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Erfahrungen mit Einheimischen

Airbnb startet mit „Experiences“ einen Angriff auf etablierte Stadtführungen. Sie sollen eine Alternative zu herkömmlichen Stadtführungen sein

„Der Vorteil bei Stadtführern des Verbandes liegt klar bei deren Seriosität und Qualifikation“

Markus Müller-Tenckhoff, Vorstand Reiseführer-Verband

Von Dirk Engelhardt

Einen Moment, erst mal muss ich euch einchecken“, sagt Guide Alex, um dann via iPhone seine vier Besucher virtuell an der Rezeption des Start-ups „Factory“ anzumelden. Das Ganze muss gemächlich vor sich gehen, denn das System braucht fünf Sekunden Pause zwischen jedem Anmeldevorgang, der über einen Scanner läuft, um die Datenmenge zu verarbeiten. Melanie aus San Francisco, 23 Jahre, J. R. aus Brighton, 44 Jahre, Paul aus Südafrika, 22 Jahre, und Peter aus Sydney, 26 Jahre, haben sich für die Tour „Join the Startup Scene“ über das Portal Airbnb angemeldet. Neuerdings vermittelt das Übernachtungsportal nicht nur Schlafplätze, sondern auch „experiences with locals“, also Erfahrungen mit Einheimischen, in diesem Fall in Berlin.

Gegen Gebühr, es sind 47 Euro. Darin enthalten sind ein Mittagessen, mehrere Getränke und die dreistündige Tour auf Englisch. Der Guide ist Alex, von Beruf Unternehmensberater. Er hat schon mehrere Start-ups begleitet und veranstaltet außerdem „Europas größtes monatliches Meet-up“. Des Weiteren schrieb er einen Bestseller über die Start-up-Szene, „Fit für die Next Economy“.

Fünf Personen ist die maximale Gruppengröße für diese Tour, denn zum einen möchte Alex auf jeden Teilnehmer individuell eingehen, zum anderen mögen es Start-ups nicht, wenn größere Gruppen durch ihre Räume geschleust werden. Alex referiert begeistert über die Architektur dieser ehemaligen Brauerei direkt am Mauerstreifen, die zu DDR-Zeiten leer stand und die nach dem Mauer­fall mit modernen Elementen saniert wurde.

Zurzeit stehen 76 verschiedene „Erfahrungen“ in Berlin zur Wahl. Die Spanne reicht von klassischen Angeboten wie „Tour durch das königliche Berlin“ oder „Radtour zu den Ikonen der Berliner Architektur“. Besucher, die eher ausgefallene Angebote suchen, werden ebenfalls fündig: Zum Beispiel bei „Besuche kreative Räume mit einem Kurator“ oder „Bilder in Blau: ein Workshop der verloren gegangenen Kunst der Blaudruckfotografie“.

„Die Airbnb-Entdeckungen gehen weit über die typischen Touren zu Attraktionen und historische Denkmäler hinaus und geben Reisenden die Möglichkeit, in lokale Communities einzutauchen“, beschreibt Julian Trautwein von Airbnb den Reiz des neuen Angebotes. „Airbnb startete die Entdeckungen im November 2016 in zwölf Städten und hat mittlerweile in über 40 Städte weltweit expandiert“, so Trautwein. Allen Städten voran sei Barcelona, gefolgt von Los Angeles, Paris, Tokio und San Francisco.

Auch Künstler können durch die „experiences“ ihr Betätigungsfeld erweitern. Dabei soll ein kleiner Einblick in ihr Schaffen gegeben werden. Beim Kurs „Künstler für einen Abend“ können die Teilnehmer ihr eigenes Berlin-Bild, auf Leinwand aufgezogen, mit nach Hause nehmen. Und dies zum Preis von 34 Euro für einen fast dreistündigen Workshop! Hier behilft sich die Kursleiterin Johanna allerdings mit einem kleinen Trick: Am Anfang des Workshops kann sich jeder Teilnehmer eine von vier Schablonen aussuchen, mit deren Hilfe man die Umrisse seines Berlin-Motivs auf die weiße Leinwand zeichnet – eine Art Malen nach Zahlen. Anschließend kann diese Vorlage mit Farbe, frei nach Wahl, ausgemalt werden. Trotzdem sind die Bewertungen dieses Workshops euphorisch – sich in einem verkleckerten Mal­atelier in Prenzlauer Berg von einer echten Malerin bei einem Glas Rotwein beim Pinseln anleiten zu lassen, ist für viele das Highlight eines Berlinbesuchs.

Natürlich hat ein weltweites Portal wie Airbnb optimale Möglichkeiten, dieses neue Angebot zu bewerben. So wird jedem Gast, der weltweit ein Zimmer bucht, in der Buchungsbestätigung angezeigt, welche „experiences“ zur besagten Zeit stattfinden und sich dazubuchen lassen. Mit den Erfahrungen sollen aber auch Gäste angesprochen werden, die kein Zimmer über Airbnb buchen. Trautwein: „Für viele Reisende sind Airbnb-Entdeckungen eine tolle Möglichkeit, etwas Neues zu lernen, sich mit Menschen auszutauschen.“ Die Zahlen sprechen für sich: Die wöchentliche Besucherzahl der „experiences“ ist seit Januar 2017 weltweit um das 15-Fache gestiegen.

Diese Entwicklung kann der Verband der Berliner Stadtführer nicht gutheißen. „Unser Verband hat 320 Mitglieder. Viele der Mitglieder haben sich durch den Bundesverband der Gästeführer in Deutschland zertifizieren lassen“, klärt Markus Müller-Tenckhoff, Vorsitzende des Verbandes, auf. Er sieht, was die Qualifikation betrifft, einen Vorteil bei Führern des Verbandes: „Der liegt klar bei der Seriosität. Jedes Mitglied ist bei uns mit Adresse gelistet. Zur Mitgliedschaft bedarf es einem Qualifikationsnachweises.“

Nicht nur der Individualtourist wisse dies zu schätzen, so Müller-Tenckhoff, sondern auch die weltweite Reiseindustrie. „Ein Stadtführer muss eine ganze Gruppe bespielen. Sicheres Auftreten, eine gute Artikulation, ein angenehmes Erscheinungsbild, Zuverlässigkeit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und ein guter Führungsstil sind unabdingbar.“ Szenetouren mit Flüchtlingen oder Graffiti-Workshops hat der Verband denn auch nicht im Angebot.

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