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Einfach finntastisch

1.100 Kilometer Luftlinie und die Ostsee liegen zwischen Helsinki und Berlin, und trotzdem begreifen viele Finnen Berlin als ihre Vorstadt. Mehr noch ist die Hauptstadt für viele ein Sehnsuchtsort, der auch Musiker, Künstler oder Regisseure anzieht. Einige bleiben und gründen eigene Kulturhäuser. So wie das Finnland Zentrum

Dieses Klischee wäre erfüllt: Die Berliner Finnin Raija Pannwitz-Kallioniemi vor der Sauna des Finnland Zentrums Fotos: Karsten Thielker

Von Jens Uthoff

Wenn man wissen will, wie das Verhältnis der Finnen zu Berlin ist, muss man die Landkarte ein bisschen zurechtrücken. So jedenfalls macht es Merja Sundström.

Sundström, 60, eine zierliche blonde Frau mit kinnlangem Haar, ist Pressereferentin der finnischen Botschaft in Berlin, und sie beschreibt die Liebe der Finnen zur deutschen Hauptstadt so: „Für viele meiner Landsleute ist Berlin ein Sehnsuchtsort. Wenn uns in Helsinki irgendetwas besonders gefällt, sagen wir: ‚Das ist ja wie in Berlin.‘ “ Gefühlt lägen zwischen der deutschen und finnischen Hauptstadt mitnichten 1.100 Kilometer Luftlinie und die Ostsee: „Helsinki ist wie die Vorstadt von Berlin.“

Vor allem für Kulturschaffende aus dem Land der tausend Seen sei Berlin ein Magnet: „Für sie ist es wichtig zu zeigen, dass sie schon mal hier gearbeitet haben.“ Tauche im Lebenslauf irgendwo das Wörtchen Berlin auf, sei das von Vorteil. Ob klassische Musiker, bildende Künstler oder Regisseure – viele von ihnen ziehe es gen Spree.

Finnische Kunst und Musik

Derzeit findet das Scope Festivalstatt,eine zweiwöchige deutsch-­finnische Veranstaltung, die den skandinavischen Jazz nach Berlin holt. Noch bis zum 30. Oktober gibt es fast täglich Konzerte in verschiedenen Clubs. Infos: www.scopefestival.de/

In der Tempelhofer Ufa-Fabrik gibt es Sonntagabend finnischen Tango mit der Band Tango Finlandés. 22. 10., ab 19 Uhr, Viktoriastraße 10–18, 22 Euro

Vom 9. November an zeigen die Nordischen Botschaften die ­Jubiläumsausstellung „Echoes – 100 Years in Finnish Design and Architecture“. Felleshus, Nordische Botschaften, Rauchstraße 1 (jut)

Die Finnen und Berlin, das passt. Auch, wenn die finnische Community von den blanken Zahlen her gar nicht so groß scheint: 2.251 Finnen lebten im Juni dieses Jahres an der Spree, selbst aus kleineren EU-Ländern wie Litauen und Lettland zählt man mehr Wahl- und Neuberliner. Allerdings dürfte es darüber hinaus noch viele Finnen geben, die nicht registriert sind. Einige Tausend, schätzt Sundström.

Zahlenmäßig sind die skandinavischen Länder allesamt nicht so stark vertreten, kulturell umso mehr. Unter dem Dach der Nordischen Botschaften nahe dem Tiergarten, wo Sundström auf der Terrasse sitzt und von ihrer Wahlheimat schwärmt, finden Ausstellungen statt, man trifft sich zu repräsentativen Anlässen. Die finnische Kulturszene hat sich zudem viele Orte selbst geschaffen: Kunstsammler Timo Miettinen schließt mit dem Salon Dahlmann (Charlottenburg) an die Berliner Salonkultur an, in der finnischen Bar Voima („Eisbrecher“) kann man in Schöneberg Pfefferminzschnaps oder Finlandia Vodka trinken, es gibt zahlreiche Mittsommerfeiern zur Sommersonnenwende und (Tango-)Konzerte. In diesem Jahr, in dem Finnland 100 Jahre Unabhängigkeit feiert, gibt es zudem Jubiläumsveranstaltungen (siehe Kasten).

Und abgesehen von der Kultur – was ködert die Finnen? „Im Vergleich zu vielen anderen Metropolen ist Berlin immer noch eine unfertige Stadt. Und hat einen guten Humus, auf dem kulturell etwas wachsen kann.“ Schon der Spirit der 1920er Jahre, aktuell durch „Babylon Berlin“ wieder in aller Munde, hat die Finnen, der Moderne immer zugewandt, einst angezogen. „Die Freiheit und die Toleranz, auch die sexuelle Freizügigkeit ist etwas, das Finnen mit Berlin verbinden“, sagt Sundström.

Das Nebeneinander der Lebensweisen in Berlin genießt auch Raija Pannwitz-Kallioniemi. Die 70-Jährige sitzt in einem unscheinbaren Haus in Nachbarschaft der Kreuzberger Passionskirche in einem Gemeinschaftsraum, an dessen Fensterfront ein großes Transparent hängt. „Finntastisch!“, steht darauf. Hier befindet sich das Finnland Zentrum, einer der ältesten Treffpunkte für Finninnen und Finnen in der Stadt. Auf eine Bücherwand weisend, sagt Pannwitz-Kallioniemi: „Wir haben uns hier eine Bibliothek nur mit finnischen Autoren eingerichtet. Die Literatur verbindet uns, unter anderem finden hier Lesekreise statt.“

„Für viele meiner Landsleute ist Berlin ein Sehnsuchtsort. Wenn uns in Helsinki irgendetwas besonders gefällt, sagen wir: ‚Das ist ja wie in Berlin‘ “

Das Finnland Zentrum ist 1985 von einigen finnischen Frauen gegründet worden. Man trifft sich hier in Nähkreisen, Koch- und Backgruppen, zum Musikmachen und zu Konzerten. Oder auch einfach ohne Anlass. In Schöneberg gegründet, ist das Zentrum inzwischen seit rund 15 Jahren im Bergmannkiez zu Hause. Die Nähe zur Kirche ist kein Zufall, denn die Frauen aus der Gründergeneration eint ein christlich-evangelischer Hintergrund. Bis heute wird die Institution von der finnischen Kirche unterstützt.

Ohne ehrenamtliche Arbeit wäre das alles nicht möglich. „Um die Organisation kümmern sich derzeit viele Frauen, die in Rente sind wie ich“, erzählt Pannwitz-Kallioniemi. „Wie es wird, wenn wir mal zu alt dafür sind, muss man sehen. Ich hoffe, dann übernehmen die Jüngeren.“ Diese jüngere Generation anzusprechen, schafft das Haus durchaus: Einmal im Jahr ist es richtig überlaufen – wenn Weihnachtsbasar ist. „Da kommen etwa zweitausend Besucher zu uns.“

Finnischer Schilderwald

Auch eine finnische Schule gibt es hier. Rund 100 finnische Familien kommen mit ihren Kindern ins Haus, zweimal wöchentlich findet Unterricht statt. „Dabei geht es vor allem um kulturelle Bildung und darum, dass man die Sprache spricht.“ Pannwitz-Kallioniemi gehört zu den Mitgründerinnen, sie selbst kam 1971 nach Berlin.

Ein paar Finnlandklischees halten sowohl das Finnland Zentrum als auch die Botschaft bereit – die unbedingte Notwendigkeit einer Sauna scheint etwa in der finnischen Verfassung verankert zu sein. So kann man sowohl in den Nordischen Botschaften als auch im Finnland Zentrum selbstverständlich zwischendurch mal in die Schwitzstube, wenn einem danach ist.

Bei all der Finnlandisierung Berlins aber fällt Merja Sundström auch etwas ein, das der Suomicommunity noch fehlt: ein finnisches Restaurant. „Es wundert mich, dass wir die Esskultur noch nicht nach Berlin gebracht haben“, sagt sie. „Ein Lokal, wo man selbst gemachte karelische Piroggen bekäme – das wär’s!“ Der gefüllte Teigfladen ist Nationalspezialität. In Helsinki bekommt man ihn an jeder Ecke. Mal gucken, wann er es nach Berlin schafft.

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