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G20: Polizist warf Bierdose auf KollegenAstra gegen Polizeigewalt

Bei einer G20-Demo schleuderte ein Polizist eine volle Bierdose auf seine KollegInnen. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn.

Bei der Welcome-to-Hell-Demo fliehen G20-Gegner auf eine Flutschutzmauer Foto: Bodo Marks/dpa

HAMBURG taz | Er sei wütend gewesen, sagt der Polizist Oliver D., er habe sich ohnmächtig gefühlt angesichts der Ereignisse und er habe Angst vor weiterer Polizeigewalt gehabt. So begründet der bayerische Polizeibeamte seinen spontanen und gezielten Wurf mit einer vollen Bierdose in Richtung anderer Polizeikräfte.

Am Vorabend des G20-Gipfels in Hamburg war der 35-jährige Münchener Augenzeuge – und zugleich Opfer – geworden, wie PolizistInnen mehrerer Festnahmeeinheiten ohne Vorwarnung mit gezogenen Knüppeln in die Protestdemonstration „Welcome to Hell“ gestürmt waren. In der Hafenstraße, nur wenige Meter vom Fischmarkt entfernt, wo die Demo mit 12.000 TeilnehmerInnen hatte starten wollen, zerschlugen die BeamtInnen die Versammlung.

Die Szenen sind auf mehreren Videos im Internet dokumentiert. Auf einem Video von Spiegel TV sind auch Oliver D. und seine Hamburger Lebensgefährtin Johanna K. zu sehen, zu der er frühmorgens gereist war, um sie zu besuchen.

Während eine Einstellung DemonstrantInnen zeigt, die auf der Flucht vor den Politzeiknüppeln die Flutschutzmauer erklimmen, sieht man im nächsten Moment D. und seine Freundin K., sich in der Not über eine Treppe in relative Sicherheit bringen. Im Hintergrund hört man laut die Rufe der DemonstrantInnen in Richtung der Polizei: „Wir sind friedlich, was seid ihr?“

Interview nach Dosenwurf

Als sie an einer Straßenüberführung stehen, sehen die beiden, wie unter der Brücke Beweis- und Festnahmeeinheiten der Polizei DemonstrantInnen nachsetzen, die auf die Straße flüchten. D. schleudert seine Bierdose auf die Straße.

Ermittlungen gegen PolizistInnen nach G20

138 Ermittlungsverfahren sind gegen PolizeibeamtInnen eingeleitet worden, denen Fehlverhalten und Gewalt vorgeworfen wird. Mehr als 50 Verfahren wurden von Amts wegen eingeleitet.

Die Vorwürfe gegenüber den BeamtInnen lauten in den meisten Fällen Körperverletzung im Amt (177 Fälle) , in 15 Fällen geht es auch um Nötigung oder Freiheitsberaubung, in einem Fall um sexuelle Belästigung. 118 Fälle wurden bereits an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.

Anklagen durch die Staatsanwaltschaft sind noch nicht erhoben worden. Die Staatsanwaltschaft begründet das damit, dass die Ermittlungen aufwendig seien und keine Eile bestehe, da kein Polizist in Untersuchungshaft sitze.

Eingestellt hat die Staatsanwaltschaft schon 33 Verfahren. Die Begründung: Es bestehe kein hinreichender Tatverdacht.

Das Dezernat Interne Ermittlungen, das gegen mutmaßliche GewalttäterInnen in den eigenen Reihen ermittelt, geht laut einer Anfrage der Linksfraktion aktuell von 127 Opfern von Polizeigewalt aus, von denen allerdings 57 noch nicht identifiziert wurden.

Zwei Minuten später gibt das Paar Spiegel TV ein Interview. „Es ist nichts passiert auf dem Platz, und die Bullen sind voll reingegangen“, sagt die 29-jährige K. mit einer Bierdose in der Hand. Entrüstet und in bayerischem Dialekt fügt Oliver D. hinzu: „Also, es war wirklich friedlich. Man hat in der Ferne ein, zwei Knalle gehört. Und dann kommt aus jeder Ecke die Polizei. Völlig unverständlich.“

Was der TV-Zuschauer, und wahrscheinlich auch das Team von Spiegel TV in dem Moment nicht weiß: Der Mann, der sich da vor laufender Kamera über die Polizei beschwert, ist selbst Polizist, seit zehn Jahren im Dienst. Er diente in Hundertschaften der bayerischen Bereitschaftspolizei, war bei Demos im Einsatz, fuhr später im Revierdienst in München Streife. Zuletzt arbeitete er in der Notfall-Einsatzzentrale im Münchener Präsidium.

