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Hausdurchsuchung bei Aktivist„Die Handlanger Erdoğans“

Kerem Schamberger soll Fahnen syrisch-kurdischer Organisationen im Internet gepostet haben. Die Polizei durchsuchte seine Wohnung.

Kerem Schamberger postet täglich kritische Nachrichten über die Lage in der Türkei auf Facebook Foto: Sachelle Babbar/ZUMA Press/imago

Berlin taz | Montagmorgen um 6 Uhr durchsuchten Polizisten in München die Wohnung von Kerem Schamberger. Der 31-jährige Kommunikationswissenschaftler soll Fahnen der syrisch-kurdischen Milizen YPG und YPJ sowie der Partei PYD auf sozialen Netzwerke hochgeladen haben. Die drei Organisationen spielen eine Schlüsselrolle im Kampf gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS); trotzdem ist das Zeigen ihrer Symbole in Deutschland verboten.

Für Schamberger ist das „ein erbärmliches Zeichen dafür, dass die Bundesregierung nicht in der Lage ist, sich gegen die AKP und Erdoğan zu stellen“. Der Flüchtlingsdeal und wirtschaftliche Interessen seien offenbar wichtiger als Menschenrechte, Pressefreiheit und Freiheit der Wissenschaft: „6.000 deutsche Unternehmen arbeiten und produzieren in der Türkei.“

Im Rahmen der Hausdurchsuchung wurden Laptops, Handys und USB-Sticks beschlagnahmt. „Als ich den Polizist*innen sagte, dass sie sich zum Handlanger Erdoğans machen und seine repressive, diktatorische Politik in Bayern fortsetzen, lautete ihre Antwort :‚Wir führen nur Befehle aus.‘ Dieses Argument hat in der deutschen Geschichte schon mal zu ganz schlimmen Situationen geführt“, so Schamberger.

Der Aktivist wurde 1986 in München geboren als Kind einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters. Seit seinem 15. Lebensjahr ist er politisch aktiv. Am Anfang stand eine Che Guevara-Biografie, die er zum Geburtstag bekam: „Ich habe mich dafür interessiert, wofür Che gelebt und gestorben ist – und bin so zum Marxismus gekommen.“ Ihm ist wichtig, politische Arbeit nicht auf die Theorieebene zu begrenzen, sondern an die Praxis anzubinden.

Die Werte der EU

Für Schamberger steht der Umgang mit der Türkei exemplarisch dafür, ob die EU tatsächlich gemeinsame Werte hat. Die EU hebt das immer wieder hervor, er zweifelt aber: „Das ist eine interessenbasierte Machtstruktur, die nicht darauf achtet, ob kurdische Journalist*innen in der Türkei eingesperrt oder Kinder von türkischen Panzern überfahren werden.“

Zu politischem Aktivismus gehört für Schamberger auch, täglich kritische Nachrichten über die aktuelle Lage in der Türkei auf Facebook zu posten. Im Mittelpunkt seines Interesses stehen dabei Menschenrechtsverletzungen. „Mir ist es nicht egal, wie mit Menschen in der Türkei, einem meiner Herkunftsländer, umgegangen wird, wie Menschen verfolgt werden aufgrund ihrer Identität.“

Das scheint auch viele andere zu interessieren: Schamberger folgen 15.000 Facebook-Nutzer*innen. Diese Zahl war mal höher. Vergangene Woche schaffte es der Doktorand in die Schlagzeilen – unter anderem der taz – weil er innerhalb von zwei Monaten unerklärlicherweise über 5.000 „Follower“ verlor. Doch viele der Verschwundenen haben ihr Schamberger-Abo nicht selbst gekündigt. Und Facebook ist entweder nicht in der Lage zu erklären, wer sie gelöscht hat – oder nicht willens.

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8 Kommentare

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  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Dass die YPG/YPJ auf der Liste der Terrororganisationen steht, finde ich eine Unverschämtheit. Das betrifft auch eine Anzahl von Menschen aus der sog. autonomen Szene, die für die YPG gekämpft haben oder sie anderweitig unterstützt haben / unterstützen. Es wäre mehr als nur lächerlich, sie anzuklagen. In der Öffentlichkeit würden solche Anklagen auch eine breite Diskussion des Themas hervorrufen und das ist wohl der Grund, warum das Innenministerium einen eigenen rechtsfreien Raum kreiert:

     

    Es ist ein offener Widerspruch im vermeinten deutschen Rechtsstaat, Menschen zu Terrorist*innen oder Terrorhelfer*innen zu erklären, dem aber keine Strafverfahren folgen zu lassen.

    Das beweist nichts weniger, als dass es keine unabhängige Exekutive und Judikative mehr gibt. Die Bundesregierung demonstriert mit diesem Handeln: Die Terrorismusgesetzgebung, also das Feindstrafrecht, ist nichts weiter als ein Willkürrecht zur Verfolgung politischer Feinde - wessen Feinde auch immer.

     

    Meine Solidarität geht nach Rojava, an alle die unter Erdogan zu leiden haben und an Menschen wie Kerem Schamberger, die sich nicht abbringen lassen davon, weiter in Solidarität für andere einzutreten. Er ist nicht der erste, dessen Wohnung wegen YPG/YPJ-Fahnen auf Facebook durchsucht wurde und auch bei Demonstrationen bekommen Demonstrant*innen Probleme damit, wenn sie diese Symbole öffentlich zeigen. Leider gibt es aus der sog. Mitte der #Gesellschaft keine Positionierung zu dem Thema. Diesen Burgfrieden will die Bundesregierung auch nicht stören.

  • AKP Wähler sollten in die Türkei ziehen.

    • @Justin Teim:

      Text gelesen?

      • @Hanne:

        ich schon...

  • Ich nehme an, es sind NATO-Interessen, derentwegen man bei Erdogan offenbar alles durchgehen lässt. Wirtschaftsinteressen, aber auch handfeste geostrategische Militärinteressen.

     

    Erdogan nützt das massiv aus. Er hat Narrenfreiheit.

     

    Daß aber die deutsche Polizei Erdogans Arbeit tut, geht gar nicht.

     

    "Wir führen nur Befehle aus" ist in der Tat ein dummer Spruch, den schon alle Büttel zu allen Zeiten vorgeschoben haben. Gehirn an der Garderobe abgegeben, wie?

     

    Das erinnert einen doch mal wieder daran, daß die Polizei keineswegs unser Freund und Helfer ist, sondern ein Werkzeug der Mächtigen.

  • 8G
    81622 (Profil gelöscht)

    Unglaublich wie der deutsche Staat sich zum Büttel Erdogans und seines faschistischen Regims macht und gleichzeitig deutsche Staatsbürger in dessen Knästen vergammeln lässt.

    • @81622 (Profil gelöscht):

      Ist das ein ironischer Beitrag? :-)

      • 8G
        81622 (Profil gelöscht)
        @rero:

        nein, wieso?