: „Für viele ist es eine Auszeit vom Krebs“
GESUNDHEIT Im Angesicht der Krankheit: Martina Neumann gibt Schminkseminare für Krebspatientinnen. Es ist jedes Mal ein neuer Selbstfindungsprozess, sagt sie – für alle Beteiligten. Und trotz aller Scheu, sich mit dem Tabuthema zu beschäftigen, sind die Wartelisten für die zweistündigen Kurse lang
■ Der Mensch: Martina Neumann, 47, kommt aus Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern und lebt in Berlin. In der DDR lernte sie Bauzeichnerin und Schauwerbegestalterin. Mitte der 90er Jahre begann sie nebenher, bei einer großen Kosmetikkette zu arbeiten. Seit 2004 ist Neumann dort in der Pflegeabteilung fest angestellt. Auf die Schminkseminare wurde sie 2008 aufmerksam. Seitdem gibt sie regelmäßig fünf bis sechs Seminare im Jahr. Neumann ist verheiratet und hat zwei Kinder.
■ Die Aktion: Die DKMS LIFE, eine Tochter der Deutschen Knochenmarkspenderdatei, organisiert zusammen mit Kliniken und Freiwilligen Kosmetikkurse für KrebspatientInnen. Seit Gründung des Programms haben dabei mehr als 90.000 Frauen gelernt, wie man die Spuren der Chemotherapie lindern und verdecken kann. Die zweistündigen Seminare finden in kleinen Gruppen von etwa zehn Frauen statt. Firmen wie Douglas, L’Oreal und Dior fördern das Projekt. Jedes Jahr werden bundesweit mehr als 1.000 Kurse in 220 Einrichtungen angeboten. Wer Interesse hat, kann sich unter dkms-life.de informieren.
INTERVIEW JOHANNES WENDT
taz: Frau Neumann, Sie geben Schminkseminare für Krebspatientinnen. Versuchen die Frauen, sich hinter der Schminke zu verstecken?
Martina Neumann: Bestimmt. Wenige Frauen können locker und selbstbewusst mit dem Krebs umgehen. Und ich finde, das kann auch niemand erwarten. Ich merke das im Seminar: Zu Beginn schlage ich immer vor, die Perücken abzunehmen, weil es sich so einfacher schminkt. Viele nehmen sie ab. Aber manche tun sich sehr schwer damit.
Trotzdem machen viele Frauen mit. Für Ihre Seminare gibt es lange Wartelisten.
Die meisten sind am Anfang sehr verhalten und verschlossen. Manche kennen sich von den Krankenstationen, da ist die Stimmung dann etwas lockerer. Nach den knapp zwei Stunden löst sich das aber völlig auf, dann wird geschnattert und gefragt. Generell glaube ich, die Frauen sehen es als eine Art Luxus, sich wieder hübsch zu machen. Viele sagen: „Mensch, ich seh ganz anders aus, viel frischer!“
Wie laufen die Kurse ab: Schminken Sie jede einzelne Frau?
Nein. Ich zeige die Sachen an einer Teilnehmerin, und die anderen können das selbst machen.
Was zeigen Sie genau?
Das ist total individuell. Ich führe den Frauen vor, wie sie einen Eyeliner oder einen Augenbrauenstift ziehen. Die Frauen schminken sich auch richtig ab, also das ganze Programm. Jede Patientin bekommt am Anfang des Seminars eine Tasche, gesponsert von Kosmetikfirmen. Die ist voll mit den Produkten, die wir dann verwenden. Bei der gereizten Haut dürfen die Patientinnen gar nicht alle Cremes benutzen.
Ist das Ganze eine Werbeveranstaltung?
Nein, die Seminare sind keine Verkaufsveranstaltung.
Bessern Sie nach, wenn der Lidschatten mal danebengeht?
Klar, ab und zu helfe ich. Aber ich schminke nicht alle. Das ist auch aus hygienischen Gründen nicht möglich. Die Frauen, mit denen ich in meinen Seminaren arbeite, sind körperlich sehr geschwächt. Die meisten haben Brustkrebs, manche gerade erst die Chemotherapie hinter sich, andere sind mittendrin.
Was sind die Folgen der Chemotherapie?
Durch die Medikamente ist die Haut oft gerötet und schuppig. Viele können nicht ohne Sonnenschutz ins Freie. Bei manchen werden auch die Fingernägel weich, mit kleinen Höckern drauf. Die Frauen verlieren während der Chemotherapie ihre Haare. Also auch Augenbrauen und Wimpern. Das geht manchmal von heute auf morgen, dann haben sie richtig Büschel im Kopfkissen. Das ist ein ganz harter Schlag.
Bieten Sie manchmal auch psychologischen Halt?
Ich finde, das steht mir nicht zu.
Warum nicht?
Nicht jede Frau ist so offen und will darüber sprechen. Das Seminar ist für viele eher eine Auszeit vom Krebs. Auf den Stationen sind oft Psychologen und Krankenschwestern, die sich um die Frauen kümmern.
Sie bringen den Frauen das Schminken bei. Was noch?
Ich will ihnen einen netten Nachmittag bereiten. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch. Es ist einfach toll, wenn die Frauen wieder strahlend rausgehen. Für mich sind das sehr bewegende Momente.
Sind Sie persönlich mit Krebs in Kontakt gekommen?
Ja, ich habe meine Mutter vor vielen Jahren verloren. Sie hatte damals Brustkrebs und Eierstockkrebs. Eine Freundin von mir hatte auch Krebs. Die hat das super überstanden und konnte offen damit umgehen. Ich glaube, eine starke Familie ist das Wichtigste. Wenn man den Krebs allein mit sich ausmachen muss, wird es sehr schwer.
Haben Sie deshalb angefangen die Seminare zu geben?
Nein, mein Chef bei einer Kosmetikkette hat mich gefragt, ob ich mir die Seminare zutrauen würde. Ich war am Anfang vorsichtig, weil ich nicht wusste, ob ich das schaffen kann. Ich habe dann erst mal bei zwei Seminaren hospitiert. Irgendwann wurde ich gefragt, ob ich aushelfen könne. Da hab ich sofort zugesagt.
Wie groß ist der Unterschied zwischen der Glitzer- und Konsumwelt in Ihrer Filiale und den Seminaren?
Das ist ein Riesenkontrast. Wenn ich die Seminare gebe, will ich den Frauen helfen und denke nicht ans Kommerzielle.
Könnten Sie sich vorstellen, nur noch die Seminare zu machen?
Klar, aber das ist natürlich auch ein finanzieller Faktor. Die Arbeit ist ja ehrenamtlich. Ich bin bei meiner Hauptarbeit total glücklich, meine Arbeit in der Pflegeabteilung ist sehr anspruchsvoll. Außerdem stellt mich mein Arbeitgeber für die Seminare frei.
Bekommen Sie Feedback von den Frauen?
Viele klatschen nach dem Seminar, kommen noch mal persönlich zu mir und bedanken sich. Zum Schluss gucken viele in den Spiegel, mustern sich und fragen: „Ob mich mein Mann überhaupt erkennt?“
Und, erkennen die Männer sie noch?
Männer tun sich ja schwer, irgendetwas Positives zu äußern. Aber viele sagen: „Oh, siehst ja toll aus.“
Was bleibt Ihnen von einem Schminkseminar am Ende im Kopf?
Eine ganze Menge. So viel, dass ich danach total ausgelaugt und schlapp bin. Ich brauch dann meine Zeit. In der Bahn lese ich Zeitung oder ein Buch, um runterzufahren. Mich nimmt das schon mit.
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