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Dänemarks Reformpläne im EuroparatKampagne gegen Menschenrechte

Das Land übernimmt den Vorsitz des Europarats. Es will die Menschenrechtskonvention aufweichen, um sich gegen Flüchtlinge abzuschotten.

Viele Flüchtlinge sind es nicht, aber den dänischen Politikern sind es noch zu viele Foto: dpa

Stockholm taz | So etwas findet Dänemarks Einwanderungsministerin Inger Støjberg „ziemlich unverschämt“: Ein syrischer Arzt mit Aufenthaltsrecht in Dänemark lässt von einem Gericht überprüfen, ob es mit der europäischen Menschenrechtskonvention übereinstimmen kann, dass seine Ehefrau erst nach Ablauf von drei Jahren einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen darf.

Geht es nach Ministerin Støjberg, haben die Leute Entscheidungen gefälligst zu akzeptieren – ohne sich auf die Menschenrechte beziehen zu können. Um das zu erreichen, sieht Kopenhagen nun den richtigen Zeitpunkt gekommen: Dänemark übernimmt am 15. November den Vorsitz im Entscheidungsgremium des Europarats, dem Ministerkomitee.

Der Europarat mit seinen 47 Mitgliedsländern soll die Menschenrechte eigentlich verteidigen. Doch Kopenhagen hat sich eine „Reform“ der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgenommen. Was Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen an diesem Abkommen stört, sagte er anlässlich des Besuchs des Europarats-Generalsekretärs Thorbjørn Jagland: Es brauche „mehr Vernunft und Angemessenheit bei der Auslegung der Buchstaben der Konvention“. Durch sie werde Dänemark beispielsweise gehindert, „zutiefst kriminelle Ausländer auszuweisen“.

Die Kampagne gegen die Menschenrechte hatte die rechtspopulistische Dänische Volkspartei gestartet. „Die Menschenrechtskonvention hindert unser Land, die gewünschte Politik auf dem wohl wichtigsten Politikfeld zu führen, nämlich der Ausländerpolitik“, kritisierte im Juli letzten Jahres deren Europaparlamentarier Morten Messerschmidt in der Berlingske Tidende. Dänemark war zuvor wiederholt vom Europarat wegen Menschenrechtsverstößen verurteilt worden.

Der Auffassung, dass eine Änderung notwendig sei, schlossen sich bald auch die Konservativen an sowie die rechtsliberalen Parteien Liberale Allianz und Venstre, der Ministerpräsident Rasmussen angehört. Mittlerweile sind auch die Sozialdemokraten für eine „Reform“.

„Angriff auf die Demokratie“

Für besonders dringend hält Kopenhagen eine Änderung von Artikel 8 der Konvention. Der verpflichtet die Vertragsstaaten, „jeder Person“ das „Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens“ zu garantieren. Eingriffe sind nur insoweit erlaubt, „als sie in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ sind, um beispielsweise die öffentliche Sicherheit oder Ordnung aufrechtzuerhalten. Er setzt damit auch Schranken auch für die nationale Gesetzgebung.

Damit, so Messerschmidt, würden „Menschenrechte zu einem Angriff auf die Demokratie, zu einem Parasit im Rechtsstaat“. Das beweise der Fall Gimi Levakovic. Den 46-jährigen kroatischen Staatsbürger, der seit 44 Jahren in Dänemark lebt, hätte die Ausländerbehörde angesichts von rund 20 Vorstrafen gern längst ausgewiesen. Doch mit Hinweis auf seine minderjährigen Kinder wurden entsprechende Beschlüsse vom Obersten Gerichtshof unter Verweis auf Artikel 8 aufgehoben. Ministerpräsident Rasmussen gelobte Ende August im Parlament, sich für eine Änderung starkzumachen: Es müssten „Reformen eingeleitet werden“, wenn Europas Menschenrechtssystem „auch in Zukunft wirksam und effektiv sein soll“.

In Kopenhagen wird beispielsweise über die Möglichkeit diskutiert, Artikel 8 so umzuformulieren, dass er nicht mehr Menschenrecht, sondern Bürgerrecht ist, also nur noch für die jeweiligen StaatsbürgerInnen eines Landes gilt: Er wäre damit kein Hindernis mehr für Ausweisungen.

KritikerInnen warnen, das als nächstes die Schwächung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit oder dem Folterverbot auf der Tagesordnung stehen könnten

Søren Søndergaard, rechtspolitischer Sprecher der linken Einheitsliste, warnt, dass Kopenhagen die „Büchse der Pandora öffnet“. Es gebe im Europarat eine Reihe von Staaten, die schon lange auf einen „Showdown“ für die Menschenrechtskonvention hofften. Diese Warnung greift auch der ehemalige dänische Europaratsbotschafter Claus von Barnekow in der Zeitung Information auf. Für Entscheidungen im Ministerkomitee bedürfe es zwar einer Zweidrittelmehrheit, aber Regierungen in Aserbaidschan, Russland, Polen, Ungarn oder der Türkei würden nur darauf warten, dass der Menschenrechtskatalog der Konvention in Frage gestellt werde. KritikerInnen warnen, das als nächstes die Schwächung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit oder dem Folterverbot auf der Tagesordnung stehen könnten.

Die dänischen PolitikerInnen verweisen gern auf „Volkes Stimme“ – nachdem sie die Stimmung selbst kräftig mit angeheizt haben: Laut einer aktuellen Umfrage ist eine Mehrheit der DänInnen für den Austritt des Landes aus der Menschenrechtskonvention, falls ein Ausweisungshindernis wie Artikel 8 nicht beseitigt werden sollte.

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8 Kommentare

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  • Es darf nicht sein, dass Menschen sich das lukrativste Sozialsystem raussuchen und die Finanzierer des System müssen das hinnehmen.

     

    Egal wie man es löst oder nennt oder begründet, Schutz gewähren ist OK, aber unsere Leistungen gewähren nicht. Schutz kann und sollte außerhalb von Europa zu lokalen Standards erfolgen.

     

    Dass man Serientäter nicht abschieben kann, darf auch nicht sein. Wir brauchen dringend Änderungen.

     

    Ich hoffe auf Dänemark.

    • @haraldarc:

      Der Mann lebte von seinen 46 Jahren 44 in Dänemark. Inwiefern hatte er sich einen Staat oder ein System "ausgesucht"?

      Was nicht sein darf, ist viel mehr, unter Verweis auf Straftaten und finanzielle Kosten Menschenrechte aufs Spiel zu setzen! Die gelten für jeden unabhängig von allen Kosten.

  • "Es brauche „mehr Vernunft und Angemessenheit bei der Auslegung der Buchstaben der Konvention“. Durch sie werde Dänemark beispielsweise gehindert, „zutiefst kriminelle Ausländer auszuweisen“."

     

    Diese Kriminellen müssen abgeschoben werden, damit sie die echten Flüchtlinge nicht durch ihr Verhalten in eine Ecke drängen, in die sie nicht gehören. Selbst die GFK verlangt von Flüchtlingen, sich an das geltende Gesetz der sie aufnehmenden Länder halten.

  • Danmark, kære Danmark - hvor dybt vil du synke?

    • @Soungoula:

      Kommentar gelöscht. Bitte schreiben Sie auf Deutsch oder Englisch.

      • @kditd:

        ...Deutsch, Englisch oder ...dänisch?

        Wissen Sie denn, was SOUNGOULA geschrieben hat?

  • Die Angriffe auf die Menschenrechtskonvention kommen aus vielen Ländern. Ob UK, Schweiz, Puting oder Erdogan - sie alle wollen es sich nicht vorschreiben lassen, wie die Menschenrechte ausgelegt werden. Auch Deutschland ist da kein Vorbild. Im Familienrecht ist die Achtung der Menschenrechte der Kinder nur sehr zögerlich, da in Deutschland Kinderrechte meist nur als Mütterrechte interpretiert werden.

    Der EGMR in Straßburg ist dabei dem Bundesverfassungsgericht nachempfunden. Ein undemokratisches Gewissen, was sich nicht durch Politik beeinflussen lässt. Von daher haben die deutschen Politiker noch am wenigsten Probleme mit dieser eingeschränkten Souveränität - während z.B. Schweizer Politiker eher daran gewöhnt sind, durch Referenden in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt zu werden.

    Der Verweis auf die bösen rechtslastigen Dänen allein wird daher dem Problem nicht gerecht. Menschenrechte haben in den letzten Jahren in Europa massiv an Bedeutung verloren. Das hat nur teilweise etwas mit den Rechtspopulisten zu tun.

    • @Velofisch:

      Danke für die Klarsichtigkeit @VELOFISCH ! ..wär noch hinzuzufügen das die Islamophobie in Dänemark, Polen, Ungarn und in etc EU , als in DE diesen "Antihumanen Vorstoss" der DK Inger Støjberg beim Europarat wohl unterstützen wird ! Im Falle der Konflikte in den Bewegungen der Wanderungen der Arbeitskräfte der baltischen Staaten, Polens, Ungarns, Bulgarien, Rumänien gen dem Westen der EU wird eine Angleichung der allgemeinen Menschenrechte an die Bürgerrechte nicht geschehen (meine ich..)