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„Wir sind kampferprobt“

Steilshoop ist ein armer Stadtteil. Doch die BewohnerInnen helfen sich selbst

Hier trifft man sich: das Café von Steilshoop Foto: Melina Mörsdorf

Von Liyang Zhao

Dunkelheit kann Dunkelheit nicht besiegen, nur Licht kann es“: Dieses Graffiti prangt an der Mauer vor der Bushaltestelle ,,Einkaufszentrum Steilshoop“. Die meisten Geschäfte in dem Einkaufszentrum stehen leer. Staub liegt auf den Lampenschirmen. Von den Decken hängen lose Kabel herunter und ein Arbeiter entfernt gerade einige Deckenplatten. Es ist still im Einkaufszentrum Steilshoop.

Zwischen verlassenen Räumen hat der Schuhmacherbetrieb ,,Miss Work“ noch nicht aufgegeben. Zwischen Schuhsohlen und Werkzeugen sitzt die Tochter des Schusters hinterm Tresen. ,,Mein Vater führt das Geschäft seit über 30 Jahren. Früher war das Einkaufszentrum ein lustiger Treffpunkt. Heute ist hier alles tot. Die Mieten sind einfach zu teuer“, klagt sie.

Vor einem Jahr gab es hier noch Rewe und Woolworth, sogar ein Reisebüro gab es im Einkaufszentrum Steilshoop. Heute herrscht gähnende Leere. Der dänische Investor Henrik Nygaard Johansen hat die Immobilie 2006 gekauft. Die AnwohnerInnen nennen ihn ,,den Dänen“. ,,Seitdem er Eigentümer ist, geht es hier bergab. Der Däne redet mit niemandem und kümmert sich nicht um das Gebäude.“, sagt der Gemüsehändler ein paar Meter weiter. ,,Es ist doch nur Steilshoop“, meint ein Herr im Vorbeigehen spöttisch, ,,da will doch eh keiner hin.“

Draußen sieht es ähnlich trist aus. Rund um die grauen Plattenbauten stehen hohe Baugerüste. Das Wohnungsunternehmen Vonovia saniert seine Wohnanlagen. Schon lange seien Instandhaltungen nötig gewesen, sagt Pierre Endries von der Mieterinitiative Steilshoop. Er sitzt im Café gegenüber an einem Tisch mit seinen Mitstreiterinnen Anke Ehlers und Kerstin Portugall. ,,Es gab Risse in der Außenfassade. Durch die eindringende Feuchtigkeit entstand Schimmel in den fensterlosen Räumen“, berichten die zwei Damen. Sie wohnen beide in von Vonovia verwalteten Wohnungen.

Statt sich um die Probleme zu kümmern, führe Vonovia energetische Modernisierungen durch und verlange nun höhere Mieten, sagt Ehlers. Einige Familien und Senioren würden so zum Auszug gezwungen. Die Mieterhöhungen schwankten zwischen 40 und 160 Euro. In einem Brief an die Mieterinitiative schreibt Vonovia: ,,Eine Rücknahme der angekündigten Mieterhöhungen wird nicht erfolgen. Die Vonovia rechnet nach den gesetzlichen Vorgaben ab. Bei Härtefalleinwänden bittet Vonovia darum, dass sich die Mieter direkt im Steilshooper Büro melden.“

Dabei fehlt es gerade den Steilshoopern an Geld. 23,8 Prozent der Menschen im Stadtteil beziehen Hartz IV. 49,1 Prozent aller unter 15-Jährigen sind davon betroffen, beschreibt das Statistische Amt im Bericht für 2016.

Zwischen Kickern und einem Billardtisch sitzt Roberto im Clubraum des ,,Hauses der Jugend“. Über ihm hängen bunte Lichter und eine Diskokugel. Der 21-Jährige ist im Stadtteil aufgewachsen. ,,Das Haus der Jugend ist das Beste an Steilshoop!“ sagt er enthusiastisch. Die staatliche Einrichtung wird durch das Bezirksamt und den Förderverein ,,Das Haus e.V.“ gefördert. Das Haus stellt unter anderem ein Tonstudio zur Verfügung und betreibt einen Bildungsaustausch mit Südkorea für die jungen Menschen aus Steilshoop. Die meisten Veranstaltungen sind kostenfrei.

Im Haus der Jugend gründete Roberto mit seinen Freunden die Rap-Band ,,Crew 309“. ,,Es ist nur so schade, dass wir umziehen mussten, als das Bildungszentrum abgerissen wurde. Dort hatten wir viel mehr Platz.“, klagt er. Da wo vor einigen Jahren noch das Bildungszentrum stand, ist heute eine riesige Baustelle. Früher gab es dort eine Gesamtschule. Diese schloss 2010, als letzte weiterführende Schule in Steilshoop, wegen mangelnder Anmeldezahlen. Seitdem gab es keine Oberstufe mehr im Stadtteil.

Doch die Riesenbaustelle hat Zukunft: Der neue ,,Campus Steilshoop“ soll 2019 fertig werden. Die Stadt nennt spricht von einem „Leuchtturmprojekt“. Unter anderem soll es auch wieder eine Oberstufe geben. So kommt also das Abitur zurück nach Steilshoop.

Ein paar Meter weiter stehen die nächsten Bauzäune, rot-weiße Absperrschranken füllen den Raum zwischen den letzten kahlen Bäumen. Die ,,Markt- und Eventfläche Steilshoop“ wird hier gebaut. Alle möglichen Veranstaltungen soll es hier geben, sogar von einem Riesenrad erzählt man im Stadtteil. 3,52 Millionen Euro investiert das Bezirksamt in das Projekt, 117 Bäume sollten für den Bau Platz machen. Eine Bürgerinitiative schaffte es zuletzt, die Zahl auf 58 zu beschränken. ,,Dieser Bau ist rausgeschmissenes Geld!“, meint Petra Lafferentz, Geschäftsführerin des Beschäftigungsträgers „Alraune“, der die Bürgerinitiative organisiert hat. Möglicherweise werde die Fläche in vier Jahren wieder abgerissen, falls die U-Bahn-Linie 5 tatsächlich gebaut werden sollte. ,,Aber wir sind kampferprobt. Durch die vielen Krisen hat der Stadtteil gelernt, zusammenzuhalten“, sagt Lafferentz.

Alraune ist ein gemeinnütziger Bildungsträger, der durch die Sozialbehörde und das Jobcenter finanziert wird. Alraune organisiert das ,,Tagwerk-Programm“, bei dem Langzeitarbeitslose auf freiwilliger Basis etwas dazuzuverdienen können. Sie betreiben unter anderem zwei Cafés, eine Fahrradstation und ein Tierhaus im Stadtteil. Die drohende Schließung dieses Programms zum 1.April 2018 konnte Alraune mit Unterstützung der AnwohnerInnen vor Kurzem verhindern. Die Schließung drohe alle zwei Jahre, sagt Lafferentz. Die Sozialbehörde und das Jobcenter versuchen so immer wieder Geld einzusparen.

Mehr Beständigkeit bieten die kirchlichen Projekte. Der Pastor der Martin-Luther King Kirche, Andreas Holzbauer, hält eine Tasse Tee in der Hand, hinter ihm hängen Plakate mit bunten Buchstaben, die arabisch, türkisch, chinesisch alle dasselbe bedeuten: „Frieden“.

,,Das Besondere an Steilshoop ist sein multikultureller Reichtum“, sagt Holzbauer. Dreimal im Jahr findet eine interreligiöse Friedensandacht statt, abwechselnd in der Kirche und in den zwei Moscheen des Stadtteils. Daneben betreibt die Kirche aber auch Projekte wie ,,Rock und Rat“, eine Mischung aus Second Hand-Laden und Beratungsstelle. Die BeraterInnen arbeiten hier auf 450Euro-Basis, finanziert von der Kirche.

,,Habt immer Hoffnung, es ist nie zu spät. Egal ob arm oder reich, schwarz oder weiß“, rappt Roberto mit seiner Band ,,Crew 309“ aus dem Haus der Jugend. Er ist stolz auf seinen Stadtteil: ,,Steilshoop ist wie eine große Familie“, sagt er. „Vielleicht werde ich mal beim Aldi vorne arbeiten. Mehr brauche ich nicht. Hauptsache ich kann hier bleiben.“

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