Anwältin schreibt Buch über NSU-Prozess: Rassismus? Nur ein Witz
Im NSU-Prosess hat die Anwältin Angela Wierig ihr Mandat verloren, weil sie ihrer Mandantin in den Rücken gefallen ist. Nun verbreitet sie AfD- und Pegida-Botschaften.
„Es ist vorbei. Endlich vorbei. Wierig meldet sich ab. Over and out“, kommentiert die Anwältin diese Entwicklung lapidar in dem Buch „Nazis Inside – 401 Tage NSU-Prozess“, das sie nun vorgelegt hat. Auf 274 Seiten schildert Wierig darin ihre Sicht auf das Verfahren gegen die Hauptbeschuldigte Beate Zschäpe und die Mitangeklagten André Eminger, Ralf Wohlleben, Holger G. und Carsten S. Ab heute ist das Buch im Handel, das sich gegen ihre eigene Mandantin, andere Nebenklage-Anwälte und die Medien richtet.
Schon Wierigs Schlussplädoyer am 12. Dezember vergangenen Jahres hatte eine ähnliche Ausrichtung. Mehr noch, sie versuchte, Wohlleben zu entlasten, der beschuldigt ist, an der Beschaffung einer der Mordwaffen mitgewirkt zu haben. An dem Tag saß ihre Mandantin erschüttert in Saal A 101. „Sie hätte am liebsten schreien wollen, sich aber nicht getraut“, sagt ihre neue Anwältin Gül Pinar.
In ihrem Buch zweifelt Wierig nun erneut an, dass die von Wohlleben mit besorgte Waffe überhaupt eine der Mordwaffen sei. Und sie wirbt um Verständnis für „Wolle“: Für seinen Weg nach rechts macht sie jene verantwortlich, die ihn als „Nazi“ bezeichnet hätten. Sie glaubt ihm, dass er anfänglich keine „politisch gefestigte Meinung“ gehabt habe. „Hören Sie auch die Nachtigall trapsen?“, fragt sie und antwortet: „Wissen Sie, das finde ich geradezu klassisch. Der Junge wird als Nazi beschimpft, rennt auf den Marktplatz, hält dieses Plakat (der NPD, Anmerkung der Red.) hoch und zeigt jedem, der vorbeikommt, dass er ein Nazi ist.“
Auch für die AfD und Pegida bringt Wierig mehr als Verständnis auf: „Nicht nur in diesem Prozess, sondern in ganz Deutschland gilt zweierlei Recht; Meinungsfreiheit für die moralisch überlegene Multikulti-Vegan-Impfverweigerungs-Fraktion; Redeverbot für die Rechten.“ Sie räumt ein: „Angesichts der Flüchtlingswelle“ werde ihr selbst „auch etwas schwummerig“. Was sie für nötig hält, sei nicht in erster Linie Integration: „Kontrolle ist viel wichtiger.“ Aber bitte nicht durch „so einen luschigen Sozialarbeiter“, sondern durch einen „Afghanen, der seit 30 Jahren in Deutschland ist, Kampfsport macht und im Notfall nicht nur eines auf die Fresse androht, sondern auch umsetzt“.
Angela Wierig, Rechtsanwältin
Wierig rechnet gegen die seit den 90er-Jahren aus rassistischen Motiven Ermordeten gegen die Toten durch „Ehrenmorde“ auf: „Selbst wenn in diesen 23 Jahren tatsächlich 184 Menschen Opfer rechter Gewalt wurden“, seien in den vergangenen sechs Jahren „165 Menschen im Zusammenhang mit sogenannten ‚Ehrenmorden‘ vom Leben zum Tode befördert“ worden.
Die Nebenklage-Anwälte im NSU-Prozess teilt Wierig „in (mindestens) zwei Gruppen“ ein: „Die einen, die den Staat vor Gericht stellen möchten, und die anderen, die das Verfahren auf die Anklage beschränkt wissen wollen.“ Und sie betont: „Ich gehöre zu Letzteren, da ich der Meinung bin, dass die politische Aufklärung nicht in diesen Prozess gehört.“
Die Bemühungen von Nebenklägern, im Verfahren herauszuarbeiten, ob ein Netzwerk das NSU-Kerntrio unterstützte, wertet sie als Selbstdarstellung der Anwälte. Dass sie damit versucht haben, auch die Frage zu beantworten, wie Täter auf ihre Opfer kamen, blendet Wierig aus. Sie ätzt: „Also leide ich still vor mich hin, wenn die politisch Verletzten in jedem Interview (…) für die ,Nebenklage' sprechen.“
„Das kotzt mich an“
Einen Journalisten führt sie vor. Der Bitte um ein Interview kommt sie mit knappen, schriftlichen Worten nach. Auf die Bitte nach weiteren Ausführungen schreibt sie ihm: „Man ist täglich mit dem institutionellen Rassismus in Deutschland konfrontiert. Die Ermittlungen wurden nicht nur unglaublich schlampig geführt, sondern auch rassistisch und auf dem rechten Auge blind (…). Auch die Bilder der getöteten Opfer ertrage ich nicht mehr professionell, sondern es ist grauenvoll, diese armen Menschen ansehen zu müssen (…).“ Ein ganz anderer Ton als im ursprünglichen Interview. Deshalb fragt der Journalist: „Welche Antworten können zitiert werden?“ Sie antwortet: „Sorry, das ist jetzt bei Ihnen nicht angekommen. Das zweite ist Satire – nach 10 Monaten NSU weiß ich, was die Presse hören möchte … Und das kotzt mich an.“
Und so kotzt sie mal mit Namen, mal ohne über jene Nebenklagevertreter ab, die auf institutionellen Rassismus als Ermittlungsproblem hinweisen. Sie spitzt zu: Wenn man annähme, Enver Şimşek sei einzig deswegen ermordet worden, „weil er Türke war, sind Sie entweder paranoid oder Rassist“.
Ihre Mandantin Ayşen Taşköprü dagegen hatte im Februar 2013 ihre Absage auf eine Einladung des Bundespräsidenten unter anderem mit dem unsensiblen Agieren der Polizei begründet und gefragt: „Wer sind die Leute hinter dem NSU? Warum ausgerechnet mein Bruder? Was hatte der deutsche Staat damit zu tun? Wer hat die Akten vernichtet und warum?“ Ihre Anwältin folgte diesen Fragen nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ausschreitungen in Amsterdam
Ein hitziges Nachspiel
Wahl in den USA
Sie wussten, was sie tun
Obergrenze für Imbissbuden
Kein Döner ist illegal
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Abschiebung aus dem Frauenhaus
Schutzraum nicht mehr sicher