: Die Rückkehr der Blutdiamanten
AFRIKA Ursprünglich sollten die Regeln des 2003 beschlossenen „Kimberley-Prozesses“ den Diamantenhandel auf eine legale Grundlage stellen. Doch dies droht nun zu scheitern. Viel zu tun für die Vertragsstaaten, die heute zum Jahrestreffen zusammenkommen
■ Heute beginnt in Swakopmund/Namibia die Jahrestagung der Vertragsstaaten des Kimberley-Prozesses. Der Kimberley-Prozess entstand 2003 als Selbstregulierungsmechanismus der Diamantenindustrie, um den Diamantenschmuggel zu verhindern. Er sieht vor, dass nur noch Diamanten mit staatlichen Herkunftszertifikaten gehandelt werden dürfen. Die fälschungssicheren Zertifikate, ausgestellt von einer staatlichen Behörde, werden Händlern nur dann erteilt, wenn diese garantieren, dass die Diamanten aus „legitimen Quellen“ stammen. Das soll verhindern, dass Rebellen sich aus Erlösen der Diamantenförderung finanzieren.
■ 75 Länder haben sich bisher dem Kimberley-Prozess angeschlossen, auch Unternehmen und Handelsverbände gehören dem Kimberley Process Certification Scheme an. Die Mitglieder treffen sich einmal im Jahr, und es gibt regelmäßig Kontrollmissionen.
VON FRANÇOIS MISSER
Vor sechs Jahren trafen sich im südafrikanischen Kimberley Vertreter der internationalen Diamantenindustrie. Sie gaben sich ein damals beispielloses Regelwerk, genannt Kimberley-Prozess. Dieses Regelwerk sollte in Zukunft verhindern, dass bewaffnete Gruppen Diamanten schmuggeln, um mit den so erzielten Einnahmen Kriege zu finanzieren. Der Kimberley-Prozess, dem inzwischen 75 Staaten angehören, wurde in der Folge auch zum Modell für den Handel mit anderen Rohstoffen aus Konfliktgebieten. Aber nun ist es der Diamantenhandel selbst, der an der Effektivität des Kimberley-Prozesses zweifelt. Auf der diesjährigen Plenartagung der Kimberley-Vertragsparteien, die heute in Namibia beginnt, werden sich die Vertreter mit einer Reihe neuer Schmuggelaffären befassen müssen.
Der Kimberley-Prozess stehe „vor dem Scheitern“, bilanziert die kanadische Nichtregierungsorganisation PAC (Partnership Africa Canada), eine führende unabhängige Organisation, die die Einhaltung des Prozesses beobachtet. Zwar würden Kriegsherren nicht mehr im großen Stil, wie vor dem Jahr 2002 in Angola oder Sierra Leone geschehen, vom Diamantenhandel profitieren. Aber nun weigerten sich die am Kimberley-Prozess beteiligten Regierungen selbst, gegen Schmuggel, Menschenrechtsverletzungen und Geldwäsche vorzugehen, die mit dem Diamantenexport zusammenhängen. Sanktionen dagegen blieben oft folgenlos.
Beispiel Elfenbeinküste
So verhängte im Jahr 2005 der UN-Sicherheitsrat ein Embargo gegen Diamanten aus der Elfenbeinküste, damals ein vom Bürgerkrieg zerrissenes Land. Trotzdem stellt Ende Juni 2009 der Präsident des Kimberley-Prozesses, Namibias Vizehandelsminister Bernard Esau, fest, dass die Diamantenproduktion der Elfenbeinküste seitdem gestiegen sei. Satellitenaufnahmen zeigten ausgedehnte Förderaktivitäten in Séguéla Tortiya im ivorischen Rebellengebiet. Nach Industrieangaben beträgt die Förderung etwa 300.000 Karat im Jahr, womit die Rebellen 20 bis 30 Millionen Dollar verdienen würden. Diese haben inzwischen zwar mit der ivorischen Regierung Frieden geschlossen, und ihr ehemaliger Chef ist jetzt Premierminister, auch sollen Ende November Wahlen stattfinden – doch eines ist klar: Zu Kriegszeiten erwies sich der Kimberley-Prozess in der Elfenbeinküste als wirkungslos.
Für Diamanten von dort gibt es mehrere Handelswege. So warten in Malis Hauptstadt Bamako senegalesische, israelische und rumänische Händler auf Kundschaft. Neuerdings werden die Geschäfte auch in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou abgewickelt. Dort wird der Handel seit Langem von eingewanderten schiitischen Libanesen kontrolliert, denen Verbindungen zur Hisbollah nachgesagt werden. Schon in den Neunzigerjahren brachte der libanesische Schiit Imad Bakri, ebenfalls bekannt für seine Hisbollah-Nähe, Diamanten der angolanischen Unita-Rebellen über Ouagadougou auf den Markt. Nach US-Regierungsangaben ist das an Mali und die Elfenbeinküste grenzende Guinea, beherrscht von einem brutalen Militärregime, die neueste Drehscheibe für den westafrikanischen Diamantenhandel zugunsten der Hisbollah.
Doch auch die gegnerische Seite im Nahostkonflikt ist nicht untätig. Nach Angaben aus Branchenkreisen reist ein israelischer Diamantenhändler regelmäßig nach Ouagadougou. Auch hat er die ivorischen Rebellen schon einmal mit Waffen versorgt. Neu sind solche Geschäfte nicht. Schon 1999 enthüllten Israels Medien, dass die israelischen Händler Dov Katz und Dan Gertler gemeinsam mit dem israelischen Oberst Yair Klein 1997 in den damaligen Bürgerkriegsländern Sierra Leone und Liberia Diamanten gegen Waffen und Militärausbildung getauscht haben. Heute ist Dan Gertler einer der wichtigsten Geschäftspartner der Regierung der Demokratischen Republik Kongo. Sie spielt ebenfalls eine zunehmend wichtige Rolle in dunklen Diamantengeschäften.
Doch libanesisch-israelische Rivalitäten existieren nicht nur in Westafrika. Diamanten aus Marange in Simbabwe landen über diese Schiene in Mosambik, um von dort exportiert zu werden. In Marange, wo Schürfer teils unter Kontrolle des Militärs arbeiten, haben Soldaten im Oktober 2008 zwischen 100 und 200 „illegale“ Diamantensucher massakriert. Das Massaker in Simbabwe hatten die kanadische PAC und die britische Organisation Global Witness, eine der Vordenkerinnen des Kimberley-Prozesses, dazu gebracht, die Steine aus Simbabwe als „Blutdiamanten“ zu bezeichnen. Zudem forderten sie Simbabwes Ausschluss aus dem Kimberley-Prozess. Dies steht jetzt auch auf der Tagesordnung des Jahrestreffens. Die Statistik aus Simbabwe verdeutlicht das Problem: Die offiziellen Exporte von 797.000 Karat im Jahr 2008 sind mehr als doppelt so hoch wie die offizielle Produktion. Der Sektor ist außer Kontrolle.
Erschwerend kommt bei den Beispielen Elfenbeinküste und Simbabwe hinzu, dass die beiden Transitländer Mali und Mosambik nicht dem Kimberley-Prozess angehören. Aber selbst wo solche großen Schlupflöcher fehlen, gibt es Probleme. So könnte das Label „Blutdiamanten“, das Förderländer ins internationale Abseits stellt, wenn sie sich nicht den Kimberley-Regeln beugen, demnächst auch wieder auf Angola zutreffen. Dort war es während des Krieges der Unita-Rebellen in den Neunzigerjahren einst entstanden. Hunderttausende Diamantenschürfer, die aus der benachbarten Demokratischen Republik Kongo nach Angola eingewandert waren, sind in den letzten Jahren unter brutalen Umständen in ihre Heimat deportiert worden, möglicherweise um die Diamantengebiete für die industrielle Förderung frei zu räumen. Mindestens elf Konzessionsgebiete für den industriellen Diamantenabbau sind von Schürfern überlaufen. Allerdings verdient der angolanische Staat an der industriellen Förderung weit mehr als an den Schürfern – 138,5 Millionen gegen 14,3 Millionen Dollar im Jahr 2006. So besteht ein staatliches Interesse, die Schürfer zu vertreiben. Zwar ist all dies regelkonform – aber konfliktfördernd.
