Nachwahlen in Pennsylvania: Eine Geschichte über Moral und Stahl
Einst war Pittsburgh eine Stahlhochburg und 2016 einer von Trumps erfolgreichsten Wahlkreisen. Heute liegen Demokraten und Republikaner gleichauf.
Nach knapp 17 Minuten Medienschelte verlässt der 60-jährige Saccone mit grimmigem Gesichtsausdruck seine Pressekonferenz in der Vorstadt Green Tree. Er hat sich einmal als „Trump, bevor es Trump gab“, bezeichnet. Aber in diesem Moment wirkt er wie einer, der sich auf Verlieren eingestellt hat und zum Schluss noch auf jene eindreschen will, die er für verantwortlich hält.
Tatsächlich sieht es knapp aus. In dem Wahlkreis, in dem Donald Trump in November 2016 fast 20 Prozent vor Hillary Clinton lag, liegen nur eineinhalb Jahre später der Republikaner und ein Demokrat gleichauf. Manche Umfragen sehen den Demokraten, den 33-jährigen Conor Lamb, der bis vor wenigen Monaten ein Unbekannter war, sogar in Führung.
Demokrat Lamb gehört zum rechten Flügel seiner Partei. Er war ein Staatsanwalt, bevor er kandidierte, war drei Jahre bei den Marines, er sagt, dass er privat gegen Abtreibung ist, und lobt ausdrücklich Trumps Steuerreform. In einem Wahlkampfvideo ist er mit einem Maschinengewehr auf einem Schießplatz zu sehen. Diese Positionen machen ihn wählbar für bestimmte Republikaner und umso gefährlicher für den republikanischen Kandidaten.
Ein demokratischer Wahlsieg würde die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus nicht gefährden. Und der neugewählte Abgeordnete wird ohnehin nur bis zu den Halbzeitwahlen im November im Amt bleiben, wenn auch der 18. Wahlkreis in Pennsylvania neu wählt. Aber drei Monate nach Alabama wäre es die zweite republikanische Wahlniederlage in einer konservativen Hochburg. Es gäbe den Demokraten Aufwind und würde die Republikaner in Bedrängnis stürzen.
Abtreibung sei ein „Übel“
Diese Perspektiven haben die Nachwahlen in der Provinz zu einem nationalen Ereignis gemacht. Allein aus der Familie Trump sind drei Mitglieder für Auftritte nach Pennsylvania gereist – der Präsident, seine Tochter Ivanka und sein Sohn Donald. Die Demokratische Partei hat ihren Exvizepräsidenten Joe Biden geschickt. Und Gewerkschafter aus dem ganzen Land haben in den letzten Tagen an die Haustüren von Gewerkschaftsmitgliedern im Wahlkreis 18 geklopft, damit sie dieses Mal demokratisch wählen.
In den zurückliegenden Jahren hatte die Demokratische Partei nicht mal bei allen Wahlen eigene Kandidaten ins Rennen geschickt und der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO des Öfteren Kandidaten der Republikaner unterstützt. Aber bei Saccone, der erklärtermaßen die Gewerkschaften aushungern will, geht das nicht. Kim Miller, von der einst in Pittsburgh gegründeten Stahlarbeitergewerkschaft SWU sagt bei einer ihrer letzten Runden vor dem Urnengang, dass sie dieses Mal ein gutes Gefühl hat: „Conor steht auf unserer Seite.“
Doch nachdem Saccone seine Pressekonferenz verlassen hat, versichern jene, die ihm zuvor als menschliche Kulisse gedient haben, dass bei den Nachwahlen zum Repräsentantenhaus im 18. Wahlkreis in Pennsylvania alles beim republikanischen Alten bleiben werde. „Natürlich gewinnt Rick“, ist John Di Lallo überzeugt. Er gehört zu einer Organisation namens „Schusswaffenbesitzer gegen Verbrechen“, die ihre Wahlempfehlungen daran misst, wie aufgeschlossen Kandidaten gegenüber Schusswaffen sind.
Annette Kroll, die Versicherungen verkauft und ebenfalls hinter dem Kandidaten Saccone gestanden hat, nennt die USA „die großzügigste Nation der Welt“, will aber „zuerst an unsere eigene Industrie denken“. Und die Rentnerin Karin Affinito versichert der deutschen Reporterin, dass die Medienschelte nicht ihr gegolten habe: „Sie arbeiten ja nicht für die US-Medien.“
Auf einer Stehtafel in dem republikanischen Büro steht das Plansoll für Telefonanrufe bei Wählern: 15.000. Auf einem Tisch liegen Stapel von Handzetteln mit den Hauptargumenten. Darunter ein DIN-A5-Blatt mit einer Zeichnung von einem Fötus und dem Hinweis, Abtreibung sei ein „Übel“, das jeden Kandidaten von öffentlichen Ämtern disqualifiziere.
