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Kolumne Leuchten der MenschheitWunden des Sowjetsystems

DDR-Historiker und Kommunist Wolfgang Ruge wäre im November 100 Jahre alt geworden. Sein Sohn Eugen Ruge liest aus seinen Memoiren.

Zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution demonstrieren Anhänger der KP in Moskau Foto: dpa

D er 2006 verstorbene Wolfgang Ruge war ein anerkannter Historiker der DDR. Er ist der Vater des Schriftstellers Eugen Ruge. Die Geschichte der Ruges scheint paradigmatisch für das Nachwirken des Stalinismus auf die östlichen Gesellschaften. Die Wunden, die das Sowjetsystem gerade auch bei den Humanisten unter den Sozialisten hinterließ und die prägend blieben.

Zum 100. Geburtstag seines Vaters las Eugen Ruge am 1. November in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften aus den Memoiren seines Vaters, „Gelobtes Land. Meine Jahre in Stalins Sowjetunion“ (Rowohlt, 2012). Vater Wolfgang Ruge floh als 16-zehnjähriger Kommunist aus Berlin vor den Nazis nach Moskau. Er erlebte dort die Jahre des großen Terrors.

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs kam er in Lagerhaft, musste unter grausamsten Bedingungen Zwangsarbeit verrichten. Nach insgesamt 15 Jahren Lager und Verbannung wurde er 1956 „rehabilitiert“, durfte mit seiner russischen Frau Taja und dem noch 1954 in Soswa geborenen Shenja (dem heutigen Eugen Ruge) in die DDR ausreisen. Dort wurde er an die Akademie der Wissenschaften berufen.

Sohn Eugen hat die Familiengeschichte in seinem Jahrhundertwerk „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ (Rowohlt 2011) verarbeitet. Den familiären Hintergrund für seinen meisterhaften Roman verdeutlicht die Lektüre von Wolfgang Ruges „Gelobtes Land“. Es ist ein großer und ergreifender Zeitzeugenbericht über den Stalinismus, das sowjetische Lagersystem, die Vernichtung durch Arbeit.

Die Idee des wahren Sozialismus

Doch warum ging ausgerechnet ein Stalinismusopfer wie Wolfgang Ruge 1956 in die DDR? Der Historiker Martin Sabrow strich heraus, dass viele schlicht an der Idee des wahren Sozialismus festhielten. Und Jürgen Kocka betonte zudem den Druck zum Konsens in der DDR, der es ohne die Gefahr abermaliger Repression kaum erlaubte, den Stalinismus später offen zu thematisieren.

Eugen Ruge sagte, dass sein Vater privat sehr kritisch sprach, in seiner Arbeit habe er sich mit „sozialistischer Schläue“ Parteidirektiven widersetzt. Doch er gehörte zu einer Generation, die nach Stalins Tod noch auf eine Verwirklichung der Ideale des Sozialismus setzte, zumindest bis zur Niederschlagung des Prager Frühlings 1968.

Danach war es für einen Neuanfang zu spät. Erst der Sohn brach offen mit dem System, ging 1988 in den Westen. Des Vaters Stalinismus-Bericht erschien, als es die DDR nicht mehr gab. Und „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ schrieb Eugen Ruge, nachdem der Vater gestorben war. Verarbeitung von Geschichte braucht Zeit, Mut zu Dissidenz und Bruch, wovon Werk und Biografien beider Ruges in aller aktuellen Dringlichkeit sprechen.

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Andreas Fanizadeh
Ressortleitung Kultur
Andreas Fanizadeh, geb. 1963 in St.Johann i.Pg. (Österreich). Kulturpolitischer Chefkorrespondent der taz. Von Oktober 2007 bis August 2024 Leiter des Kulturressorts der taz. War von 2000 bis 2007 Auslandsredakteur von „Die Wochenzeitung“ in Zürich. Arbeitete in den 1990ern in Berlin für den ID Verlag und die Edition ID-Archiv, gab dort u.a. die Zeitschrift "Die Beute" mit heraus. Studierte in Frankfurt/M. Germanistik und Politikwissenschaften.
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