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Drittklassige Löwen unterwegs in Europa

Irrer Terminstreit – warum der deutsche Handball-Meister seine zweite Mannschaft zum Champions-League-Spiel nach Polen schickt

Zum Verzweifeln: Löwe Rafael Baena spielt gegen Kiel, nicht gegen Kielce Foto: imago

Aus Kronau Michael Wilkening

Die Generalprobe ist gelungen, aber Michel Abt weiß, dass das keine Aussagekraft hat. Der Trainer der zweiten Mannschaft der Rhein-Neckar Löwen ist sich bewusst, dass er sich am kommenden Samstag auf einer Mission befindet, die nicht erfolgreich bewältigt werden kann. Gegen den TuS Fürstenfeldbruck gewannen die „Junglöwen“ am vergangenen Wochenende ungefährdet 34:27, doch das war die Dritte Liga – und nicht die europäische Königsklasse. Dort wird es am Samstag nur darum gehen, die Demontage nicht zu groß werden zu lassen. Abt tritt mit seiner Mannschaft im Achtelfinale der Champions League bei KS Kielce an.

Ein irrer Terminstreit zwischen europäischem Verband (EHF), der deutschen Handballliga (HBL) und den Löwen hat dazu geführt, dass die Reserve-Mannschaft nach Polen reist, während die Profis des deutschen Meisters beinahe zeitgleich in der Liga beim Rekordmeister THW Kiel antreten. Diese Partie wird zur besten Sportschau-Zeit live in der ARD übertragen.

„Ich bin mir vollkommen bewusst, dass wir den Hintern versohlt kriegen“, sagt Abt, wenn er daran denkt, was beim polnischen Serienmeister und Champions-League-Sieger von 2016 geschehen wird. Über die genaue Höhe der zu erwartenden Niederlage möchte der Trainer nicht spekulieren, aber er wird wissen, dass es bereits ein Erfolg wäre, mit 20 Toren Unterschied zu verlieren.

Die Niederlage der Löwen-Reserve in Kielce wird deftig und im Rückspiel eine Woche später in Mannheim nicht mehr aufzuholen sein. Das wissen die Verantwortlichen bei den Rhein-Neckar Löwen, die mit ihrer Entscheidung bewusst die Chance aufgegeben haben, in der Champions League eine Runde weiter zu kommen. Ein Heimrechttausch, um der Terminkollision aus dem Weg zu gehen, lehnten die Löwen ab.

Die Kieler, grundsätzlich von der gleichen Terminproblematik betroffen, gingen einer Konfrontation aus dem Weg, in dem sie das Heimrecht mit dem ungarischen Team SC Szeged tauschten. Ein Verschieben des Champions-League-Duells der Badener auf den Sonntag wurde von der EHF nicht erlaubt – die Lage ist nach vielen kleineren Konflikten der Vergangenheit verfahren. „Uns wurde oft vorgeworfen, dass wir zu deutschlandfreundlich handeln würden. Diesmal haben uns viele Klubs gelobt, dass wir uns nicht den Wünschen der deutschen Liga gebeugt haben“, sagt EHF-Präsident Michael Wiederer.

So kommt es nun also zum ungleichen Duell in Kielce. „Wir müssen sehr diszipliniert spielen, die Angriffe lange ausspielen und brauchen in der Anfangsphase etwas Glück“, sagt Abt. In den ersten Minuten irgendwie mithalten, etwas Selbstvertrauen aufbauen und dadurch die Pleite nicht zu einer Blamage werden lassen – das ist der Wunsch der Löwen-Talente und ihres Trainers.

Die Niederlage in Kielce wird deftig und im Rückspiel nicht mehr aufzuholen sein

Es ist schwierig genug, mit einer ambitionierten Mannschaft aus der Dritten Liga in einer K.-o.-Runde der europäischen Königsklasse anzutreten, aber für Abt kommt hinzu, dass er mit einer Rumpfmannschaft nach Kielce reisen wird. Die vier besten Akteure stehen nicht zur Verfügung. Sie sind verletzt oder dürfen nicht eingesetzt werden, weil sie zu Ausbildungszwecken auch ein Spielrecht beim Erstligisten Ludwigshafen haben. Nach EHF-Statuten sind sie demnach in der Champions League nicht spielberechtigt. „Vielleicht werden der Co-Trainer und der Torwart-Trainer reaktiviert, mal sehen“, meint Abt.

Für die Champions League ist der Imageschaden immens und in der EHF-Zentrale in Wien ist der Ärger über den Streit, den der deutsche Klub habe eskalieren lassen, entsprechend groß. Wiederer schloss nicht aus, dass den Löwen ihr Verhalten zu einem späteren Zeitpunkt Nachteile bringen könnte: „Jetzt direkt wird es keine Konsequenzen geben. Es ist aber ein Kriterium für künftige Teilnahmen, wie der Klub den Wettbewerb wertschätzt.“

Das ist Zukunftsmusik, zunächst startet der Löwen-Nachwuchs am Freitag seine Reise nach Kielce, was das nächste Problem nach sich zieht. Das reguläre Ligaspiel gegen den TV Neuhausen am Freitagabend wird eine verstärkte A-Jugend-Mannschaft bestreiten. „Neuhausen hat einer Spielverlegung nicht zugestimmt“, sagt Abt. Der Löwen-Gegner befindet sich aktuell im Abstiegskampf und erhofft sich nicht eingeplante Punkte. Die Konkurrenten der Neuhausener schmollen ob der Wettbewerbsverzerrung im Kampf gegen den Abstieg. „Das kann ich verstehen“, räumt Abt an – und so wirkt der Terminstreit in der Champions League bis in die Niederungen des Handballs in Deutschland hinein.

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