„America First“ neu beleben – dieses Mal mit Stahl
Heucheleien über Sex und Moral haben die Nachwahl in Pennsylvania nötig gemacht. Der Republikaner Tim Murphy, der 14 Jahre lang für den Wahlkreis im Repräsentantenhaus saß, gab öffentlich den Politiker für „Familienwerte“ und gegen „Abtreibung“. Aber privat hatte er eine außereheliche Geliebte, und als diese glaubte, sie wäre schwanger, schlug er ihr eine Abtreibung vor. Als das im vergangenen Herbst herauskam, hatte Murphy das zusätzliche Pech, dass gerade die „Me-Too“-Empörung durch das Land ging. Er konnte sich nicht mit „Beten und Reue“ herauszureden, und musste zurücktreten.
Die Affäre in der Provinz gab Trump die Gelegenheit, seinen Slogan von „America First“ wieder zu beleben. Dieses Mal mit Stahl. Pittsburgh liegt am südlichen Rand des Rust Belt. Die Stadt hat längst kein Stahlwerk mehr und im Gegensatz zu anderen Städten aus dem Rust Belt hat sie es geschafft, neue Technologien anzuziehen.
In Homestead, ein paar Meilen flussaufwärts am Monongahela-Fluss, wo früher das größte Stahlwerk der Welt den Himmel orange färbte, befindet sich heute eine meilenlange Mall, wo die Beschäftigten den Mindestlohn bekommen, anstatt der Spitzenlöhne die dort früher die Stahlarbeiter verdienten. Aber bis heute nennt Pittsburgh sich „Steel City“, sein Football-Team, das sechs Mal den Super Bowl gewonnen hat, sind die „Steelers“, und die Region, die Pittsburg nach Ohio führt, trägt den Namen „Steel Valley“.
„Der Stahl ist zurück“, ruft Trump ins Mikrofon, als er am Samstagabend vor mehreren tausend Menschen aus dem Steel Valley in einer Flugzeughalle bei Pittsburgh steht. Seit er die neuen Zölle unterschrieben hat, sind erst drei Tage vergangen, und kein Kenner glaubt, dass die US-Stahlindustrie vier Jahrzehnte danach wiederbelebt werden kann. Doch Trump will den Retter geben, wie schon bei der Kohle. Der Saal zu seinen Füßen ist an diesem Tag mit Nachfahren von Stahlarbeitern gefüllt, die mit den Geschichten von der guten alten Zeit aufgewachsen sind, ohne selbst davon profitiert zu haben.
„Ich bin 100 Prozent für höhere Zölle“, sagt Clinton Young aus Ohio. In der Familie des heute 45-Jährigen gingen die Männer „in den Stahl“. Aber als seine Schulzeit zu Ende war, gab es diese Option nicht mehr. Er wurde Busfahrer und bringt bis heute weniger Geld nach Hause, als sein Vater und sein Großvater. Wenn Trump es schafft, dann soll sein 15-jähriger Sohn, der mit ihm zu dem Meeting gekommen ist, in die Fußstapfen des Großvaters treten.
Trump beschreibt sich selbst als denjenigen, der die Aktienmärkte in die Höhe treibt, die Arbeitslosigkeit senkt und den nordkoreanischen Diktator an den Verhandlungstisch bringt. Und diese Menschen wollen ihm jedes Wort glauben. Sie haben ihn gewählt und sie spüren seit Jahresanfang wegen der Steuerreform eine kleine Verbesserung ihres Einkommens. Die Rentnerin Rebecca Costello zahlt jetzt monatlich 157 Dollar weniger Steuern „Er hat alles getan, was er versprochen hat“, schwärmt sie. Die einzige Kritik an Trump betrifft seine Tweets. Er sollte sich die Beleidigungen verkneifen, sagen vor allem Frauen.
Er beteuert seine „Liebe“ zum Präsidenten
Aber als der Präsident ihnen immer neue Namen zum Fraß vorwirft, stürzen sich die meisten freudig darauf. Mindestens 14 Mal zieht er über die Medien her und weist mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf die Pressetribüne am anderen Ende des Raums, als wäre sie ein Ziel. Einen Fernsehmoderator nennt er einen „Hurensohn“. Dann macht er oppositionelle Frauen herunter, darunter mehrere afroamerikanische: Oprah Winfrey, wegen einer angeblichen „Schwäche“, die Kongressabgeordnete Maxine Waters wegen eines angeblich „niedrigen IQs'“. Das fast ausschließlich weiße Publikum sieht kein Problem. Es klatscht auch Beifall, als Trump die Todesstrafe für Dealer vorschlägt, wie es China und Singapore machen. Und als er droht, auch Mercedes Benz und BMW mit höheren Zöllen zu strafen.
Viele tragen die roten Schirmmützen aus Trumps erstem Wahlkampf mit der Aufschrift „Make America Great Again“. Aber er stellt an diesem Abend, bereits seinen Slogan für den nächsten Wahlkampf 2020 vor. Bis dahin sei Amerika – dank seiner – groß, sagt er. Weshalb er dann den Slogan benutzen will: „Keep America great“.
Nach einer Stunde und 17 Minuten Selbstbeweihräucherung holt Trump den Mann ans Mikrofon, wegen dem er überhaupt nach Pennsylvania gekommen ist: den schwächelnden republikanischen Kandidaten Rick Cassone. Der beteuert seine „Liebe“ zu dem Präsidenten, bedankt sich bei ihm und gibt ihm das Mikrofon zurück.
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