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Kolumne Geht's noch?Ethnomarketing mal anders

Kolumne
von Ebru Tasdemir

Eine Befragung im Auftrag des NDR wollte unbedingt eine Kluft zwischen „Deutschen“ und „Deutschtürken“ finden. Und fand sie dann auch.

Wer die Türkeistämmigen als „Andere“ markiert, darf sich über ihre Politikverdrossenheit nicht wundern Foto: TOM

D as Verhältnis der „Deutschtürken“ zu Deutschland ist schlechter geworden sagt der NDR. Krass, denkt man sich als Deutschtürkin, hatte sich doch gerade alles etwas beruhigt, oder? Aber nach der Bundestagswahl ist es wohl wieder mal Zeit. Das Berliner Marktforschungsinstitut Data4U hat im Auftrag des Senders über 2800 Türkeistämmige am Telefon befragt.

Das Ergebnis: Die Deutschtürken entfremdeten sich von Deutschland. 83 Prozent sehen die Türkei als ihre Heimat. Ja sowas aber auch.

In den späten 90er-Jahren beschäftigte sich Data4U noch damit, das Kaufverhalten der Deutschtürken abzufragen. „Ethnomarketing“ hieß damals das Zauberwort, Unternehmen wie Mercedes-Benz produzierten eigens für diese Zielgruppe Werbespots mit Heimatklängen und anatolischen Landschaften.

20 Jahre später ist das Image der Deutschtürken schlechter als ever, und nun sucht die Firma nach der Kluft zwischen „Deutschen“ und „Türken“. Die Idee, zu schauen, wie sich hiesige Türkeistämmige nach einem ereignisreichen Jahr mit vielen Konflikten zwischen den beiden Ländern äußern, klingt erst einmal interessant. Was Studienleiter Joachim Schulte allerdings im NDR-Interview als Ergebnis herausdestilliert, verblüfft: Dass „das Verhältnis zu den Deutschen“ schlechter geworden sei und sich daraus eine „soziale Zeitbombe“ entwickeln könne.

Weder den Forschern noch dem NDR scheint aufgefallen zu sein, dass die Dichotomie von „Deutschen“ auf der einen und „Türken“ auf der anderen Seite hier nicht funktioniert: Sind doch 30 Prozent der Befragten deutsche Staatsbürger und 7 Prozent Doppelstaatler, also nicht nur „Türken“.

Die Studie tappt im Dunkeln

Auch sonst tappt die Studie im Dunkeln. Begriffe wie „Heimat“ (Superfrage: „Auf welches der beiden Länder trifft das für Sie zu?“) werden in einem Interview am Telefon abgefragt, und dann auch noch auf türkisch – sehr blauäugig muss man sein, um zu glauben, dass Begriffe in der anderen Sprache Gleiches bedeuten. „Heimat“ ist im Türkischen einfach positiv konnotiert und dementsprechend ist die Zustimmung groß, 83 Prozent. Daraus eine Ablehnung gegenüber Deutschland zu basteln ist abwegig.

Rechte feiern in den sozialen Medien diese Studie als Beleg für ihren Minderheitenhass – wir als Deutschtürken sind hingegen genau so klug wie zuvor.

Was wir aber schon gelernt haben: Wer in einer Studie unter in Deutschland lebenden Türkeistämmigen nur Fragen zu Erdoğan stellt und nicht zur AfD, akzeptiert die Befragten nicht als Teil dieser Gesellschaft, sondern markiert sie als „Andere“. Dann darf man sich über die Politikverdrossenheit unter Türkeistämmigen nicht wundern.

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Redakteurin
Jahrgang 1973, Chefin vom Dienst im Lokalteil der taz. Studierte Publizistik und Turkologie an der FU Berlin.
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1 Kommentar

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  • Vermutlich ist es das gleiche wie mit der sog. "Mauer in den Köpfen". Ein Umdenken findet einfach viel zu zaghaft statt, und solange dies nur in den Redaktionen geschieht (bzw. sofern überhaupt), werden sich des Volkes Vokabular und damit auch die Meinungen und Einschätzungen kaum ändern, und die "wir vs. die"-Positionen erst recht nicht.

     

    Wie das halt so ist mit Umfragen, wer fragt wen was wie.

     

    Bei der Konnotation bzgl. "Heimat" mußte ich aus beruflichen Gründen arg schmunzeln, weil die Berücksichtigung derselben unbedingt dazugehört. Viele Fremdsprecher sind sich nicht bewußt, daß, wenn sie sich in einer anderen Sprache bewegen, Inhalte anders wahrgenommen werden können als es beabsichtigt gewesen sein mag.

     

    Die Frage, warum Erdogan und die Türkei Hauptthemen gewesen sind, und man bei "Integration" nicht auch auf die letzten Wahlen und die aktuellen Diskussionen ("AfD") eingegangen ist, bescheiningen eine gewisse Schlampigkeit.