Ziele des Wissenschaftsjahrs 2018: Technik und ihre Nebenwirkungen
Unter dem Motto „Arbeitswelten der Zukunft“ werden die Folgen der Digitalisierung für den Menschen untersucht. Soziales bleibt oft außen vor.
Digitalisierung und die vernetzte Industrie 4.0 schaffen neue Arbeitswelten. Welche Auswirkungen das für den Menschen hat, will das neue Wissenschaftsjahr des Bundesministeriums für Bildung und Forschung thematisieren und diskutieren. Der Start stellte jedoch die Verheißungen der Automatisierung und Robotik einseitig in den Vordergrund und gab der kritischen Technikfolgenabschätzung zu wenig Raum.
Ihre persönliche Arbeitszukunft hatte sich die ehemalige Bundesforschungsministerin Johanna Wanka anders vorgestellt. Die Eröffnung des Wissenschaftsjahres 2018 „Arbeitswelten der Zukunft“ sollte jedenfalls schon in den neuen Händen liegen. Weil aber fünf Monate nach der Wahl die neue Bundesregierung immer noch nicht im Amt war, musste Wanka als geschäftsführende Ministerin für Bildung und Forschung Mitte Februar nochmal ran, um den Startschuss zu geben. Aber schon bald, so freute sich damals die 66 Jahre alte CDU-Politikerin, werde sie „bei Gartenarbeit viel Zeit an frischer Luft verbringen“. Es dauerte dann noch bis zum 14. März, dass ihre Nachfolgerin, Anja Karliczek (CDU) als Ministerin vereidigt wurde.
Für diejenigen, die anders als Wanka weiter im Job blieben, dürfte es weniger geruhsam zugehen. Insbesondere in der Zukunft, weil sich durch Digitalisierung und Globalisierung massive Veränderungen der Berufs- und Lernwelt abzeichnen. Das neue Wissenschaftsjahr, das dem Ozean-Jahr nachfolgt, will in den kommenden Monaten den Wandel der Arbeitswelt, die Ergebnisse der Arbeitsforschung und die Herausforderungen für die Bildung in den Mittelpunkt stellen.
Neben Events in den Hochschulen wird auch ein Forschungsschiff über die deutschen Flüsse schippern und ein „Innovations-Truck“ die Marktplätze ansteuern. Rund 5,8 Millionen Euro lässt sich das Bundesbildungs- und Forschungsministerium (BMBF) die Aktion kosten. Die Ansichten über den Nutzen sind jedoch geteilt. Immerhin wurde noch aus dem Wanka-Haus in einer konzertierten Aktion die arbeitsbezogene Forschung neu belebt, wie es dies in Deutschland seit dem legendären Programm „Humanisierung der Arbeit“ in den 1970er Jahren nicht mehr gegeben hatte.
Bewusst den Plural „Arbeitswelten“ gewählt
Annelie Buntenbach vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) würdigte das mit einer Milliarde Euro ausgestattete Arbeitsforschungsprogramm, aus dem bereits 220 Projekte gestartet worden seien. „Wir brauchen dieses Wissen, weil sich durch die Digitalisierung die Arbeit stark verändern wird“, sagte die Gewerkschafterin bei der Eröffnungsveranstaltung. Der Nutzen für Innovationen in der Arbeitswelt erschließt sich auch im Rückblick: So konnte seit 1990 durch Maßnahmen des Arbeitsschutzes die Zahl der Unfälle am Arbeitsplatz halbiert werden.
Für Henning Kagermann, Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech), sind drei Handlungsfelder für den Erfolg der Digitalisierung entscheidend: Agilität, lebenslanges Lernen und eine zukunftsorientierte betriebliche Mitbestimmung. „Wir sollte die Menschen als mündige Arbeitskräfte in die Gestaltung ihrer Arbeitswelt einbeziehen“, erklärte der frühere Chef des Softwarekonzerns SAP.
Die Auftaktdebatte über die künftigen Arbeitswelten gestaltete sich im Haus des Forschungsministeriums dann doch sehr techniklastig. Vielleicht wäre es besser gewesen, das Bundesarbeitsministerium zu beteiligen, das im vorigen Jahr mit seinem breiten Diskurs „Arbeit 4.0“ das Feld schon bestellt hatte.
