NSU-Prozess droht zu platzen: Die Machtprobe
Im NSU-Prozess versuchen die Verteidiger von André E. das Verfahren mit Befangenheitsanträgen noch zum Platzen zu bringen. Kann das klappen?
So geht das nun schon seit Mitte September, seit die Bundesanwaltschaft ihr Plädoyer in dem seit viereinhalb Jahren währenden Verfahren beendete. Zwölf Jahre Haft hatten die Ankläger für André E. gefordert, in ihren Augen ist er der zentrale NSU-Helfer. Noch im Gerichtssaal wurde der Zwickauer wegen Fluchtgefahr festgenommen. Seitdem stellten seine Anwälte, teils ergänzt von den Verteidigern des Mitangeklagten Ralf Wohlleben, mehr als ein dutzend Befangenheitsanträge gegen die Richter. Nur zwei Prozesstage konnten deshalb in den vergangenen sechs Wochen stattfinden.
„Ich bin sehr enttäuscht und wütend über diese unsinnigen Anträge“, sagte die eigens angereiste Gamze Kubasik, Tochter des Dortmunder NSU-Mordopfers Mehmet Kubasik, am Mittwoch. Denn erneut wurde damit der Beginn der Nebenklage-Plädoyers im Prozess verhindert. Kubasiks Appell: „Ich wünsche mir, dass der Richter endlich härter durchgreift.“
Götzl soll aufs Glatteis geführt werden
In der Tat scheint es offensichtlich, dass die Anwälte von André E. den Prozess noch zum Platzen bringen wollen – oder mindestens blockieren, um die Richter zu Fehlern verleiten, die spätestens in einer Revision helfen könnten. Ihnen kommt zugute, dass das Verfahren inzwischen in der Plädoyer-Phase ist. So kann nicht wie sonst nach Befangenheitsanträgen zwei Tage weiterverhandelt werden, sondern es muss direkt über die Anträge entschieden werden – von anderen Richtern. Allzu lange darf das indes nicht dauern, denn ein Prozess darf nicht mehr als drei Wochen unterbrochen sein – was das Gericht zuletzt punktgenau einhielt.
Gegen die Verzögerungstaktik kann Richter Götzl wenig tun. „Es gibt keine Obergrenze für Befangenheitsanträge“, sagt Florian Gliwitzky, Sprecher des Münchner Oberlandesgerichts. Auch könnten die Anträge noch bis zum Schlusswort des Angeklagten gestellt werden. Schließlich habe ein Beschuldigter das Recht, bis zum Urteil einem unvoreingenommenen Richter gegenüberzustehen.
Sofort abgelehnt werden können Befangenheitsanträge laut Strafprozessordnung nur, wenn sie zu spät eingereicht werden – das war bisher nicht der Fall. Oder wenn durch sie „offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen“. Das Problem: Dieses „offensichtlich“ ist kaum klar nachzuweisen. Bisher jedenfalls brachten die Anwälte von André E. stets neue Gründe für ihre Befangenheitsanträge vor.
Götzl könnte die Sache zumindest beschleunigen und kürzere Fristen für das Stellen der Anträge setzen. Bisher allerdings gab er den Anwälten nach – und ließ für ihre Ausformulierungen ganze Prozesstage sausen. „Der Senat muss eine klarere Kante zeigen“, fordert Sebastian Scharmer, Anwalt von Gamze Kubasik. „Sonst wird das immer so weiter gehen.“
Prozess bis August 2018 verlängert
Das heftigste Negativbeispiel für exzessives Einbringen von Befangenheitsanträgen ereignete sich im Mai in Koblenz. Vor dem dortigen Landgericht scheiterte nach fünf Jahren Verhandlung ein Großprozess gegen das rechtsextreme „Aktionsbüro Mittelrhein“, weil der Vorsitzende Richter in Rente ging. Mehr als 500 Befangenheitanträge hatte es laut Gericht zuvor gegeben.
Im NSU-Prozess wird dieses Szenario nicht eintreten, jedenfalls nicht so schnell: Richter Manfred Götzl geht erst in gut zwei Jahren in Rente. Und auch für einen Krankheitsfall steht noch ein Ergänzungsrichter parat. Dass der Prozess noch platzt, wird den Verteidigern also vorerst nicht gelingen – es sei denn, die Richter lassen sich tatsächlich noch zu Fehlern hinreißen.
Schon zuletzt hat Götzl indes Prozesstermine bis Ende August 2018 verlängert. „Höchstvorsorglich“, wie er damals schrieb. Wenn es allerdings so weiter geht wie zuletzt, könnte daraus noch ein „durchaus möglich“ werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“