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NSU-Prozess droht zu platzenDie Machtprobe

Im NSU-Prozess versuchen die Verteidiger von André E. das Verfahren mit Befangenheitsanträgen noch zum Platzen zu bringen. Kann das klappen?

Der Angeklagte André E. zeigt dem Gericht eine hässliche Fratze Foto: dpa

München taz | Es war ein kurzer Verhandlungstag, wiedermals: Kaum hatte Richter Manfred Götzl am Mittwoch den NSU-Prozess eröffnet, meldete sich der Verteidiger von André E. zu Wort. Sein Mandant wolle einen Befangenheitsantrag gegen zwei Richter stellen. Wenig später war deshalb schon wieder Schluss. Götzl vertagte den Prozess auf den 9. November.

So geht das nun schon seit Mitte September, seit die Bundesanwaltschaft ihr Plädoyer in dem seit viereinhalb Jahren währenden Verfahren beendete. Zwölf Jahre Haft hatten die Ankläger für André E. gefordert, in ihren Augen ist er der zentrale NSU-Helfer. Noch im Gerichtssaal wurde der Zwickauer wegen Fluchtgefahr festgenommen. Seitdem stellten seine Anwälte, teils ergänzt von den Verteidigern des Mitangeklagten Ralf Wohlleben, mehr als ein dutzend Befangenheitsanträge gegen die Richter. Nur zwei Prozesstage konnten deshalb in den vergangenen sechs Wochen stattfinden.

„Ich bin sehr enttäuscht und wütend über diese unsinnigen Anträge“, sagte die eigens angereiste Gamze Kubasik, Tochter des Dortmunder NSU-Mordopfers Mehmet Kubasik, am Mittwoch. Denn erneut wurde damit der Beginn der Nebenklage-Plädoyers im Prozess verhindert. Kubasiks Appell: „Ich wünsche mir, dass der Richter endlich härter durchgreift.“

Götzl soll aufs Glatteis geführt werden

In der Tat scheint es offensichtlich, dass die Anwälte von André E. den Prozess noch zum Platzen bringen wollen – oder mindestens blockieren, um die Richter zu Fehlern verleiten, die spätestens in einer Revision helfen könnten. Ihnen kommt zugute, dass das Verfahren inzwischen in der Plädoyer-Phase ist. So kann nicht wie sonst nach Befangenheitsanträgen zwei Tage weiterverhandelt werden, sondern es muss direkt über die Anträge entschieden werden – von anderen Richtern. Allzu lange darf das indes nicht dauern, denn ein Prozess darf nicht mehr als drei Wochen unterbrochen sein – was das Gericht zuletzt punktgenau einhielt.

Gegen die Verzögerungstaktik kann Richter Götzl wenig tun. „Es gibt keine Obergrenze für Befangenheitsanträge“, sagt Florian Gliwitzky, Sprecher des Münchner Oberlandesgerichts. Auch könnten die Anträge noch bis zum Schlusswort des Angeklagten gestellt werden. Schließlich habe ein Beschuldigter das Recht, bis zum Urteil einem unvoreingenommenen Richter gegenüberzustehen.

Sofort abgelehnt werden können Befangenheitsanträge laut Strafprozessordnung nur, wenn sie zu spät eingereicht werden – das war bisher nicht der Fall. Oder wenn durch sie „offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen“. Das Problem: Dieses „offensichtlich“ ist kaum klar nachzuweisen. Bisher jedenfalls brachten die Anwälte von André E. stets neue Gründe für ihre Befangenheitsanträge vor.

Götzl könnte die Sache zumindest beschleunigen und kürzere Fristen für das Stellen der Anträge setzen. Bisher allerdings gab er den Anwälten nach – und ließ für ihre Ausformulierungen ganze Prozesstage sausen. „Der Senat muss eine klarere Kante zeigen“, fordert Sebastian Scharmer, Anwalt von Gamze Kubasik. „Sonst wird das immer so weiter gehen.“

Prozess bis August 2018 verlängert

Das heftigste Negativbeispiel für exzessives Einbringen von Befangenheitsanträgen ereignete sich im Mai in Koblenz. Vor dem dortigen Landgericht scheiterte nach fünf Jahren Verhandlung ein Großprozess gegen das rechtsextreme „Aktionsbüro Mittelrhein“, weil der Vorsitzende Richter in Rente ging. Mehr als 500 Befangenheitanträge hatte es laut Gericht zuvor gegeben.

