraeusel und meint damit, den letzten Lebensweg lebenswert zu machen.

Dafür sorgen Menschen wie Brigitte Rosner. Die gelernte Krankenschwester arbeitet seit der Gründung des Hospizes vor 13 Jahren hier. Bei einem Personalschlüssel von 30 Angestellten auf 10 Gäste, ließen sich auch ganz individuelle therapeutische Angebote realisieren, so Rosner. Der Clou: Alle Angestellten arbeiten nur 70 Prozent. Das sei ein Anliegen des Trägers, der Diakonie, sagt Frau Kraeusel. So könnten die Angestellten ein Gleichgewicht zu der emotional fordernden Arbeit im Hospiz entwickeln und ihre persönliche Distanz zur Arbeit selbst bestimmen. Die Bezahlung sei trotzdem gut. Ergänzend haben die Angestellten die Möglichkeit, sich weiterzubilden und alle acht Wochen an einer Supervision teilzunehmen. Das ist entweder eine Gruppen- oder Einzelbesprechung der eigenen Arbeit und soll das reflexive Bewusstsein der Arbeitenden stärken – eine zusätzliche psychosoziale Stütze.

Eine eigene Haltung zum Tod

Auf konkrete Arbeitsbelastungen angesprochen herrscht bei Frau Kraeusel und ihren Kolleginnen zunächst Ratlosigkeit, die von schmunzelnden Flüstern abgelöst wird: „Mein Mann sagt immer, die Hospiz- und Palliativstation ist die letzte Insel der Seligen“ – Frau Krull ist zufrieden. Aber die Arbeit ginge einem schon nahe, denn man bekomme doch tagtäglich mit, wie brüchig das Leben sein kann. Deshalb sei es wichtig, in dieser Arbeit eine eigene Haltung zum Tod zu entwickeln, ergänzt Frau Rosner: „Das ist dann auch ein Stück weit Lebenshilfe für mich selbst.“

Trotzdem müsse man natürlich in der Hospizarbeit schauen, wie Arbeit zukünftig organisiert wird. „Man leidet auch hier unter dem eklatanten Pflegekraftmangel und den grassierenden schlechten Arbeitsbedingungen in der Pflege“, betont Frau Kraeusel, denn die meisten Sterbenden werden – wenn überhaupt – ambulant in Heimen oder zu Hause begleitet. Deshalb dürfe man nicht den Fehler machen und die Hospizarbeit getrennt von anderen Pflegebereichen denken.

Bereits in der letzten Ausgabe der taz am Wochenende protokollierten Viktoria Morasch und Daniel Schulz das Leben von Gästen eines Hospizes. Auf dem taz lab möchten wir den Perspektivwechsel wagen und wissen, wie die Hospizarbeit in Zukunft gestaltet wird und welche Chancen die ehrenamtliche Sterbebegleitung bietet? Brauchen wir aufgrund der negativen demografische Entwicklung auch mehr Hospize? Mit Annette Adam, Hospiz- und Pflegedienstleiterin, Dirk Müller, Vorstandsvorsitzender Hospiz- und Palliativverband Berlin, und Mark Holzberger, ehrenamtlicher Sterbegleiter, möchten wir auf diese und andere Fragen Antworten finden.

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