piwik no script img

Die WahrheitDie vier Elemente: Luft

René Hamann
Kolumne
von René Hamann

Wenn der Winter nicht weg geht, ist es an der Zeit, persönlich gewonnenes meteorologisches Fachwissen wieder auszugraben.

I ch lag erschossen auf dem Sofa, als plötzlich Schnee vom Himmel fiel. Sollte nicht allmählich Frühling werden? Kalendarisch, moralisch, epikurisch und vor allen Dingen meteorologisch? Und was soll dieser Schmerz, der einen überkommt, wenn das Fenster geöffnet und die kalte Winterluft hereingelassen wird? Ist das eine hypochondrische Reaktion auf die laufende Dieseldebatte oder sind das einfach Atembeschwerden, weil die Luft so kalt ist?

Mit dieser späten Kaltfront, wie sie uns jetzt Mitte März noch ereilte, war jedenfalls nicht zu rechnen gewesen. Die Norwegerpullis waren schon alle weggeräumt.

Zu einer Zeit, als es noch Telefonkarten gab und Enteiserspray für den morgens zuverlässig zugefrorenen VW Käfer meiner Mutter, jobbte ich als Student in einem Vertriebsbüro für Türluftschleier. Türluftschleier, das sind diese lustig sausenden Geräte, die über den Eingängen großer Kaufhäuser hängen und die Luft so regulieren, dass die Türen offen stehen und es drinnen trotzdem nicht kalt wird. Schleier aus Luft also.

Das Betriebsbüro war klein und dennoch geräumig, in dem Kabuff, in dem ich dafür zu sorgen hatte, dass die Kataloge richtig zusammengestellt waren, zog es leider ziemlich. Der Betriebsleiter war werdender Vater mit viel überschüssiger Energie, der seine Frau am Telefon wortreich dazu antrieb, endlich was zu machen, um die Geburt einzuleiten. Vom Tisch springen oder so.

Es war der üblich öde Studentenjob, lausig bezahlt, mit netten Kollegen und einem angenehm absenten Chef und vielen Rauchpausen im Freien, aber tatsächlich habe ich auch etwas gelernt. Über Luftmassen. Die fallen und sich bewegen, die sich aufheizen und von der Erdumdrehung angefeuert werden und dann wieder auf den Boden fallen, also von Hochs und Tiefs und so. Von Cumuluswolken und tiefen Schichtwolken, und all den anderen, von Klimazonen und Vorhersagen.

Das meiste habe ich leider wieder vergessen. Aber wer braucht schon meteorologisches Fachwissen? Kurz vor Ostern hat es wärmer zu werden, irgendwann ist auch mal gut mit Winter, die Geister sollten doch schon Karneval alle vertrieben sein und schließlich wollen die Kinder die Eier bald draußen suchen und nicht unter dem Gelsenkirchener Barock.

Stichwort Möbel: In einer Onlinebroschüre über Schlafsofas tauchte der Satz auf „Dieser Stoff bietet ihnen bis zu 20.000 Scheuertouren“. Es gibt also eine Maßeinheit für Abgewetztheit, dachte ich, während ich immer noch erschossen auf dem Sofa lag. Das bestimmt schon bei 25.000 Scheuertouren war.

Ich sollte mal aufmöbeln, dachte ich. Sofa, Sessel, Türluftschleier – das ist doch alles von gestern! „Kaufte man früher eine Schrankwand fürs Leben steht Langlebigkeit heute längst nicht mehr im Mittelpunkt. Viele Menschen müssen berufsbedingt öfters umziehen. Deswegen geht der Trend zu flexiblen Möbeln“, las ich.

Und die Luft hier, die sollte auch mal wieder ausgetauscht werden.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

René Hamann
Redakteur Die Wahrheit
schreibt für die taz gern über Sport, Theater, Musik, Alltag, manchmal auch Politik, oft auch Literatur, und schreibt letzteres auch gern einmal selbst.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Zitat: „Kaufte man früher eine Schrankwand fürs Leben[,] steht Langlebigkeit heute längst nicht mehr im Mittelpunkt. Viele Menschen müssen berufsbedingt öfters umziehen. Deswegen geht der Trend zu flexiblen Möbeln“.

     

    Schade, dass der Trend immer noch HIN zum berufsbedingten häufigen Umziehen geh, und noch nicht WEG davon. Ginge er weg davon, würde das die Ressourcen des Planeten schonen und vielleicht sogar das Klima retten. Der Trend zu Umzgen und Wegwerfmöbeln schont bzw. rettet bloß die Dividende von Leuten, die weder den alten Käfer ihrer Mutter fahren noch auf einem abgewetzten Sofa liegen brauchen.

     

    Wieso man Leuten, die zu viel Geld übrig haben, noch welches hinterher werfen muss mit der Begründung, nur dann könnten sich richtig viele fleißige Menschen nach Feierabend derart „erschossen“ fühlen, dass sie ihre Fester nicht mehr öffnen und auch nicht mehr vor die Tür gehen, muss mir bei Gelegenheit mal wer erklären. Von selbst erschließt sich mir die Logik hinter dieser Argumentation nämlich nicht.

     

    Wahrscheinlich gibt es ja auch eine Art Türluftschleier für den „Wind Of Change“. Das Gerät wird in einem Gewerbegebiet bei Gelsenkirchen von Billigarbeitern produziert und trägt je nach Dekor Bezeichnungen wie Ideologie, Manipulation, Produktwerbung oder Panikmache. In allen Fällen aber verhindert es, dass sich eventuelles Wissen gesellschaftstheoretischer Art praktisch realisiert.

     

    „Irgendwann“, denkt sich der Bundesbürger offenbar, „werden die Landschaften ganz sicher flächendeckend blühen, wenn ich den Markt nur ganz frei walten lasse. So, wie es wieder Frühling werden wird: Ganz von allein“.