Trotz der von ihm im Fernsehen geäußerten Kritik bleibt D. im Polizeiapparat monatelang unbehelligt. Erst im Januar fällt er seinen Vorgesetzten auf: Im Rahmen einer polizeiinternen Fahndung, in der das Bundeskriminalamt nach RandaliererInnen sucht, gehen Videos der G20-Sonderkommission Schwarzer Block nach München. Auf einem davon ist D. zu sehen und wird von Kollegen erkannt.

Die kurze Sequenz des Videos von 20:07 Uhr zeigt, wie etwa 20 BeamtInnen mit Helmen und Knüppeln in einen Brückentunnel laufen. Oben am Geländer der Brücke steht ein Mann im Pulk, leger gekleidet mit T-Shirt und Jeans. Er holt mit rechts aus und schmettert eine Bierdose Astra-Pils in die Tiefe. Sie prallt auf Kopfsteinpflaster, hüpft, spritzt, kullert und bleibt liegen.

Auf Antrag der Soko Schwarzer Block leitet die Staatsanwaltschaft Hamburg nach der Identifizierung Ds. Ermittlungen gegen D. und K. ein. Der Verdacht: Versuchte gefährliche Körperverletzung und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte. Die Wohnungen des Pärchens in München und Hamburg werden durchsucht, D. vom Dienst suspendiert.

Aufgebracht über Polizeigewalt

Für D.sAnwalt Alexander Kienzle liegt keine Straftat vor. „Weder wurde eine Dose auf Polizeibeamte geworfen, noch geschah dies in Verletzungsabsicht“, schreibt Kienzle in einer sogenannten „Schutzschrift“ an die Staatsanwaltschaft. Das Verfahren sei einzustellen, es liege kein hinreichender Tatverdacht vor. D. räume zwar einen Dosenwurf ein, er habe aber so gezielt, dass er niemanden habe treffen können. Zum Zeitpunkt des Aufpralls seien die nächsten Polizisten, die Richtung Tunnel liefen, anderthalb bis zwei Meter entfernt gewesen.

Kienzle sagt, D. habe geworfen, nachdem der erste Trupp aus Polizisten unten im Tunnel verschwunden sei. Als die Dose auf dem Boden lag, habe es drei Sekunden gedauert, bis die nächsten Polizisten kamen. Es sei kein Beamter in Gefahr gewesen.

Kienzle betont gegenüber der taz, dass diese Angaben keine neu von ihm entwickelte Verteidigungsstrategie seien – vielmehr habe D. schon bei der ersten Vernehmung durch die Münchener Polizei im Januar einen Dosenwurf aus Wut über das Unrecht eingeräumt. Er habe aber keine Kollegen treffen wollen.

Dass seine Kollegen die Welcome to Hell-Demo auf dem Fischmarkt mit gezogenem Knüppel aufgelöst hätten, sei mit seinem Verständnis der Rechtslage nicht vereinbar gewesen. Eine Räumung hätte die Polizei, wie es das Versammlungsgesetz vorsieht, ankündigen müssen.

Laut der Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft, Nana Frombach, ist bislang noch keine Anklage gegen D. erhoben worden. „Die Federführung der Ermittlungen liegt weiterhin bei der Soko Schwarzer Block, die den Fall noch bewertet“, sagt Frombach.

Für D. geht es um die berufliche Existenz. Sollte es zum Prozess und einer Verurteilung kommen, obwohl niemand verletzt wurde, ist er wohl seinen Job los. Allerdings könnte in einem Gerichtsverfahren auch zur Sprache kommen, ob der vom G20-Gesamteinsatzleiter Hartmut Dudde angeordnete Polizeieinsatz vielleicht rechtswidrig war.

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3 Kommentare

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  • Wenn der Polizeieinsatz rechtswidrig war und zum gegebenen Zeitpunkt auch keine Gewalt von den Demonstranten ausging, dann bleibt vor allem übrig, daß da Polizisten gemeinschaftlich einen rechtswidrigen bewaffneten Angriff auf friedliche Bürger starteten und daß andere Polizisten es unterlassen haben, die Bürger vor diesem rechtswidrigen Angriff zu schützen.

     

    Aber wie bezeichnet man ein solches Geschehen korrekt? "Dumm gelaufen", und das war's dann? Oder gemeinschaftlich begangene gefährliche Körperverletzung an einer Vielzahl friedlicher Bürger in Tateinheit mit Verfolgung Unschuldiger und Sabotage an rechtsstaatlichen Grundsätzen?

  • Anderthalb bis zwei Meter ist zwar nicht viel, dennoch ist die taz-Überschrift irreführend und ein journalistischer Fauxpas.

  • Sehr schön erzählt Kai. Wäre das toll, wenn Herr Dudde vor Gericht Auskunft geben müsste, warum er Polizisten in die Demo stürmen ließ, ohne das Vorgehen der Polizei per Lautsprecher anzukündigen. Ralf Kaiser