piwik no script img

„Goldman Sachs buhlt um Einfluss“

Darf ein Topbanker ins Ministerium? Der Grüne Gerhard Schick erklärt, warum er Olaf Scholz’Entscheidung für problematisch hält

Scholz macht den Deutschland-Chef von Goldman Sachs zum Staats­sekretär Foto: Natacha Pisarenko/ap

Interview Ulrich Schulte

taz: Herr Schick, Olaf Scholz holt einen Banker von Goldman Sachs als Staatssekretär ins Ministerium. Warum finden Sie das problematisch?

Gerhard Schick: Jörg Kukies ist nicht irgendein Banker, er ist ein Top-Investmentbanker. Er war in dem Bereich des Finanzmarktes tätig, der wie kein anderer politische Regeln braucht. Im Investmentbanking werden die komplexen, undurchschaubaren Produkte entwickelt, die uns in der Finanzkrise ab 2007 um die Ohren geflogen sind. Stichwort: Lehman Brothers. Kukies hat also die Produkte mitentwickelt, die Warren Buffett mal als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ bezeichnet hat – und die vielen Kleinanlegern Verluste gebracht haben und bringen.

Jörg Kukies ist im Finanzministerium für Europa und Finanzmarkt zuständig. Welche Politik erwarten Sie von ihm?

Seine europapolitische Linie kann ich nicht einschätzen. Bei dem zweiten Thema sehe ich schwarz. Im Koalitionsvertrag steht sehr wenig zur Neuregelung des Finanzmarktes, das Thema wird offengelassen. Wenn diese Lücke nun jemand füllt, der dezidiert die Perspektive eines Investmentbankers hat, macht mir das große Sorgen. Gemeinwohlorientierte Politik erwarte ich nicht von ihm.

Kennen Sie Kukies persönlich?

Ich habe Jörg Kukies vor einigen Jahren getroffen. Damals habe ich mich intensiv mit problematischen Zertifikaten beschäftigt, die von Banken ausgegeben wurden. Ich hoffte, in ihm wegen seiner Vita einen kritischen Gesprächspartner zu finden, der die Problematik dieser Produkte erkennt. Schließlich war Kukies mal Juso-Chef in Rheinland-Pfalz. Meine Hoffnung wurde allerdings enttäuscht. Er hat damals voll und ganz in der Logik der Branche argumentiert. Und war nicht in der Lage, die Schattenseiten kritisch zu sehen.

Auch ein Banker ist zu Rollenwechseln fähig – und kann in der Politik anders agieren. Warum trauen Sie ihm das nicht zu?

Die Bundesregierung hätte, wenn sie wollte, wirksame Instrumente. Sie könnte den Vertrieb von problematischen Derivaten für normale Anleger untersagen. Sie könnte die Banken verpflichten, mehr Eigenkapital vorzuhalten und ihr Handeln genau zu dokumentieren. Außerdem wäre eine Finanztransaktionssteuer in Europa dringend nötig, die den Hochgeschwindigkeitshandel an den Börsen mit komplexen Produkten unterbindet. Kukies müsste plötzlich das Gegenteil von dem vertreten, was er jahrelang praktiziert hat.

privat

Gerhard Schick45, ist der Finanzexperte der Grünen-Bundestagsfraktion. Schick sitzt seit 2005 im Parlament und hat sich intensiv mit der Finanzkrise beschäftigt.

Und das ist unmöglich? Die SPD ist seit Jahren für die Finanztransaktionssteuer.

Mir fehlt da leider die Hoffnung. Es gibt in der Finanzmarktbranche zwar viele feine Leute, die gesellschaftlichen Mehrwert schaffen wollen. Sie suchen sich aber die Bereiche raus, in denen sie Gutes tun können. Sie arbeiten zum Beispiel im Kreditgeschäft, um Unternehmen mit guten Ideen mit Geld zu versorgen. Im Investmentbereich aber wird immens viel Geld mit schädlichen Produkten verdient, die von der Realwirtschaft völlig abgekoppelt sind. Wer Chef einer Investmentbank ist, muss sich damit stark identifizieren.

Wie hat Goldman Sachs während der Finanzkrise agiert?

Das Unternehmen hat eine große Hybris ausgestrahlt. Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein hat sich 2009 kurz nach dem Höhepunkt der Finanzkrise in einem Zeitungsinterview als Banker bezeichnet, der „Gottes Arbeit verrichtet“. Damals zahlte das Unternehmen schon wieder Rekordboni an seine Leute aus. In Europa ist die Firma mit einer Reihe von windigen Geschäften verbunden. Sie half zum Beispiel mit, die Staatsverschuldung von Griechenland und Italien mit Tricks nach außen solide aussehen zu lassen. Goldman Sachs ist schon speziell.

Auch EZB-Chef Mario Draghi arbeitete früher für Goldman Sachs, ebenso der US-Finanzminister. Warum wechseln so viele Goldman-Sachs-Leute in die Politik?

Goldman Sachs ist die Investmentbank, die am stärksten um Einfluss in öffentlichen Angelegenheiten buhlt. Diese personellen Verflechtungen sind Teil der Geschäftsstrategie – und viel Geld wert. Es rechnet sich in diesem Bereich besonders, Einfluss auf politische Entscheidungen zu haben. Die Drehtür funktioniert übrigens in beide Richtungen. Neulich ist der ehemalige EU-Präsident José Manuel Barroso als Berater zu Goldman Sachs gewechselt.

„Scholz hat wohl gesehen, dass er wenig Ahnung von den Finanzmärkten hat“

Was glauben Sie: Warum hat Scholz Kukies geholt?

Der neue Finanzminister hat wohl gesehen, dass er selbst wenig Ahnung von den Finanzmärkten hat – und dass er jemanden braucht. Wahrscheinlich wollte er auch demonstrieren, dass Politik und Privatwirtschaft gut kooperieren. Dieser Ansatz ist aber schon unter seinem sozialdemokratischen Vorgänger Peer Steinbrück krachend gescheitert. Der hörte auch auf die falschen Leute in der Branche.

Welchen Kurs wird Scholz aus Ihrer Sicht fahren?

Ich befürchte, dass Olaf Scholz CDU-Finanzpolitik mit SPD-Parteibuch machen wird. In der Europapolitik wird es vielleicht kleine Kursänderungen geben, weil sich das viele in der SPD wünschen. Aber bei Steuer- und Haushaltsfragen oder bei der Finanzmarktregulierung wird es keine relevanten Verbesserungen geben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen