piwik no script img

Viel Witz, wenig Action: die „Deichbullen“„Twin Peaks“ des Nordens

Die furiose Serie „Deichbullen“ des Kieler Filmemachers Michael Söth hat Premiere. Erst als Web-Serie ohne Budget gedreht, läuft sie nun bei Netflix und kommt als DVD heraus

Kiffend in Kollmar: Die Web-Serie „Deichbullen“ wurde ein großer Erfolg. Foto: Söth Filmproduktion

KIEL taz | Bei manchen Filmen sind die Produktionsgeschichten abenteuerlicher als die Handlung. So etwa bei „Deichbullen“, einer Komödie, die eigentlich als normaler Langfilm geplant, dann als Web-Serie gedreht wurde und nun beim Streamingdienst Netflix veröffentlicht wird.

Der Kieler Regisseur Michael Söth hatte 2006 mit seinem Spielfilm „Deichking“, in dem Stars der norddeutschen Musikszene wie Bela B. und Uschi Nerke mitspielten, einen lokalen Kultfilm inszeniert. Als Folgeprojekt plante er „Deichbullen“, eine Kriminalkomödie mit betörend einfacher Prämisse: Zwei Polizisten aus Hamburg werden in das Küstendorf Kollmar versetzt, wo sie sich an den gemächlicheren Lebensrhythmus gewöhnen müssen.

Das Filmprojekt bekam keine Fördergelder, und kein Fernsehsender war interessiert. Doch Söth war von seiner Idee so überzeugt, dass er „Deichbullen“ mit minimalem Budget selbst als Web-Serie produzierte. 2015 drehte er zehn Episoden von je fünf Minuten, die er bei Youtube veröffentlichte. Mit jeweils bis zu 20.000 Klicks errang die Serie einen Achtungserfolg.

Beim „Webfest“ in Berlin gewann sie dann einen Distributionsvertrag mit dem französischen Streamingdienst „Watchever“. Außerdem bewertete das französische „WebSeriesMag“ „Deichbullen“ als die beste Webserien-Komödie des Jahres 2015. Auch Söth kann sich nicht so recht erklären, warum gerade die Franzosen seine Serie so mochten.

Wenig Geld, aber eine professionelle Vermarktung

Nach diesem internationalen Erfolg bot die Produktionsfirma „Studio Hamburg“ Söth eine Zusammenarbeit an. Es gab ein wenig Geld, vor allem aber eine professionellere Vermarktung. Im Sommer 2017 wurden vier neue etwa 20 Minuten lange Episoden gedreht.

Außerdem wurde die Webserien-Staffel zu zwei Folgen zusammengeschnitten, sodass es jetzt sechs Teile gibt, die mit einer Making-Of-Dokumentation etwa 150 Minuten umfassen und am 12. Januar als DVD und BluRay veröffentlicht werden. Und: Noch in diesem Jahr soll die Serie auf Netflix laufen. Kurz davor findet deshalb am 21.12. eine Premiere im Studio Filmtheater in Kiel statt.

Auch nach zwei Jahren sind noch alle DarstellerInnen dabei, obwohl sie alle für eine winzige Gage arbeiten. Seine beiden Protagonisten René Chambalu und Reverend Christian Dabeler hatte Söth in einer anderen Produktion entdeckt. „Der Film war nicht gut, aber immer wenn die beiden auf der Leinwand waren, passierte etwas mit dem Publikum“, erinnert er sich.

Tatsächlich sind die beiden Darsteller und die Typen, die sie verkörpern, der größte Trumpf der Serie. Dabeler spielt den Verwaltungspolizisten Hartmut Paulsen und Chambalu den Kiezpolizisten Klaus Kante, der sich in einer der ersten Sequenzen der Serie von seinen Kollegen auf der Davidwache verabschiedet.

Viele improvisierte Aufnahmen

Zu gut einem Drittel besteht die Serie aus Szenen, in denen die beiden miteinander Witze reißen. Diese Aufnahmen sind größtenteils improvisiert – nicht nur, weil Söth den beiden nicht zumuten wollte, viel Text auswendig lernen zu müssen. Die beiden sind Originale und gut eingespielt. Es braucht nicht viel Handlung.

Mit anderen Worten: Im Grunde passiert nicht viel in „Deichbullen“, und Paulsen und Kante haben viel Zeit, um sich in der Dorfkneipe noch ein „Hamburger Gedeck“ (Bier und Korn) zu Gemüte zu führen. Ihr erster und lange einziger Einsatz besteht darin, einen Streit zwischen zwei Bauern um einen Grenzstein zu schlichten, der sich als Pflasterstein entpuppt.

Dabei ist das Dorf voller skurriler Figuren. Da sind zum Beispiel die Schwestern des Bürgermeisters, die auf einer Wiese eine Mondlandung veranstalten – oder der „mobile Friseur“, der Botschaften aus Menschenhaar hinterlässt. Dann verschwinden Touristen in Kollmar spurlos, in einem Fischerboot wird menschliches Blut entdeckt, und auf Kante wird sogar ein Mordanschlag verübt.

Als Vorbild für dieses dennoch eher assoziative als dramatische Erzählen und die Verwandlung eines idyllischen Örtchens, in dem das absurd Böse zu lauern scheint, kann man am ehesten den David Lynch von „Twin Peaks“ erkennen. Viele der Darsteller sind Bewohner von Kollmar, und Söth ist mit seinem Team dort inzwischen so beliebt, dass einige fast beleidigt sind, weil bei ihnen zuhause noch nicht gedreht wurde.

Mit Ben Becker hat inzwischen auch ein Star einen Gastauftritt. Der Schauspieler war von Anfang dabei: Zu Beginn jeder Folge ist seine Stimme mit einer ironischen Einführung zu hören („Schleswig Holstein, Perle der Natur…“). Nun tritt er in einer Folge als Kiezschläger „Perle“ auf, der eine Spur von Leichen hinterlässt. Natürlich ohne, dass dies den Deichbullen auffällt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!