Wanka betonte zwar, dass beim Rahmentitel bewusst der Plural „Arbeitswelten“ gewählt worden sei, um die unterschiedlichen Optionen der Gestaltung zum Ausdruck zu bringen. Es gebe mehrere Varianten, wie die Tätigkeit von Menschen und Maschinen in den Fabriken und Büros von morgen ausgeführt werden können. Erkennbaren Chancen stünden ungewisse Risiken zur Seite, die es allerdings auch anzusprechen gelte, erklärte die Ministerin. Man wolle nicht den Fehler wiederholen, den man bei der Debatte über die Globalisierung begangen habe.
Risiken und Nebenwirkungen
„Bei der Globalisierung haben wir zu einseitig nur über die Chancen gesprochen und zu wenig über die Risiken, die es auch gibt.“ Dennoch war es erst einem Fragesteller in der Schlussrunde vorbehalten, zu eruieren, warum nicht auch das Burnout-Problem durch zu hohe Arbeitsverdichtung behandelt worden sei. Andere heiße Themen der Arbeitsdiskussion, wie die Expansion der prekären Berufe oder das bedingungslose Grundeinkommen, kamen überhaupt nicht zur Sprache.
Einen kritischeren Ansatz zur Eröffnung des Wissenschaftsjahres versuchte im Anschluss zumindest das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), das die Auswirkung der digitalen Medien für Bildung und Berufsvorbereitung mit einem Expertenpanel diskutierte. Den Befürwortern einer forcierten Digitalbildung im Schulbereich stand die Mediensucht-Expertin Paula Bleckmann von der anthroposophisch ausgerichteten Alanus-Hochschule in Alfter, Nordrhein-Westfalen, gegenüber.
Sie bemängelte, dass die derzeitige Digitalisierung des Bildungswesen zu sehr von der IT-Lobby getrieben und warnende Einschätzung von erziehungswissenschaftlicher Seite zu wenig gehört würden. Es gebe immer mehr Indizien dafür, dass eine exzessive Handynutzung von Jugendlichen den schulischen Erfolg vermindere. Davon betroffen seien vor allem die Schüler aus den unteren Einkommensschichten. „Ein Smartphone-Verbot an Schulen wäre die billigste Maßnahme zum Schließen der Bildungsschere“, meinte Bleckmann, die auch einer Expertengruppe des Bundesgesundheitsministeriums angehört, die sich mit Social Media-Sucht unter Jugendlichen beschäftigt.
Hier gebe es eindeutig einen Mangel an Technikfolgenabschätzung über die psychologischen und sozialen Auswirkungen der neuen Kommunikationstechniken. Auch der jüngste Bericht des Bundestagsbüros für Technikfolgenabschätzung (TAB) zur digitalen Bildung „krankt daran, dass darin nur Digitalexperten zu Wort kommen“, bemängelte Bleckmann, während die medizinisch-psychologsichen Folgen ausgespart blieben.
Zu viel Marketing
Nicht auszuschließen, dass in diesem Jahr die gesamte Kommunikationsstruktur der Wissenschaftsjahre auf den Prüfstand kommt. Zum Eröffnungstag meldete sich der Professor für Wissenschaftsjournalismus, Holger Wormer, von der TU Dortmund mit einem Interview im Deutschlandfunk. Es sei zu überlegen, ob das Format der Wissenschaftsjahre, die in ihrer Ansprache ohnehin die schon von Wissenschaft überzeugten Bürger erreiche, „in dieser Form noch zeitgemäß ist“. Der Marketinganteil sei zu dominant, sogar die Wirkungsuntersuchung der Wissenschaftsjahre werde von einer Beratungsagentur vorgenommen.
Wormer: „Die Zieldefinition der Wissenschaftsjahre ist bis heute sehr unklar.“ Für das kommende Wissenschaftsjahr empfiehlt der Professor, der auch der Akademien-Arbeitsgruppe „Wissenschaft, Öffentlichkeit, Medien“ (WÖM) angehört, „es tendenziell 2019 ausfallen lassen und grundsätzlich überlegen, wie man diese Mittel vielleicht noch effizienter einsetzen kann“.
Ob die neue Forschungsministerin Anja Karliczek diese Empfehlung aufgreifen wird, muss sich erst noch zeigen.
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