Internationaler Straftgerichtshof ermittelt: In Burundis Folterkammern
Jahrelang haben Menschenrechtler Beweise für Folter und Verbrechen gesammelt. Jetzt liegen die Daten bei den Anklägern in Den Haag.
Schon immer kreisten um diese Bar die gruseligsten Gerüchte. Kneipenbesitzer General Adolph Nshiririmana war bis Ende 2014 Geheimdienstchef und einer der brutalsten Haudegen in Burundis Regierungszirkel. Er wurde im August 2015 unweit dieser Bar von Unbekannten mit einer Bazooka in seinem Geländewagen getötet.
Das Foltern und Morden in den dunklen Zimmern seiner Kaschemme geht aber weiter. Davon berichteten überlebende Opfer des burundischen Gewaltregimes den Ermittlern des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Dieser hat vergangene Woche verkündet, Ermittlungen gegen die Verantwortlichen einzuleiten.
In seinem jetzt veröffentlichten Lagebericht über Gewaltverbrechen in Burundi wird diese Kneipe als Ort des Terrors genannt. Auch an anderen Orten wurden Informationen aus den Gefangenen herausgepresst: im Hauptquartier des Geheimdienstes (SNR), einem Polizeigefängnis im Hauptquartier der Bereitschaftspolizei, der Parteizentrale der CNDD-FDD sowie in der Villa des berüchtigten Sicherheitsministers General Guillaume Bunyoni und sogar im Privathaus von Präsident Pierre Nkurunziza höchstpersönlich.
Gezielte Gewalt gegen Regierungsgegner
Zwischen April 2015 und April 2016 hat der Strafgerichtshof rund 600 Fälle von Folter dokumentiert, mehr als die Hälfte in den ersten Monaten des Jahres 2016. Geschlagen wurden die Gefangenen mit Stöcken, Gürteln, Kabeln, Gewehrläufen. Gewichte wurden an ihren Genitalien aufgehängt, Haut mit Batteriesäure verätzt, Köpfe unter Wasser getaucht. Manche wurden an ihren Füßen aufgehängt: „amagurizege“ nennt man das in der burundischen Sprache Kirundi. Beliebt war auch die „uwindege“-Position: Da wurden Menschen an Armen und Beinen „wie Flugzeuge oder Hühnchen aufgehängt“.
Der Bericht kommt zum Schluss, dass neben systematischer Folter im Zeitraum von April 2015 und Oktober 2017 Burundis Staatsorgane Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen die eigene Bevölkerung begangen haben: „Nicht weniger als 1.200 Personen wurden getötet, Tausende illegal festgenommen, Tausende laut Berichten gefoltert, und Hunderte verschwanden spurlos“, so der Bericht. Über 400.000 Burundier mussten fliehen.
Allein im Oktober 2015 seien 55 Menschen exekutiert worden, darunter drei Kinder und eine Frau. Der grausamste Tag war der 11. Dezember 2015: Zwischen 150 und 200 Menschen wurden getötet. Die Gewaltakte waren keine Willkür, so das Weltgericht, sondern „Teil einer Kampagne, die sich gezielt gegen diejenigen richtete, die gegen die Regierungspartei waren oder als Gegner betrachtet wurden“.
Die Anschuldigungen basieren auf Beweismaterialien: Der Geheimdienst SNR und die Imbonerakure hätten „Listen gefertigt von jenen, die als Gegner der Regierungspartei betrachtet wurden“, so der Bericht. Um diese zusammenzustellen, wurden Videos von Protestdemonstrationen ausgewertet oder Fotoalben konfisziert, wenn Gegner verhaftet wurden. Manche Oppositionelle seien so lange gefoltert wurden, bis sie alle ihre Verwandten, Freunde und Bekannten auflisteten.
Jetzt müssen die Befehlsketten ermittelt werden
Laut taz-Recherchen haben Mitglieder und Anwälte der verschiedenen burundischen Menschenrechtsorganisationen seit 2015 gemeinsam mit der UN-Menschenrechtskommission, die ein Büro in Bujumbura hatte, systematisch Beweismaterialien gesammelt und Listen potenzieller Augenzeugen zusammengetragen, auch Listen von Verschwundenen.
