: Wenn die Pöbelei „häßliche Fischaugentante“ noch harmlos ist
Die Gruppe Linksjugend Solid schaltete ein Portal frei, auf dem Schüler ihre Lehrer bewerten können. Das Abendblatt berichtet von Hetze unter dem Deckmantel der Anonymität und die Linke kritisiert die Form
Linksjugend Solid – Ministerium gegen Produktivität
Von Kaija Kutter
Es muss sich wohl Genervtheit angestaut haben. Es war am 2. Februar, einen Tag nach den jüngsten Halbjahreszeugnissen, als eine Gruppe mit dem Namen „Linksjugend Solid – Ministerium gegen Produktivität“ auf Facebook ein neues Portal bewarb. „Du findest es unfair, dass Lehrer dich benoten können, du aber nicht sie?“, stand dort. „Jetzt hast du die Chance. Füge Lehrer hinzu, bewerte sie und sorge so dafür, dass sich auch Lehrer anstrengen müssen.“
Angefügt war der Hinweis auf die Seite CheckDeinLehrer.org, wo Schüler Bewertungen für alle Lehrer der weiterführenden Schulen einpflegen können. Schulen seien „repressive Selektionsanstalten“ steht dort. Das Ministerium gegen Produktivität störe, dass Schüler benotet und bewertet werden, Lehrer aber ungeschoren davonkämen. Es gelte, den Spieß umzudrehen. Und: „Lehrerbewertung kann Spaß machen.“
Gut zwei Wochen später ist die Aufregung groß. Schon rund 400 Bewertungen seien abgegeben, berichtete am Mittwoch das Abendblatt. Und titelte: „Im Netz: Hetze gegen Hamburgs Lehrer“. Manche Schülerkommentare seien sachlich, ironisch oder wohlwollend. „Schlimm wird es allerdings, wenn Schüler unter dem Deckmäntelchen der Anonymität ihre Lehrer an den Pranger stellen – da wird im übelsten Gossendeutsch gepöbelt, beleidigt und gehetzt.“
Das Blatt zitiert Kommentare wie „er ist vor Kurzem zum Alkoholismus konvertiert“ oder „Sie ist einfach Scheiße“. „Depp“, „fette Kuh“, „häßliche Fischaugentante“ oder „Ratte“ gehörten noch zu den harmloseren Äußerungen. Häufig jedoch werde die Grenze zur Schmähkritik überschritten. So nennt man Kritik, die persönlich diffamiert und von der Meinungsfreiheit nicht mehr gedeckt ist.
Eine Lehrerin soll sogar Anzeige wegen Verleumdung und Beleidigung erstattet haben. Welche Personen hinter dem Portal stünden, so der Kommentar der Polizei, sei nicht bekannt. „Wir haben den Fall an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet“, sagte ein Sprecher. Dort allerdings wusste man am Freitag dazu gar nichts zu sagen, weil der Vorgang ohne Namen nicht zu finden ist. Beleidigung ist ein Privatklagedelikt, das nur auf Antrag und wenn es im öffentlichen Interesse liegt, verfolgt wird.
Schulbehördensprecher Peter Albrecht sagt, man habe erst durch die Berichterstattung im Abendblatt von dem Bewertungsportal erfahren. Die Schulbehörde habe aber vor Jahren vergeblich versucht, einen Muster-Rechtsstreit gegen das ähnliche Portal Spickmich zu führen, weil eine Lehrkraft diffamiert wurde. Die Behörde durfte aber gar nicht klagen. Man könne nur hoffen, dass die gesetzlichen Regelungen zur Verhinderung von Schmähkritik angepasst werden, sagt Albrecht.
Die FDP-Politikerin Anna von Treuenfels-Frowein regt an, es solle doch eine offizielle hamburgweite Plattform für die Evaluation von Unterricht und Lehrerfähigkeiten geben. „Dadurch könnte Beleidigung und Hetze vermieden und eine sachliche Feedback-Kultur etabliert werden“, sagt sie. Ganz falsch findet so eine öffentliche Plattform Sabine Boeddinghaus, die schulpolitische Sprecherin der Linksfraktion. „Ich glaube nicht, dass man so etwas steuern kann“, sagt sie. Boeddinghaus findet auch das öffentliche Portal CheckDeinLehrer.org schädlich für die Bemühungen, eine Feedback-Kultur zu etablieren.
Die Jugendgruppe Solid gilt als unabhängig von der Linkspartei. Allerdings erhielt die taz vom Landesverband eine Mail-Adresse, auf die der SprecherInnenrat der Gruppe auch antwortete, mit dem Verweis auf eine Stellungnahme. „Mit Freude und Besorgnis“ habe man den Artikel zur Kenntnis genommen. Die Unterstellung, es werde gegen Lehrer gehetzt, „weisen wir aufs Schärfste zurück“. Schüler hätten ein Recht auf freie Meinungsäußerung, das sei vor dem Bundesgerichtshof geklärt worden. Die Benotungen dienten nur „der sachlichen Kritik“. Beleidigungen und Kommentare, die Straftatbestände erfüllten, würden „soweit dies möglich ist, von uns ausgelesen und gelöscht“, heißt es.
In der Tat, beim Stöbern auf der Seite fand die taz am Freitagmorgen auffallend positive Kommentare. Laut Linksjugend Solid versuchten Lehrer vermehrt, sich positiv zu benoten. Doch das zeuge nur „von mangelnder Kritikfähigkeit vieler Lehrer“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen