Uwe Rada über die Bilanz von R2G: Gemeinsam sind wir unterschiedlich stark
Gemeinwohl ist so ein Wort, das linke Herzen höher schlagen lässt. Gemeinwohl ist schließlich das Gegenteil von Eigennutz oder, wie es der ein oder die andere rustikaler ausdrücken würde, Raffgier. Also wird neuerdings eine gemeinwohlorientierte Wohnungswirtschaft gelobt, die mit „gutem“ statt „schlechtem“ Geld arbeitet, gemeinwohlorientiert ist das 27,50 Euro billige Sozialticket, weil es Mobilität auch für Geringverdiener erlaubt, und gemeinwohlorientiert soll auch die Berliner Verwaltung sein, auch wenn dafür „Kundenorientierung“ sicher das bessere Wort wäre.
Seit einem Jahr hat nun, jedenfalls aus der Perspektive der Akteure, auch die gemeinwohlorientierte Politik einen Namen: Rot-Rot-Grün. Kein Zufall also, dass sich bei der Bilanzpressekonferenz von SPD, Linken und Grünen am Montag im Roten Rathaus zunächst einmal alle artig beieinander bedanken. Die grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop bei SPD und Linken, der linke Kultursenator Klaus Lederer bei SPD und Grünen, und Michael Müller, der Regierende Bürgermeister der SPD, wortlos, aber lächelnd in Richtung seiner Koalitionspartner Linke und Grüne. Es ist nicht einfach so in einer Dreierbeziehung, das merkt man schon beim Danken. Und ganz einfach, das haben alle drei eingeräumt, ist Rot-Rot-Grün vor einem Jahr auch nicht gestartet.
Der Anschlag auf dem Breitscheidplatz, der Streit um Staatssekretär Andrej Holm, das Rumoren in der SPD, das Bauressort an die Linke verloren zu haben.
Ganz höflich sagte also Michael Müller: „Wir haben ein bewegtes und spannendes Jahr hinter uns.“ Und Klaus Lederer: „Es war das Jahr in meinem Leben, das am schnellsten vergangen ist.“ Ramona Pop variiert: „Das Jahr ist schnell und rasant rumgegangen.“
Sprachregelungstechnisch ist sich R2G also nähergekommen, das ist ja schon mal etwas. Und den Blick auf die Zukunft gerichtet, hoffen alle drei, dass es künftig noch besser wird. Denn das „Jahrzehnt der Investitionen“, das auf das „Jahrzehnt der Konsolidierung“ folgen soll, macht sich halt nicht sofort und überall bemerkbar.
Weil aber nun endlich investiert werde, so Michael Müller, „sind die Erwartungshaltungen sehr groß“. Aber, so Müller, „es geht halt nicht sofort.“ Das ist seine Erklärung dafür, dass die Berliner die derzeit unbeliebteste Landesregierung im Bund ist. Während die SPD nach der jüngsten Forsa-Umfrage weiter verliert, legen die Koalitionspartner zu. Und die SPD muss sich fragen, warum sie im Bund als Juniorpartner ständig schwächer und in Berlin als Seniorchef nicht stärker wird. Auch dafür hat Müller eine Antwort. „Konflikte helfen nie“, sagte er, anspielend auf seinen Machtkampf mit Fraktionschef Raed Saleh. Soll heißen: SPD, Grüne und Linke können gemeinwohlorientierte Politik machen, wie sie wollen. Honoriert wird das erst, wenn die Gemeinwohlorientierung auch in der SPD mit ihren Flügel- und Hahnenkämpfen angekommen ist.
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