: Blick nach drüben
Hans Peter Stiebing hat jahrzehntelang für die taz fotografiert. Jetzt ist er im Alter von 61 Jahren gestorben. Eine Erinnerung
Von Isabel Lott
Sein bekanntestes Foto ist während der Besetzung des Westberliner Lenné-Dreiecks im Sommer 1988 entstanden. Das Bild zeigt drei DDR-Grenzer, die Gasmasken tragen. Sie stehen auf der Ostseite der Mauer auf Leitern und beobachten den Tränengaseinsatz der Westberliner Polizei gegen die Besetzer, die den Bau einer Straße verhindern wollten. Eine Woche später wurde das Gelände geräumt. Einer Verhaftung konnten sich die Besetzer entziehen, indem sie über die Mauer nach Ostberlin flüchteten.
Das Foto steht exemplarisch für die Arbeit des Fotografen Hans Peter Stiebing. Er gehörte zu den wenigen Fotografen seiner Generation, die sich für Berlin als geteilte Stadt interessierten. Er dokumentierte mit seiner Kamera die Absurdität eines Bauwerks, dessen Existenz enorme Auswirkungen auf das Leben in der Stadt hatte. Damit unterschied er sich von vielen seiner Zeitgenossen, die es wie Herr Lehmann im geichnamigen Roman von Sven Regener hielten: Der Osten und die Mauer wurden einfach ignoriert, man war ganz mit sich und den politischen Verhältnissen im wilden Westberlin der 80er Jahre beschäftigt.
Aber Hans Peter, so erinnert sich sein Kollege Paul Langrock, „machte am 1. Mai immer in den Osten rüber“. Dort fotografierte er die NVA-Paraden, Soldaten, die im Stechschritt an der Staatsführung vorbeimarschierten – immer auf der Suche nach dem einen Moment, in dem die glatte Inszenierung kollabierte. So zeigt ein bekanntes Foto einen Soldaten, der als Einziger aus der Phalanx ausschert, indem er sich umdreht und direkt in die Kamera schaut.
1956 in Oberstdorf geboren und aufgewachsen in Überlingen am Bodensee, zog Hans Peter Stiebing nach Abitur und Zivildienst 1980 zum Studium der Publizistik nach Berlin. Aber der Häuserkampf und die vielen Demonstrationen waren interessanter als der Hörsaal. So zog er mit seiner Kamera los und landete 1984 als fotografierender Redakteur bei der taz, der er auch nach seinem Ausscheiden 1987 als freier Fotograf verbunden blieb.
Mit drei befreundeten Fotografen gründete er kurz danach die Agentur Zenit. Die vier jungen Männer wollten nicht mehr allein vor sich hin arbeiten. Sie wollten sich über Fotografie austauschen – und die Bürokosten teilen.
Der Zeitpunkt der Agenturgründung stellte sich als Glücksfall. Als die Mauer fiel, waren sie als Agentur bereits etabliert und verkauften ihre Fotos weltweit. Dem Südkurier erzählte er in einem Interview im April dieses Jahres: „Bevor die ganz großen Magazine, die weltweit bekannt sind, ihre eigenen Fotografen nach Berlin schickten, hatten wir schon die Filme auf dem Lichttisch. So etwas passiert einem nur einmal im Leben.“
Nach der Grenzöffnung und der Wiedervereinigung dokumentierte er das Zusammenwachsen der Stadt. Sein besonderes Interesse galt dem Wandel im ehemaligen Sperrgebiet. Seine präzise Bildauffassung und sein Hang zum Perfektionismus zeigen sich sehr gut an einer Arbeit, bei der er den Veränderungen anhand seiner eigenen Fotos 20 Jahre nach dem Fall der Mauer nachspürte.
Hans Peter Stiebing ist Anfang Oktober auf dem Weg in den Urlaub in der Uckermark bei einem Autounfall tödlich verunglückt. Seine Lebensgefährtin Pia Oswald starb vergangenen Samstag an den Folgen des Unfalls.
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