In der davon mitbetroffenen Demokratischen Republik Kongo selbst ist das Scheitern des Kimberley-Prozesses am deutlichsten. Informelles Diamantenschürfen dient dort nach wie vor dazu, Rebellenaktivitäten und Waffenkäufe zu finanzieren. Das gilt längst auch für andere Rohstoffe. Dabei sollte der Diamantensektor eigentlich durch den Kimberley-Prozess transparent werden.
In der Region Kilau und in der Provinz Nord-Kivu im Osten des Landes pressen ruandische Hutu-Milizen den Schürfern die Diamanten ab. Ungeklärt sind auch die Kongo-Aktivitäten des italienischen Geschäftsmanns Vittorio Dordi. Dordi ist Eigentümer der Bergbaufirma Gold Rock, er steht derzeit in Italien unter Hausarrest. Gegen den angeblichen Freund des kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila ermittelt die italienische Justiz wegen des Schmuggels von 500.000 chinesischen Sturmgewehren der Marke T-56. Die Gewehre hat die chinesische Firma North Industries offiziell zwar im Auftrag eines libyschen Obersts hergestellt, doch in Wahrheit sollen sie für Abnehmer in Kongo, Sudan, Tschad und Irak bestimmt gewesen sein.
„Das Firmennetzwerk der Demokratischen Republik Kongo ist das effektivste System der Welt für Geldwäsche im Zusammenhang mit Konfliktdiamanten“, kritisiert die PAC und verweist dabei auf die bizarren Außenhandelsdaten: Laut Kimberley-Prozess exportierte das Land im Jahr 2008 21,28 Millionen Karat Diamanten, doch laut der kongolesischen Kontrollbehörde CEEC, die die Kimberley-Exportzertifikate ausstellt, waren es 22,09 Millionen. Der Unterschied von 800.000 Karat wird von der CEEC auf einen Computerabsturz zurückgeführt. Aber er ist unwesentlich im Vergleich dazu, dass Kongos Diamantenproduktion im gleichen Zeitraum vom Kimberley-Prozess mit 33,4 Millionen Karat angegeben wird und von Kongos Zentralbank, wo alle Steuern landen, nur mit 20,39 Millionen.
Ein Grund dafür könnte sein, dass Kongos legale industrielle Förderung nahezu zusammengebrochen ist. Die Firma MIBA (Minière du Bakwanga), das einzige Industriediamantenunternehmen des Landes, schloss Ende 2008 wegen der Finanzkrise die Tore, so wie fast alle Händler der drei Millionen Einwohner zählenden Diamantenmetropole Mbuji-Mayi im Zentrum des Landes. Der Diamantenumsatz des Kongo fiel nach Angaben des Arbeitgeberverbandes FEC von 85 Millionen Dollar im September 2008 auf 25 Millionen im Oktober und weiter auf 10 Millionen im November. Schon zuvor hatte sich Kongos Regierung unfähig gezeigt, die bankrotte MIBA zu sanieren und ausländische Investoren bei der Stange zu halten, mit der Folge, dass der einst größte Devisenbringer massiv Arbeitsplätze abbauen und Einnahmen einbüßen musste.
Gigantischer Schwund
Nun stellt sich erst recht die Frage, wo eigentlich Kongos Diamanten bleiben, woher sie kommen und wer an ihnen verdient. Wenn die Kimberley-Zahlen stimmen sollten, wäre im Jahr 2008 ein gigantischer Diamantenhaufen irgendwo zwischen Förderung und Export verschwunden. Am seltsamsten: Die Fördermenge soll lediglich 431 Millionen Dollar wert gewesen sein, die viel kleinere Exportmenge jedoch knapp 552 Millionen. Kongos Diamanten sind dafür bekannt, dass ihr Wert zwischen der Ausfuhrdeklaration im Kongo und der Einfuhrdeklaration, beispielsweise in Belgien, abrupt steigt – ein Hinweis auf massive Steuerhinterziehung, in die nach Angaben von Branchenkennern Kongos Behörden ebenso verwickelt sind wie Endabnehmern in Dubai oder Tel Aviv.
All diese Geschäfte werden nach den Regeln des Kimberley-Prozesses legal abgewickelt. Kein Wunder, dass sich die Erfinder dieses Regelwerkes jetzt den Kopf zerbrechen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen