: Wo Menschen fehlen, soll es Technik richten
Gut dreieinhalb Millionen Pflegebedürftige könnte es im Jahr 2030 in Deutschland geben. Was nicht von selbst mitwächst: die Zahl der Pflegenden (und auch dafür Bezahlten). In Hannover ließ sich auf einer Messe bestaunen, wer es richten soll
Von Christina Sticht, dpa
Er ist 1,20 Meter groß, hat kugelrunde Augen und bewegt sich auf Rollen freundlich auf die Menschen zu. Roboter „Pepper“ könnte bald in deutschen Pflegeheimen zum Einsatz kommen und Bewohner mit Musik und Pantomime unterhalten oder zu Bewegungsübungen anleiten. Das von Informatikern der Universität Siegen programmierte Gerät soll auch eine gesellschaftliche Diskussion über den Einsatz von Robotern in der Pflege anregen. Anfang des Monats hat Pepper im Rahmen einer Deutschland-Tour Station gemacht bei der Messe „Altenpflege 2018“ in Hannover.
In Japan ist der menschenähnliche Roboter bereits auf dem Markt und unterhält Senioren zum Beispiel mit Tai-Chi oder Ratespielen. Dort seien die gesellschaftlichen Veränderungen insgesamt schon viel weiter vorangeschritten, sagt Rainer Wieching, der das gemeinsame Projekt der Universität Siegen, der Computerfirma C&S und der Fachhochschule Kiel koordiniert. Auch weil in Japan die Bevölkerung extrem überaltert ist, sollen dort verstärkt Maschinen Betreuungsaufgaben übernehmen. Schon länger im Einsatz ist so auch eine Roboterrobbe mit kuscheligem Fell – eine Art Haustierersatz für Altenheim-Bewohner.
„Der Roboter ist kein Ersatz für Menschen“
Rund 26.000 Menschen haben Anfang des Monats die dreitägige Fachmesse „Altenpflege 2018“ in Hannover besucht. Die Veranstalter zogen zum Abschluss am 8. März eine zufriedene Bilanz. Rund 550 Aussteller hatten den Angaben zufolge ihre neuen Produkte und Dienstleistungen präsentiert.
Den Schwerpunkt bildeten dabei Aspekte der Digitalisierung (siehe auch Kasten rechts). In diesem Bereich planen nach Messeangaben fast alle Pflegeunternehmen in den kommenden Jahren zu investieren.
Zu den herausragenden Programmpunkten gehörte den Veranstaltern zufolge ein Wettbewerb für Pflege-Start-up-Unternehmen. Ausgezeichnet wurde dabei unter anderem eine „Sturz-App“ für Smartphones, die Senioren, Ärzte, Pflegepersonal und Angehörige miteinander vernetzt.
Die nächste „Altenpflege“-Messe: vom 2. bis 4. April 2019 in Nürnberg. (epd/dpa/taz)
In Deutschland sind der jüngsten Statistik aus dem Jahr 2015 zufolge derzeit knapp 2,9 Millionen Menschen auf ambulante und stationäre Pflege angewiesen. Ihre Zahl könnte sich bis zum Jahr 2030 aber erhöhen bis auf etwa 3,6 Millionen. Schon jetzt herrscht in diesem Bereich aber Fachkräftemangel, Stellenangebote für examinierte Altenpfleger bleiben im Schnitt für 171 Tage unbesetzt.
„Der Roboter kann den Menschen nicht ersetzen“, sagt Lukas Sander vom Pflegemesse-Veranstalter Vincentz Network. Bei den digitalen Angeboten, die jetzt in Hannover gezeigt wurden, überwogen denn auch Hilfen, die den Alltag erleichtern. So gab es etwa Systeme zu sehen, die an die fällige Medikamenten-Einnahme erinnern. Oder ein intelligentes Pflegepflaster, das über seine Sensoren erkennt, ob die Gefahr des Wundliegens besteht – und dann das Personal benachrichtigt. „Absolut im Kommen ist auch das sogenannte Smart Home“, sagt Experte Sander. Damit gemeint sind Assistenzsysteme, die Senioren unterstützen, um möglichst lange in den eigenen vier Wänden bleiben zu können.
Bereits Preise gewonnen hat der interaktive Therapieball des Unternehmens Ichó: Die in verschiedenen Farben leuchtende Kugel kann unterscheiden, ob sie geworfen, gehalten oder gestreichelt wird. Man kann sie auf die individuellen Bedürfnisse des Nutzers einstellen. Steffen Preuß, Absolvent der Hochschule Düsseldorf, hat Ichó zusammen mit zwei Kommilitonen gegründet. Hintergrund war die Demenzerkrankung seiner eigenen Großmutter. Mit dem Ball sollen Demenzkranke spielerisch Kontakt untereinander oder zu Angehörigen aufnehmen. Es gebe auch schon Anfragen aus Therapieeinrichtungen für behinderte und psychisch kranke Menschen, sagt Preuß. Ende des Jahres soll der Ball auf den Markt kommen.
Zahlreiche digitale Altenpflege-Projekte gibt es nach Angaben des dortigen Sozialministeriums schon heute in Niedersachsen. So seien in Braunschweig und Lüneburg Wohnungen eingerichtet worden, die mit „Ambient Assisted Living“-Systemen (AAL) ausgestattet sind; in Braunschweig ist das Paul-Reichertz-Institut Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik der Medizinischen Hochschule Hannover beteiligt. In den Wohnungen gibt es beispielsweise Sensorteppiche, die Angehörigen, Nachbarn oder Pflege-Dienstleistern melden, wenn der Bewohner stürzt.
Das Landesprogramm „Wohnen und Pflege im Alter“ fördert Projekte, die Senioren ein weitgehend selbstständiges Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen. Dabei spielen dem Ministerium zufolge auch E-Health, E-Care oder das erwähnte AAL eine Rolle. Auch in der Telepflege gebe es erste Projekte. Gefördert werden zudem EDV-basierte Systeme von Dienstleistern der ambulanten Pflege.
AAL soll es älteren Menschen möglich machen, so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung zu leben, selbstbestimmt, autonom und mobil – auch und gerade mit Hilfe von technischen Hilfsmitteln. Dabei geht es nicht um Mildtätigkeit: Die Website von AAL Deutschland (www.aal-deutschland.de) weist etwa prominent hin auf angeblich beträchtliche „Marktpotenziale“. (dpa/taz)
Wie die Pflege von morgen technisch unterstützt werden kann, ist eine zentrale Frage: Unter wissenschaftlicher Begleitung erproben dies seit Jahresbeginn auch vier sogenannte „Pflegepraxiszentren“ in Hannover, Freiburg, Nürnberg und Berlin. Das Bundesforschungsministerium stellt für diesen Verbund – Name: „Zukunft der Pflege“ – bis 2022 bundesweit 20 Millionen Euro zur Verfügung.
Roboter Pepper könne und solle keine echten pflegerischen Tätigkeiten wie Waschen, Kämmen oder Ankleiden ausführen, sagt Projektleiter Wieching. Es sei aber extrem wichtig, jetzt in Gesellschaft und Politik ethische und rechtliche Fragen zu Pflegerobotern zu beantworten. Denn: „Viele Forschungsgruppen arbeiten schon an Nachfolgemodellen.“
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