Gedenk-Politik: Von der Pflicht, zu erinnern

Als ein Investor das ehemalige Hamburger Gestapo-Hauptquartier kaufte, verpflichtete ihn die Stadt, einen angemessenen Erinnerungsort zu schaffen. Aber was heißt angemessen?

Einkaufsparadies überm Gestapo-Keller: die im Werden begriffenen „Stadthöfe“. Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | Wenn man den Streit positiv sieht, ist es den HamburgerInnen nicht gleichgültig, wie in der Stadt mit der Erinnerung an die NS-Zeit umgegangen wird. Auf den ersten Blick scheinen die Fronten sehr klar: Hier der private Investor Quantum, der 2009 der Stadt die Stadthöfe am Neuen Wall abgekauft hat und dort ein nobles Einkaufsparadies mit Läden, Wohnungen und Büros schaffen will.

Doch der Ort hat eine Vergangenheit: Die Hamburger Gestapo hatte dort ihr Hauptquartier, in den Kellern wurde verhört und gefoltert. Per Vertrag hat die Stadt Quantum verpflichtet, angemessen daran zu erinnern. Nun aber, knapp ein halbes Jahr vor Eröffnung der neuen Stadthöfe, regt sich Kritik bei BürgerInnen und in der Politik: Es sei eine „Privatisierung der Gedenkkultur“, sagt Uwe Leps vom neu gegründeten Förderkreis Gedenkort und Lernstätte Stadthaus, während Norbert Hackbusch, kulturpolitischer Sprecher der Linksfraktion, „große Skepsis“ hat, dass das angedachte Erinnerungskonzept tatsächlich angemessen ist.

„Komplizierte Situation“

Enno Isermann dagegen, Sprecher der Kulturbehörde, hat vor allem den Eindruck, dass der Investor in Sachen Erinnerungsauftrag „sehr eng mit uns und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme plant“. „Die Situation ist ganz kompliziert“, fügt Hackbusch noch hinzu, und das trifft es allemal. Denn die Vorwürfe erweisen sich als teils belegbar, teils aber noch nicht, die Planungen sind teils bekannt, teils nicht – und die Gratwanderung zwischen begründeter Kritik und Vorverurteilung schwierig.

Eines lässt sich sicher sagen: Die Stadt hat lange wenig getan, um an die Geschichte des Hauses zu erinnern. 1981 wurde an der Außenfassade eine Plakette angebracht, die laut Isermann, der lange dort seinen Arbeitsplatz hatte, ausgesprochen leicht zu übersehen war. Erst mit dem Verkauf an Quantum wurde die Idee eines echten Gedenkortes erstmals ernsthaft überlegt und dann bindend in den Vertrag übernommen.

Damit, so sagt es Oliver von Wrochem von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, ist Hamburg typisch für das Zögern in Deutschland, sich mit der Geschichte der NS-Zeit zu befassen – weder Vorreiter also noch besonders spät. Einem Bericht der Mopo zufolge hat Quantum versucht, sich mit einer Million Euro von der Verpflichtung zum Gedenkort freizukaufen, sei damit aber an der Kulturbehörde gescheitert. Deren Sprecher Isermann weiß von einem solchen Versuch nichts; Quantum selbst kommentiert den Vorwurf nicht.

„Zugänglicher Lernort“
Norbert Hackbusch von den Hamburger Linksfraktion ist mit dem Gedenkkonzept des Einkaufszentrums nicht zufrieden

„Es muss von außen sichtbar sein, dass es ein Haus der Gestapo war“

Im Kaufvertrag heißt es, dass Quantum sich verpflichtet, „in Abstimmung mit dem Denkmalschutzamt und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme einen Lernort mit unterschiedlichen Inhalten (Ausstellung, Seminare, Veranstaltungen, Inszenierungen, Dokumentationen) zur Nutzung des Stadthauses in den Jahren 1933 – 1943 … in geeigneten Räumen auf seine Kosten zu realisieren sowie dauerhaft den Betrieb und die öffentliche Zugänglichkeit sicher zu stellen.“ In dieser „Dokumentations- und Gedenkstätte“ soll nach den Plänen des Senats eine „Gesamtschau des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus“ entstehen, so heißt es in einer Senatsdrucksache vom August 2014.

Material dafür lieferte die KZ-Gedenkstätte Neuengamme, das laut Förderkreis an eine private Ausstellungsfirma weitergegeben wurde, die die Ausstellung auf den Weg bringen soll. Laut Kulturbehörde beruht das Ausstellungskonzept auf ihrem Vorschlag.

Tatsächlich macht sich die Skepsis des Förderkreises, dessen Mitglieder vielfach aus Hamburger Geschichtswerkstätten kommen, vor allem an einem anderen Punkt fest: Die Ausstellungsfläche soll in der Verantwortung einer Buchhandlung stehen, die dort dann auch ein Café betreibt.

Uwe Leps vom Förderkreis Gedenkort und Lernstätte Stadthaus glaubt nicht, dass ein solches Konzept realistisch ist. Die Buchhändlerin, die von der Kulturbehörde dafür angefragt ist, werde genug damit zu tun haben, ihr Geschäft zu betreiben. Was an aktiver Gedenkarbeit anfalle, etwa Führungen, die Betreuung von Besuchern, Schulklassen und Projektgruppen, Seminare zum Thema Verfolgung und Widerstand während der Naziherrschaft, könne und wolle sie nicht leisten. Auf Anfrage der taz hin hat sich die Buchhändlerin nicht geäußert.

In der Kulturbehörde teilt man die Vorbehalte des Förderkreises nicht. Im Café könne es auch Veranstaltungen von Dritten geben; was die Fachkompetenz der Buchhändlerin anbelange, so habe sie in der Vergangenheit bereits mit der Behörde bei Veranstaltungen zum Thema zusammengearbeitet. In den Räumlichkeiten, so schreibt Isermann später noch ergänzend und etwas allgemein, seien „verschiedene Veranstaltungsformate geplant“. Und dann folgt etwas, was möglicherweise dem Zentrum des Konflikts recht nahe kommt: „Aus Sicht der Behörde ist hierbei eine Mitwirkung der Geschichtswerkstätten und anderer Partner sehr zu begrüßen.“

Opfer nicht gefragt

Eben das hat Uwe Leps kritisiert: Opferverbände und Geschichtswerkstätten seien bislang nicht angesprochen worden. Und das ist der einzige Punkt, an dem die Kulturbehörde ein Versäumnis einräumt: „Es ist richtig, dass es Gesprächsbedarf gibt“, sagt Enno Isermann.

Für Norbert Hackbusch sind damit nicht alle Fragen geklärt. „Es muss von außen sichtbar sein, dass es ein Haus der Gestapo war“, fordert er. Bei Quantum begegnet man dem gelassen: Die Plakette, zu der sich die Stadt schließlich durchgerungen hatte, hänge nach wie vor an dem Gebäude und bleibe dort auch erhalten. Ende Januar wird auf Initiative des Förderkreises dort eine Demo stattfinden, um der Kritik Nachdruck zu verleihen.

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