Im NSU-Prozess wird dieses Szenario nicht eintreten, jedenfalls nicht so schnell: Richter Manfred Götzl geht erst in gut zwei Jahren in Rente. Und auch für einen Krankheitsfall steht noch ein Ergänzungsrichter parat. Dass der Prozess noch platzt, wird den Verteidigern also vorerst nicht gelingen – es sei denn, die Richter lassen sich tatsächlich noch zu Fehlern hinreißen.

Schon zuletzt hat Götzl indes Prozesstermine bis Ende August 2018 verlängert. „Höchstvorsorglich“, wie er damals schrieb. Wenn es allerdings so weiter geht wie zuletzt, könnte daraus noch ein „durchaus möglich“ werden.

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6 Kommentare

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  • Wäre ich Jurist, würde ich niemals als Strafverteidiger/in fungieren. Verbrecher zu schützen ist wohl ein gutes Schlafmittel. Ja, ja, ich weiß, dem wird widersprochen werden (müssen).

    Im Falle des NSU sehe ich so klar.

    Diese ganze braune Organisation ist gut behütet und beschützt. Da ist der Missbrauch von Kindern so by the way doch ein Kavaliersdelikt in diesem unserem Lande, um mal Helmut Kohls Sprech zu nehmen.

     

    Pfui Bundesrepublik.

  • Das Institut des Strafverteidigers sollte ursprünglich sicherstellen, dass ein Angeklagter ein rechtsstaatlich einwandfreies Verfahren erhält und nach seiner tatsächlichen Schuld möglichst gerecht verurteilt oder auch freigesprochen wird. Ich habe mal gelernt, dass auch der Rechtsanwalt "Organ der Rechtspflege" und somit nicht nur seinem Mandanten, sondern auch Recht und Gesetz verpflichtet ist.

     

    Inzwischen wird es aber offensichtlich immer selbstverständlicher, dass Anwälte (wie z.T. sicher auch Staatsanwälte) den Prozess nicht als Instrument der Sachaufklärung und Rechtsfindung, sondern als "Duell" begreifen, das es unbedingt zu gewinnen gilt; die filmisch effekthascherisch und häufig durchaus spannend aufbereiteten Segnungen des US-Justizsystems lassen grinsend grüßen. In vielen Fällen hat man den Eindruck, dass Anwälte eher als Komplizen denn als Rechtsbeistände ihrer Mandantschaft agieren; ich rede dann von "Ganoven im Talar".

     

    Mir ist bewusst, wie heikel das Thema ist, aber: Der Gesetzgeber sollte dringend nach rechtlichen Möglichkeiten suchen, wenigstens die übelsten Fälle anwaltlicher Tricksereien wirksam zu unterbinden. Denn dass so ein Ganove seinen offensichtlich schuldigen Mandanten mit relativ primitiven Verzögerungstricks in die Verjährung oder sonstigen Fristablauf retten kann, darf einfach nicht sein.

    • @Bitbändiger:

      "Denn dass so ein Ganove seinen offensichtlich schuldigen Mandanten mit relativ primitiven Verzögerungstricks in die Verjährung oder sonstigen Fristablauf retten kann, darf einfach nicht sein."

      Allerdings. Koblenz war ein Desaster. Wie soll man sich da im Rechtsstaat sicher fühlen, wenn die Ganoven über 500 Befangenheitsanträge frei kommen? Und warum klappt das bei rechtsextremen Straftätern, aber nicht bei kleinen Drogendealern? Oder geht das bei denen auch?

      • @JuR:

        Gute Frage: Warum klappt das bei rechtsextremen Straftätern, aber nicht bei kleinen Drogendealern? Oder geht das bei denen auch?

         

        Die Antwort wäre wirklich interessant, wenn der (nur noch beschränkt demokratische) Rechtsstaat Deutschlands sie geben kann?!

    • @Bitbändiger:

      No. Der letzte Satz - insbesondere - auch nicht. Besser is das.

      Newahr.

  • das sticht, und zwar sehr...ich möchte mir garnicht vorstellen welchen Alptraum die Angehörigen der Opfer durchmachen...SCHANDE!