Als die Proteste 2015 losgingen, mussten die internationalen Mitarbeiter der UN-Kommission das Land verlassen, doch burundische Angestellte führten die Recherchen fort. „Wir haben weit mehr Opfer interviewt, als es nun Anschuldigungen gibt“, sagt ein Burundier, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben muss. „Was der ICC nun im Bericht auflistet, ist nicht mal die Hälfte oder ein Viertel der Realität, die wir vor Ort recherchiert haben.“
Nachdem 2015 die Massenflucht aus Burundi begonnen hatte, war es den Ermittlern der UN-Kommission möglich, zahlreiche Opferzeugen in den Flüchtlingslagern in der DR Kongo, Ruanda und Tansania zu vernehmen. Die Kommission hat ihre Ergebnisse letztlich dem ICC übergeben.
Um eine Anklage zu verfassen, müssen die ICC-Ermittler nun wiederum nachvollziehen, wer die Drahtzieher dieser Verbrechen sind. Dazu müssen sie die Befehlsketten ermitteln. Wer hat die Verbrechen angeordnet, wer hat sie ausgeführt? Viele der vernommenen Opfer konnten den Ermittlern nicht nur die Namen der Täter nennen, sondern auch deren Ränge, zu welchen Sicherheitsdiensten sie gehörten oder auch deren Spitznamen, heißt es im Bericht.
ICC stellt Liste der Verantwortlichen zusammen
Die meisten illegalen Verhaftungen wurden demnach von der Jugendmiliz Imbonerakure durchgeführt, „die dann die Verhafteten dem SNR oder der Polizei übergeben haben“. Im Bericht wird deutlich, dass die Ermittler den Befehlshabern auf der Spur sind: „Laut verfügbarer Informationen operierten die Staatsorgane durch parallele Kommandoketten“, so die Ermittler, also entlang loyaler Personen, „zum Beispiel wurde der Polizeidirektor aus dem Entscheidungsprozess ausgegliedert und sein Stellvertreter erhielt die Befehle direkt vom Sicherheitsminister und dem Präsidentenbüro.“
Aus Ermittlerkreisen hat die taz erfahren, dass in Den Haag eine Liste der Verantwortlichen zusammengestellt wird. Ganz oben stehen Sicherheitsminister Bunyoni, SNR-Chef Etienne Ntakarutimana und SNR-Oberst Mathias Niyonzima alias Kazungu. Es sei nicht ausgeschlossen, dass auch Präsident Nkurunziza persönlich verantwortlich gemacht werden könne. Burundis Regierung hat nach ihrem jüngsten Ausstieg aus dem Strafgerichtshof den ICC-Ermittlern jegliche Zusammenarbeit verweigert. „Wir werden nicht kooperieren“, sagte Burundis Justizministerin Aimee Laurentine Kanyana.
Rückendeckung bekommt das Regime von Ugandas Präsident Yoweri Museveni, Schirmherr über Burundis Friedensdialog und derzeitiger Vorsitzender der Ostafrikanischen Gemeinschaft, sowie von Tansanias Präsident John Pompe Magufuli.
Laut Rom-Statut kann der Gerichtshof tätig werden, wenn die nationale Justiz nicht willig oder in der Lage ist, die Verbrechen selbst vor Gericht zu bringen. Dies, so der Bericht, sei in Burundi nicht der Fall. Der Gerichtshof sei also zuständig, da Burundi im zu ermittelnden Untersuchungszeitrum Mitglied gewesen sei.
Burundis Oppositionelle begrüßen die Entscheidung der Strafkammer in Den Haag, den Fall zu eröffnen. „Wir bitten Anwälte, Opfer und Zeugen um Ausdauer“, so die burundische Exilorganisation CNARED in einer Presseerklärung: damit die Kriminellen vor Gericht gestellt und Gerechtigkeit wieder einkehren könne in Burundi.
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