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Nicht das Ende vom Lied

Er hat in den letzten fünf Jahren 1.600 Konzerte ermöglicht. Norbert Jackschenties betreibt den Kreuzberger Privatclub im alten Postamt in der Skalitzer Straße. Die Mietforderungen des neuen Besitzers könnten das Ende der Berliner Institution bedeuten. Ein Porträt

Von Robert Mießner

Woher die äußerliche Gelassenheit? Montag vergangener Woche, 12.30 Uhr: Gerade hat Norbert Jackschenties, Betreiber des Privatclubs an der Skalitzer Straße, über die Mietforderungen seines neuen Eigentümers, Marc Samwer (Rocket Internet) gesprochen, die für den Club das Ende bedeuten würden (Susanne Messmer berichtete am 22. Januar in der taz).

Ein zentrales Wort, das Jackschenties dabei wieder und wieder verwendet hat, lautet „Hoffnung“. Er erzählt von seinen Freunden, er sagt: „Ich habe viel erlebt, persönliche Rückschläge und Eingriffe, Schönes und Schwieriges. Der Druck macht mir zu schaffen, aber er wirft mich nicht um.“ Er erinnert sich und berichtet, wie ein Kind aus dem Norden Ostberlins zum Wave- und Hardrock-Musiker, zum Club- und Agenturbetreiber, zum Manager des Lido und musikalischen Leiter des Heimathafens Neukölln wurde.

Norbert Jackschenties, Sohn der DDR-Intelligenz, wächst in Biesdorf in der Nachbarschaft des Komponisten Arndt Bause und der Schauspielerfamilie Dehler auf. Bei den Jackschenties sind Kunst und Musik kein Thema, ihr Sohn wird sich selten und seltener zu Hause aufhalten und ab dem 12. Lebensjahr gemeinsam mit seinem Freund Thomas Dehler musizieren. Der wird Schauspieler, Jackschenties zum Bassisten zweier Undergroundbands der späten DDR: Aufruhr zur Liebe und Elektro Artist.

Zu dem Zeitpunkt lebt Jackschenties längst nicht mehr in Biesdorf, sondern hat in Berlin-Mitte eine Wohnung besetzt und die Inanspruchnahme später bei der Kommunalen Wohnungsverwaltung legalisiert. Eine damals gängige Praxis, Pfiff und Eigensinn vorausgesetzt. Den braucht es auch für die Musik: Jackschenties’ Bands treten in Privatwohnungen und Kirchen auf, ihre Musik erscheint in Kleinstauflagen auf Kassetten.

Aufruhr zur Liebe und Ornament & Verbrechen, das Projekt von Robert und Ronald Lippok, gehen eine künstlerische Wechselbeziehung ein, mit der in der DDR kein Staat und keine für eine professionelle Musikerlaufbahn nötige Einstufung zu machen war. Offiziell hören lässt sich das seit 2006 auf der ZickZack-Compilation „Spannung. Leistung. Widerstand“, wenn sie nicht gerade ausverkauft wäre. Und auf „Ende vom Lied“ (Playloud), einer CD-Zusammenstellung von 2016, die demnächst erweitert auf Vinyl veröffentlicht werden wird.

Als Elektro Artist vom DDR-Staatslabel Amiga in einem Akt steifer Umarmung ein Plattenvertrag angeboten wird, gibt es eine Bedingung: Die Texte müssen vorgelegt und bei Bedarf geändert werden. Das war’s nun wirklich, sagen sich Jackschenties, einen Ausreiseantrag hatte er bereits auf Eis gelegt, und sein Mitmusiker Martin Leeder. Freund Bernd Jestram, jetzt mit Ronald Lippok bei Tarwater, organisiert für beide „Ausreise-Hochzeiten“. Heute darf’s gesagt werden: Scheinehen. Nach sechs Monaten ist Jackschenties „draußen“, wie er sagt. Um noch am selben Abend des Januar 1987 im Metropol am Nollendorfplatz den Noiserock von Sonic Youth mit Caspar Brötzmann Massaker im Vorprogramm zu hören.

Vor ihm liegt, was er eine „tolle Zeit“ nennen wird: Jackschenties gründet mit Martin Leeder und Gerrit Schultz das Trio Fleischmann. Bis 1997 entstehen eine Single und vier Alben. Fleischmann spielen anfangs instrumentalen Hardrock, der, wie sich Jackschenties erinnert, „sehr mathematisch“ gerät. „Unser Englisch war zu schlecht, Deutsch wollten wir noch nicht und dafür etwas ganz eigenes.“ Als sie sich dann doch für deutschen Gesang entscheiden, übernimmt Jackschenties. Fleischmann können von ihrer Musik leben. Bis ihr Sänger 1996 schwer erkrankt, Diagnose: Morbus meniere. Jackschenties ist für ein Jahr so gut wie ertaubt und muss sich mehreren Operationen unterziehen. Er nimmt die Verantwortung wahr und sagt seinen Kollegen: „Es geht nicht mehr.“ Offiziell haben sich Fleischmann nie aufgelöst.

Jackschenties geht es elend: „Ja, ich habe Depressionen gehabt. Und mir gesagt, du musst von etwas leben. Wovon du Ahnung hast, das ist Musik. Auch, wie sie auf die Bühne kommt.“ Er ruft die Agentur Monosound ins Leben und eröffnet im Keller der Kreuzberger Markthalle IX den ersten Privatclub. Er läuft gut, bis sich vor fünf Jahren logistische Probleme einstellen: Die Bühne ist zu winzig. Jackschenties sucht und sucht. Eigentlich möchte er aus Kreuzberg dorthin, wo im alten Westberlin die Musik herkam: nach Schöneberg oder ins nördliche Charlottenburg. Er bewirbt sich für die Zooterrassen und das ehemalige Hard Rock Cafe. Vergeblich. Er versucht es im Schimmelpfeng-Haus am Breitscheidplatz: Das denkmalgeschützte Gebäude wäre ein Traum, doch wird es 2013 abgerissen.

Jackschenties bleibt dann doch in Kreuzberg. Auf einer nächtlichen Radfahrt entdeckt er das Backsteingebäude des künftigen Clubs, eine Immobilie der Post, die nebenan eine Filiale betreibt. Er springt über den Zaun, schaut durch eine Milchglasscheibe, sieht die zertrümmerten Briefförderbänder und spricht am nächsten Tag persönlich am Schalter vor. Die erste Mitarbeiterin blockt ab, eine zweite winkt ihn diskret zu sich und gibt ihm die Nummer der damaligen Hausverwaltung. Er bewirbt sich und greift bei den Bauarbeiten selber mit zur Schaufel.

Mittlerweile beschäftigt er dreißig Mitarbeiter und hat in den letzten fünf Jahren 1.600 Konzerte ermöglicht. Jackschenties sagt: „Ich kann mit dem Club nicht nach Marzahn. Das wird nicht funktionieren.“ Jetzt aber darf er in den Urlaub fahren. Es ist der erste richtige seit acht Jahren.

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