piwik no script img

Polizeistatistik ist reine Interpretationssache

Die Kriminalität in Hamburg scheint auf den ersten Blick rückläufig. Tatsächlich werden bestimmte Straftaten einfach nicht verfolgt

Straftaten in Hamburg

Laut polizeilicher Kriminalstatistik für das dritte Quartal 2017 ist die Kriminalität in Hamburg im Vergleich zum Vorjahr um 7,9 Prozent gesunken.

Darunter fallen die Wohnungseinbrüche mit 26,7 Prozent weniger registrierten Fällen.

Auch Diebstähle sind zurückgegangen. Zum Beispiel wurden 21,5 Prozent weniger Fahrräder gestohlen.

Die Anzahl der Betrugsdelikte ist dagegen um fast 1.000 Fälle auf 6.688 Taten gestiegen.

Von Marthe Ruddat

Der Bund deutscher Kriminalbeamter kritisiert die politische Ausschlachtung der Kriminalstatistik. Die gesunkenen Zahlen täuschten darüber hinweg, dass an wichtigen Stellen Personal fehle und einige Delikte einfach nicht verfolgt würden. „Hamburg ist nicht sicherer geworden“, sagt Jan Reinecke, der Hamburger Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, „wir verfolgen nur bestimmte Straftaten nicht.“

Vor der sonst üblichen Veröffentlichung zu Jahresbeginn sickerten die Kriminalitätszahlen in diesem Jahr früher durch. Das Hamburger Abendblatt berichtete „exklusiv“ über die Drittquartalszahlen 2017 – die Hamburger*innen seien so „sicher wie seit 18 Jahren nicht mehr“. Reinecke glaubt bei dem Zeitpunkt nicht an einen Zufall. „Die Statistik soll das Sicherheitsgefühl der Bürger*Innen wieder stärken. Anders erklärt sich der Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht“, sagt er.

Passenderweise fällt die Veröffentlichung nebst Pressetermin der „Soko Castle“ in eine Zeit, in der das Vertrauen in Politik und Polizei nach G20 angeschlagen ist. Wer die Zahlen durchstach, ist unklar. Innensenator Andy Grote (SPD) äußerte sich trotzdem sofort und lobte die „großartigen Erfolge der Polizei“. Man muss die Feste feiern wie sie fallen.

Dabei sind die Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Die Kriminalstatistik sei ursprünglich erhoben worden, um polizeilichen Handlungsbedarf zu erkennen und Beamt*Innen an den richtigen Stellen einzusetzen, sagt Reinecke, „heute wird die Statistik politisch ausgeschlachtet“.

Paradebeispiel dafür ist die Sonderkommission gegen Einbrüche, die „Soko Castle“. Um fast 27 Prozent sind die Einbruchszahlen in Hamburg laut Statistik zurückgegangen. Die Mopo feiert die Soko als „Erfolgsteam“.

Tatsächlich beginne aber erst jetzt die für Einbrüche typische dunkle Jahreszeit, kritisiert Reinecke. Den Erfolg der „Soko Castle“ wolle er mit seiner Kritik jedoch nicht schmälern.

Die Pressestelle der Polizei sagt: „Die seit Jahren nie­drigste Anzahl von Wohnungseinbruchdiebstählen stellt keine ‚Augenwischerei‘ dar, sondern bildet die Realität ab.“ Was sie nicht erwähnt: In ganz Deutschland sind die Zahlen rückläufig. Also auch in Bundesländern ohne Einbruchs-Soko.

Für Nils Zurawski vom Hamburger Institut für Kriminologische Sozialforschung zeigt die Polizeistatistik nur an, „welche Delikte angezeigt wurden und in welchen Fällen die Polizei ermittelt“. Genau deshalb könne nicht behauptet werden, dass Hamburg sicherer geworden sei, wie er der taz im Interview sagte.

„Die Zahlen verweisen lediglich auf die Schwerpunktsetzung der Polizei“, sagt Reinecke. Ein Beispiel sei der Rauschgifthandel. Bei diesen Delikten komme es kaum zu Anzeigen. Die Polizei verfolgt Drogenhandel deshalb normalerweise eigeninitiativ. Fehlt aber das Personal dafür, gibt es auch keine entsprechenden Taten in der Statistik.

Besonders anschaulich wird dies mit Blick auf die Korruptionsabteilung der Polizei. Anzeigen sind auch hier naturgemäß selten. Alle Polizist*innen, die normalerweise beispielsweise wegen der Beamtenbestechung ermitteln, sind aktuell in der G20-Soko „Schwarzer Block“ beschäftigt. Seit Juli gibt es damit keine Korruption in Hamburg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen