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Edeka boykottiert NestléWir können aufhören, Edeka zu feiern

Jost Maurin
Kommentar von Jost Maurin

Wenn der Supermarktkonzern die Preise von Nestlé drücken will, dann hat das nichts mit globaler Gerechtigkeit zu tun.

Edeka ist kein Unschuldslamm. Beispiele gefällig? Foto: dpa

Y es! Jetzt geht es diesem gewissenlosen Dreckskonzern Nestlé endlich an den Kragen! Unsere Edeka boykottiert den Multi aus der Steueroase Schweiz. Das hat Nestlé auch verdient. Hat dieses Unternehmen nicht mit seinen Milchersatzprodukten Mütter in Entwicklungsländern vom Stillen abgehalten? Ist es nicht für Kinderarbeit in Afrika verantwortlich? Und reißt Nestlé sich nicht Wasser unter den Nagel, füllt es in umweltschädliche Plastikflaschen und verkauft es dann mit großem Gewinn an Leute, die sonst verdursten würden? Genau. Also: Solidarität mit Edeka!

So oder so ähnlich scheinen gerade viele Menschen in Deutschland zu denken. Nachdem vor kurzem Edekas Bestellstopp von Nestlé-Waren bekannt geworden ist, schneidet die Supermarktkette in Umfragen zum Unternehmensimage besser ab – Nestlé dagegen schlechter. Fast könnte man denken, die Konzerne sorgten untereinander für globale Gerechtigkeit.

Stimmt aber nicht. Edekas Nestlé-Boykott taugt rein gar nichts. Jedenfalls nicht für Arbeiter und Bauern, Kinder in Afrika, oder die Umwelt. Und um die geht es Edeka auch nicht.

Der Handelskonzern will einfach nur weniger für Nestlé-Produkte zahlen. Produkte wie Nescafé, San Pellegrino-Wasser, Buitoni-Nudeln, Maggi-Suppen, Thomy-Mayonnaise, Wagner-Pizza, Smarties oder Choco Crossies. „Dieser Preisdruck landet letztendlich bei den Produzenten, zum Beispiel bei den Kakaobauern oder den Arbeitern in den Lebensmittelwerken“, warnt Franziska Humbert, Referentin für Soziale Unternehmensverantwortung bei Oxfam.

Süßigkeiten könnte auch Ferrero liefern, ein Unternehmen, dem Kinderarbeit und der Einsatz gesundheitsschädlicher Pestizide vorgeworfen werden.

Das heißt, wenn Edeka Nestlé durch den Boykott zwingt, weitere Rabatte einzuräumen, werden Supermarktkunden in Deutschland vielleicht weniger zahlen – aber Nestlé wird die Gewinneinbußen an seine Produzenten weiterreichen. Sprich: Die Armen in den Entwicklungsländern werden noch ärmer.

Und im Übrigen ist Edeka kein Unschuldslamm. Die Gruppe, 1898 gegründet als Zusammenschluss Berliner Kaufleute zur „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler“ („E.d.K.“), ist mittlerweile der größte Lebensmittelhändler Deutschlands: mit ungefähr 11.000 Filialen (inklusive Netto-Markendiscount), rund 55 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr und 23 Prozent Marktanteil. Die Gruppe gehört zu den gerade mal vier Konzernen, die 85 bis 90 Prozent des Lebensmittelhandels kontrollieren. Deshalb – und nur deshalb – kann Edeka sogar einen Global Player wie Nestlé in die Knie zwingen.

Wer sollte sonst liefern?

Diesen Einfluss missbraucht Edeka zuweilen. 2008 übernahm die Gruppe die Discounterkette Plus – und versuchte umgehend, die bisherigen Lieferanten zu erpressen, ihre Sonderkonditionen auch für Edeka beizubehalten – sogenannte „Hochzeitsrabatte“. Edeka verlangte zudem, dass die Lieferanten sich an den Kosten für den Umbau der Plus- in Netto-Filialen beteiligen. All das verbot schließlich das Bundeskartellamt.

Auch die Arbeitnehmer haben bei Edeka nicht viel zu lachen. Die Gewerkschaft Ver.di hat dem Konzern vorgeworfen, immer mehr Mitarbeiter unter Tarif zu bezahlen und Gewerkschafter zu behindern.

Edeka ist zwar eine Genossenschaft. Aber die Mitglieder sind keinesfalls die Mitarbeiter oder die Kunden, sondern selbständige Einzelhändler, die Eigentümer der Filialen. Und selbst sie haben in dem verschachtelten Konzern nur noch begrenzt Einfluss.

Klar: Nestlé ist auch übel. Doch selbst wenn der Konzern bei Edeka rausfliegen sollte – seine größten Konkurrenten sind nicht viel besser. Süßigkeiten könnte auch Ferrero liefern, ein Unternehmen, dem ebenfalls Kinderarbeit und der Einsatz gesundheitsschädlicher Pestizide vorgeworfen werden. Pasta-Saucen könnte Edeka künftig von Unilever kaufen, aber der bezahlt Bauern – wenn überhaupt – nicht viel besser.

Wahrscheinlich wird Edeka allerdings gar nicht auf andere Hersteller ausweichen. Dass Supermarktkonzerne Lieferanten mit Bestellstopps drangsalieren, kam schon häufig vor – und über kurz oder lang haben sich beide Seiten dann doch wieder geeinigt.

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Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1974. Er schreibt vor allem zu Ernährungsfragen – etwa über Agrarpolitik, Gentechnik, Pestizide, Verbraucherschutz und die Lebensmittelindustrie. 2022 nominiert für den Deutschen Reporter:innen-Preis 2022 in der Kategorie Essay, 2018, 2017 und 2014 Journalistenpreis "Grüne Reportage". 2015 "Bester Zweiter" beim Deutschen Journalistenpreis. 2013 nominiert für den "Langen Atem". Bevor er zur taz kam, war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur Reuters und Volontär bei der Süddeutschen Zeitung.
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6 Kommentare

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  • Das ist doch scheiße, jetz kann ich bei meinem Lieblings-Ede K. nicht mal mehr meinen Nescafé containern...

  • Alle Lebensmittelketten handeln mind. einmal jährlich mit allen Anbietern Preise aus bzw. versuchen diese immer weiter zu drücken - so z.B. auch REWE und die Discounter.

  • es ist deutliches und richtiges zeichen von edeka gegen nestle.das argument ,das sie den preisdruck an die produzenten weitergeben ist meiner ansicht ein totschlagargument.damit könnte auch jeder luxuswarenproduzent argumentieren und nichts würde passieren.schauen sie wie nestle die preise von zb kaffeeproduzenten in mexico drückt: 4 peso pro kilo in einer region von veracruz; tiefer geht es ja wohl kaum!(23 peso =ca 1 euro)

  • Sicher übt hier Edeka seine Marktmacht aus - also nicht klein gegen groß, sondern allenfalls deutsch gegen international.

    Allerdings ist es eine Mär, dass die Verkaufspreise etwas mit den Produzentenpreisen zu tun hätten. Nestlé drückt den Preis, den es Produzenten zahl, so und so - egal was Edeka zahlt. Es würde einen Unterschied machen, wenn Edeka mit seinem Bestellstopp bestimmte Mindeststandards durchsetzen würde. So aber hat dieser Druck auf Nestlé keinen Einfluss - weder positiv noch negativ - auf die Arbeitsbedingungen der Bauern.

    Wer das nicht glaubt, kann einmal in die Schweiz schauen. Dort werden die gleichen Produkte deutlich teurer verkauft. Auch die Einkaufspreise der Handelsketten sind höher. Es sind aber die gleichen Produkte und nur weil Nestlé da mehr Geld erhält, werden sie nicht anders produziert.

    • @Velofisch:

      Andersherum gilt aber auch : Wenn die Verkaufspreise gedrückt werden, wird auch jeder mögliche Spielraum für bessere Produzentenpreise dünner, und dann fallen die Lieferanten hinten runter, die genau weil sie versuchen, gut mit ihren Produzenten umzugehen, zuerst hinten runter. Jaja, die unsichtbare Hand des Marktes....

  • Billige Lebensmittel halten die Massen ruhig.