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Kolumne Fremd und befremdlichBierkampf auf St. Pauli

Kolumne
von Katrin Seddig

St. Paulis Clubbetreiber wollen den Kiosken ab 22 Uhr den Bier-Verkauf verbieten, um Publikum zurück zu gewinnen Offenbar haben sie über das Bier hinaus nichts zu bieten.

Gegen das Kiosk-Trinken demonstrierten am Samstag Wirte, Clubbesitzer und Anwohner*innen Foto: dpa

I rgendwann, im letzten Jahr, glaube ich, habe ich mich mal zum Trend des Cornerns geäußert. Es ist eigentlich nichts anderes, als ein Vor-dem-Kiosk-Rumhängen. Aber irgendwie ist es doch was anderes, weil es eben Cornern heißt. Weil es nicht jeder beliebige Kiosk sein darf.

In Hamburg-Wandsbek, zum Beispiel, da wird nicht gecornert. Die Leute, die vor dem Penny rumhängen, mit einer Dose Bier in der Hand, die würden mich auslachen, wenn ich sie fragte, ob sie cornern täten, sie cornern nicht, sie hängen mit einer Dose Bier vor dem Penny rum.

Wenn man das Wesen des Cornern erfassen wollte, dann müsste man sauber die Unterschiede zwischen der Tätigkeit dieser Leute und der Leute, die am Grünen Jäger nahe des Schanzenviertels mit dem Bier in der Hand vor dem Kiosk herumhängen, herausarbeiten.

Die Leute am Grünen Jäger ähneln einander in modischer Hinsicht, sie haben ähnliche Haarschnitte, Bärte, Hosen, Mützen, Handys. Sie haben das Geld, sich diese Haarschnitte, Bärte, Hosen, Mützen und Handys zu kaufen.

Die Leute vor dem Penny an der Wandsbeker Chaussee, tragen alte Sachen auf. Sie telefonieren nicht mit dem Handy, sie machen auch keine Streetfotografie und keine Selfies. Möglicherweise haben sie keine Handys. Das sind die Unterschiede. Sie unterscheiden sich in ihrer Eigenschaft als Konsument und in modischer Hinsicht.

Lou Probsthayn
Katrin Seddig

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ ist kürzlich bei Rowohlt Berlin erschienen.

Gemeinsame Codes

Gemeinsamkeit ist, zum Beispiel, sie pullern in die Ecke. Gegen die Leute vor dem Penny sagt keiner was, weil es sie schon immer gegeben hat. Sie sind meistens zu fünft oder zu viert, manchmal sind es sieben, aber mehr werden es nicht, weil immer mal wieder einer wegbleibt. Sie finden sich schon seit vielen Jahren vor den Lidls und Pennys und Aldis dieser Stadt zusammen, um Bier zu trinken.

Manchmal hauen sie sich und manchmal halten sie sich lange Vorträge. Manchmal schreien sie rum und manchmal sind sie still und in sich gekehrt. Sie sind, an sich, als Gruppe, interessanter als die große Gruppe der Leute am Grünen Jäger, als die Leute, die cornern.

Die Leute, die cornern, sind viel mehr. Sie kennen sich nicht alle, aber sie sind einem Haufen gemeinsamer Codes unterworfen, modisch und als Konsument. Sie tragen das richtige Handy bei sich, sie trinken das richtige Bier, die richtige Jeans und sie sagen die richtigen Sätze. Sie sind nicht exaltiert und gehen nicht so aus sich heraus, wie die Penny-Menschen, außer, sie sind total besoffen.

Eine wunderbare Vorstellung von Protest

Sie sind mehr wie Ameisen. Sie sind Teil einer großen Bewegung, die sich entschieden hat, lieber auf der Straße zu stehen, als im Club zu tanzen. Das ärgert nun die Clubbesitzer, weil sie ihr teureres Bier nicht mehr verkaufen können, stattdessen aber ihre Toiletten zur Verfügung stellen sollen. Und daraus ergibt sich dann eine wunderbare Vorstellung von Protest.

Die Clubbesitzer wollen die Trinker wieder zurück. Sie wollen sie nicht etwa mit ihren guten Angeboten zurücklocken, nein, sie wollen vielmehr das Cornern abschaffen, in dem sie den Kiosken das Bierverkaufen ab 22 Uhr verbieten wollen. Ab 22 Uhr geht das Trinken ja erst richtig los und Trinken müssen die Leute, da gibt es keine Alternative.

Es gab also eine Demonstration in Hamburg, die kein geringeres Ziel hatte, als St. Pauli zu retten. Retterinitiativen sind in Hamburg momentan sehr beliebt. Wer wollte nicht irgendwas oder irgendwen retten? Bedroht ist nicht etwa das Geschäft der Clubbetreiber, wie man vielleicht meinen könnte, sondern die kulturelle Vielfalt, wie der Demo-Mitorganisator, Axel Strehlitz, das ausdrückt. Man müsste nur den Kiosken das Bier wegnehmen, dann würden die Corner-Menschen wieder ihr Bier im Club kaufen, und St. Pauli wäre gerettet, die kulturelle Vielfalt auch.

Über das Bier hinaus haben die Clubs von St. Pauli, die Bars und Kneipen, offensichtlich nichts zu bieten, was es den Leuten wert wäre. Nehmt den Kiosken das Bier weg, dann strömt das Publikum zurück, und alles wird gut. Und es wird auch nicht mehr gepinkelt und gekotzt auf dem Kiez, weil ja alle diese Einrichtungen Toiletten haben. So muss es sein.

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1 Kommentar

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  • Ist das Problem nicht das saufen? Ich wuerde ja mal als erstes einen Mindestpreis fuer Alkohol einfuehren, genau wie Schottland, und dann erstmal sehen was das bringt