Jahrestag der Hinrichtung: Die Weiße Rose und ihr Henker
Vor 75 Jahren tötete der Scharfrichter Johann Reichhart die Geschwister Scholl. Wer war der Mann, der für die Nazis tausende Menschen hinrichtete?
BERLIN taz | „Es lebe die Freiheit!“ Das waren die letzten Worte von Hans Scholl, als er am 22. Februar 1943 – heute vor genau 75 Jahren – zur Guillotine geführt wurde. „Die Verurteilte wirkte ruhig und gefasst“, heißt es im Protokoll über die Hinrichtung seiner Schwester Sophie Scholl. Der Mann, der die Geschwister auf staatlichen Geheiß umbrachte, hieß Johann Reichhart und war ein geübter und altgedienter Henker.
Die Münchner Studentengruppe Weiße Rose um die Geschwister hatte das Verbrechen begangen, auf Flugblättern gegen den Krieg und die Nazi-Herrschaft zu agitieren. „Jedes Wort, dass aus Hitlers Mund kommt, ist Lüge: Wenn er Frieden sagt, meint er den Krieg, und wenn er in frevelhaftester Weise den Namen des Allmächtigen nennt, meint er die Macht des Bösen, den gefallenen Engel, den Satan“, heißt es in ihrem ersten Flugblatt, das Mitte März 1942 verbreitet wurde.
Ihr fünftes Flugblatt erinnerte die Deutschen an dem Massenmord an den Juden. Es rief zum Widerstand gegen das Regime auf, wollte man nicht „dasselbe Schicksal erleiden, das den Juden widerfahren ist“.
Das sechste Flugblatt wurde der akademisch geprägten Gruppe zum Verhängnis. Am 18. Februar 1943 legten Hans und Sophie Scholl die Blätter stoßweise in den Gängen der Münchner Universität aus. Vom 2. Stock aus nahm Sophie einen Stapel und warf ihn über die Brüstung in den Innenhof. Doch der Hausschlosser der Universität hatte sie dabei beobachtet und hielt sie fest. Danach übernahm die Gestapo den Fall von Landesverrat.
Todesurteil nach vier Tagen
Nur vier Tage später begann in München der Prozess des Volksgerichtshofs gegen die Geschwister und ihren Freund Christoph Probst. Vollstreckt wurde das Todesurteil wegen Vorbereitung zum Hochverrat, Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung noch am gleichen Tag gegen 17 Uhr.
Für Johann Reichhart war diese Hinrichtung Routine. Der Henker von München hat im Auftrag des Regimes mehrere Tausend Menschen umgebracht – die Konsequenzen für ihn nach dem Krieg hielten sich in Grenzen. Reichhart durfte zeitweise gar weiter Menschen hinrichten.
Für ihn war das Nazi-Regime gleichbedeutend mit goldenen Zeiten. Schließlich kassierte jeder Scharfrichter im NS-Regime nicht nur ein jährliches Salär von 3.000 Mark. Zudem erhielten die freiberuflich tätigen Nazi-Henker und ihre beiden Gehilfen auch noch pro Mann eine „Sondervergütung“ für jeden Hingerichteten in Höhe von 60 Mark. Da kamen leicht mehrere Zehntausend Mark pro Jahr zusammen.
Henker ohne Skrupel
Reichhart kannte keine Skrupel und hatte sich an seine Tötungsarbeit gewöhnt. Schon seit 1924 stand er Bayern als Scharfrichter zur Verfügung. Die Zahl der Hinrichtungen hielt sich in der Weimarer Republik freilich in Grenzen, so dass sich der Mann zusätzliche Einnahmequellen suchen musste. Er arbeitete zeitweise als Kneipier, vertrieb religiöse Traktate und war als Gemüsehändler tätig.
Nach dem Krieg wurde Reichhart noch im Mai 1945 von den Amerikanern festgenommen und an seiner alten Wirkungsstätte – dem Gefängnis Stadelheim – inhaftiert. Doch schon nach einer Woche war er wieder in Freiheit, denn die US-Besatzer benötigten dringend seine Dienste. In Landsberg am Lech, wo viele Nazi-Verbrecher inhaftiert waren, ging er wieder seiner alten Tätigkeit nach und brachte dort noch einmal zwischen 42 und 156 Menschen um – nun aus dem Kreis seiner ehemaligen Auftraggeber. Der Freistaat Bayern zahlte unterdessen weiter seine Jahresvergütung.
Erst im Mai 1947 wurde Reichhart schließlich inhaftiert. Der Ex-Scharfrichter brachte anschließend Zeugen bei, mit denen er beweisen wollte, dass er doch eigentlich im Widerstand gewesen sei. Das Urteil der Münchner Spruchkammer am 17. Dezember 1948 fiel milde aus. Reichhart wurde als „Belasteter“ eingestuft und zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Schließlich hatte er nur vollstreckt, was die deutsche Justiz angeordnet hatte.
Johann Reichhart ist 1972 im Alter von 78 Jahren verarmt verstorben.
Historische Gerechtigkeit
Die Flugblätter der ermordeten Geschwister Scholl aber gingen früh um die Welt. Die westlichen Alliierten bekamen noch im Krieg Wind von der Sache. Nun flogen die Worte der Geschwister Scholl zwecks „Wehrkraftzersetzung“ aus den Bäuchen der Maschinen, die über dem Reichsgebiet Propagandapapiere abwarfen.
Thomas Mann würdigte die Gruppe aus dem Exil in einer BBC-Radioansprache im Sommer 1943: In den Flugblättern hätten Worte gestanden, „die vieles gut machen, was in gewissen Jahren an deutschen Universitäten gegen den Geist deutscher Freiheit“ gesagt worden sei.
Heute hat wohl fast jeder Deutsche schon einmal etwas von der „Weißen Rose“ gehört. Johann Reichhart dagegen ist vollständig vergessen. Die Guillotine, mit der er Tausende Menschen getötet hatte, fand sich vor einigen Jahren vergessen in einem Museumsdepot in München. Kurz wurde ernsthaft darüber debattiert, sie auszustellen. Doch dann nahm man von dieser makaberen Idee wieder Abstand.
Es gibt manchmal doch noch ein historische Gerechtigkeit.
Leser*innenkommentare
98589 (Profil gelöscht)
Gast
Wo bitte ist die von Ihnen genannte historische Gerechtigkeit?
DIESE FORMULIERUNG IST MAKABER!
esgehtauchanders
Der Reichhart, ja… den hatte sich doch schon der Guido vorge-knopp-t beim ZDF-üblichen Historienschmaus, mit dramatischer Streichmusik und nachgestellten Szenen geschmacklich leicht verdaubar aufbereitet. Gleich nach der „Season 3“ - „Hitlers Schäferhunde“ oder „Hitler linkes Ei“ gab´s den Reichhart als Vollstrecker im Amt (ganz nach AfD-Arppe aus Meck-Pomm:
O-Ton, August 2015: „Das ganze rotgrüne Geschmeiß aufs Schafott schicken. Und dann das Fallbeil hoch und runter, dass die Schwarte kracht!“)
Ins ZDF-Archiv hätte der Autor doch auch mal reinschmecken können vorm Schreiben des eher dünnen Gedenktagsstücks.
„Das versendet sich …“ sprach Henning Venske immer bei derlei journalistischen Großtaten.
Khaled Chaabouté
Deutschland ist Weltspitze in Sachen Patente für Hinrichtungstechnologie. Das bedeutet, eine große Branche wartet füßescharrend bzw. händeringend nur auf den Termin, wann es auch bei uns endlich wieder losgeht wie 1976 in den USA.
Philippe Ressing
...wenn die Richter und Staatsanwälte ihre Karrieren im Nachkriegsdeutschland fortsetzen konnten, wundert es dann wirklich, dass der Henker ungeschoren (sic!) davonkam....
Cerberus
@Philippe Ressing ... Aber immerhin: Der Hausschlosser der Universität erhielt wegen seiner Tat fünf Jahre Zuchthaus. Witwe Freisler hingegen erhielt eine erhöhte Pension. Die Begründung: Ihr Mann hätte nach Kriegsende seine Juristenkarriere erfolgreich fortgesetzt. Nennt man das jetzt Ironie oder Zynismus...?
markstein
@Cerberus Das nennt sich "Rechtsstaat". Der Witwe von Heydrich ging es finanziell ja nicht schlechter. Für die beiden Damen und viele andere Leistungsträger des 3. Reiches (bzw. deren Hinterbliebene) legte sich der Nachfolger schon ordentlich ins Zeug und Milliarden auf den Tisch. Ist aber ein anderes Thema.
Lowandorder
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 131
Die Rechtsverhältnisse von Personen einschließlich der Flüchtlinge und Vertriebenen, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienste standen, aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen ausgeschieden sind und bisher nicht oder nicht ihrer früheren Stellung entsprechend verwendet werden, sind durch Bundesgesetz zu regeln. Entsprechendes gilt für Personen einschließlich der Flüchtlinge und Vertriebenen, die am 8. Mai 1945 versorgungsberechtigt waren und aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen keine oder keine entsprechende Versorgung mehr erhalten. Bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes können vorbehaltlich anderweitiger landesrechtlicher Regelung Rechtsansprüche nicht geltend gemacht werden."
&
G 131 zu Art 131 GG https://de.m.wikipedia.org/wiki/Gesetz_zur_Regelung_der_Rechtsverh%C3%A4ltnisse_der_unter_Artikel_131_des_Grundgesetzes_fallenden_Personen
Wenn Sie damit - zT als Refi & dann als "junger" Richter (33;) gestartet sind -
&
Das in Westlich Sibirien - doch doch!
Sind Sie für den Rest - parboiled!
Aber Hallo! Brief&Siegel.
61321 (Profil gelöscht)
Gast
Wenn man denn über ihn schreibt, sollte man vielleicht eher nicht deutlich Dürftigeres als Wikipedia über diesen Mann berichten.
Blass.
Lowandorder
&@H
Das Verdikt von Deniz Yücel -
"Wie wärs mal mit Recherche -
Kollegen?!" - hab ich längst ad acta gelegt!
Wohl doch schon a weng zu altersmilde - hm!;)
Gelobe Besserung!
849 (Profil gelöscht)
Gast
@61321 (Profil gelöscht) Vielleicht wäre dann auch ein Verweis auf einen ZEIT-Bericht von 1964 mit der Überschrift "Ich tät's nie wieder" angebracht gewesen: //http://www.zeit.de/1964/44/ich-taets-nie-wieder/komplettansicht
Lowandorder
Danke. Der flog mir voa U-prima rudimentär durch den Kopp!
Scharfrichter Reichart ist gegen die Todesstrafe
München
Den Adenauer kann ich nicht begreifen. Ich tät’s nie wieder.“ Mit diesen Worten reagiert der letzte aus dem Geschlecht der bayerischen Scharfrichter auf die Forderung des Altbundeskanzlers nach Wiedereinführung der Todesstrafe. In der Familie Reichart war der Posten des Scharfrichters seit über 150 Jahren Tradition. Johann Reichart blickt auf eine Zahl von Exekutionen zurück, die wohl einmalig genannt werden kann – Hinrichtungen, die „legal“, unter Mitwirkung und Überwachung durch die Justiz, vor sich gegangen sind, was angesichts der unweit zurückliegenden Vergangenheit registriert werden muß. Nach 3010 Exekutionen und mit 71 Jahren ist Johann Reichart heute ein Gegner der Todesstrafe.…"
//http://www.zeit.de/1964/44/ich-taets-nie-wieder
Tja Herr Hillenbrand - das - wär - Ihr -
Einsatz gewesen! Nix. Hätte Hätte!
Lausig. Ja.
Na Servus!
61321 (Profil gelöscht)
Gast
@Lowandorder Dank an Atalaya und L&O
hanuman
HISTORISCHE GERECHTIGKEIT...
sollte nicht nur dem protestantisch-bündischen widerstand der geschwister hans und sophie scholl, alexander schmorell, christoph probst und willi graf widerfahren. zur historischen wahrheit gehört auch, dass zum kreis der weissen rose auch braune parteigenossen wie prof. kurt huber, nationalisten wie der spätere republikaner und präsidentenbewerber (1994) hans hirzel und kommunisten wie falk harnack gehörten. die reduktion der historischen wahrheit auf die bündisch-protestantische ebene wird der "weissen rose" ansonsten nicht gerecht.
Lowandorder
Feiner Artikel über Tapfere & Grausiges. Ja.
(But ~>
"…Kurz wurde ernsthaft darüber debattiert, sie auszustellen.
Doch dann nahm man von dieser makaberen Idee wieder Abstand.
Es gibt manchmal doch noch ein historische Gerechtigkeit."
Bitte. Wie meinen?)
Anyway. Danke.
Janssonin kiusaus
@Lowandorder Ja, das ist mir auch sauer aufgestoßen. Völlig überflüssige Spitze gegen diejenigen, die die Guillotine gern ausgestellt hätten – legitimerweise, wie ich finde. Das hätte Herr Hillenbrand sich verkneifen können, sein damaliger Artikel (http://taz.de/Debatte-Exponat-Guillotine/!5050395/) ist zum Glück neutraler.
Lowandorder
Danke. Genau.
&
Die Verbindung der Sätze!
kurz - Da regnet's doch durch den Strohhut! Aber - ich faß das manchmal einfach nicht!
Sowas - für sich genommen - Kategorie -
"Da kannste deine Fische in einwickeln!
Schlicht peinlich!"