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Flucht mit TodesfolgenMit der Waffe ins Boot gezwungen

In Kiel wurde ein Mann festgenommen, der eine Flucht nach Lesbos organisiert haben soll, bei der 54 Menschen starben. Er bestreitet die Tat.

Bild eines irakischen Flüchtlingskindes, das seine Familie in einem Boot während der Flucht nach Europa zeigt Foto: dpa

Bremen taz | Ein 27-jähriger Iraker, der in Kiel wegen des Verdachts auf Einschleusen mit Todesfolge in Untersuchungshaft sitzt, bestreitet die Tat. Dies sagte am Donnerstag der Sprecher der Staatsanwaltschaft Kiel, Axel Bieler.

Nach einem Bericht der Kieler Nachrichten war der Mann am Mittwochmorgen im Ortsteil Strande von der Bundespolizei festgenommen worden, wo er mit Frau und Kind lebte. „Es gab Hinweise von Geflüchteten, die ihn wiedererkannt haben“, sagte Oberstaatsanwalt Bieler der taz.

Ihm zufolge wird dem 27-Jährigen vorgeworfen, an einer Schleusung am 28. Oktober 2015 vom türkischen Küstenort Canakkale zur griechischen Insel Lesbos beteiligt gewesen zu sein, bei der 54 Menschen starben. Gemeinsam mit zwei Mittätern soll er die Flucht vermittelt und organisiert haben. Die Menschen sollen für ihre Flucht 2.200 bis 10.000 US-Dollar an die Schlepper gezahlt haben.

Der Iraker sei nicht selbst auf dem Boot gewesen, sagte Staatsanwalt Bieler. Er sei Ende 2015 nach Deutschland gekommen, auf welchem Weg und wie lange er sich in der Türkei aufgehalten habe, wisse er nicht.

Schleuser vor Gericht

Im bayrischen Traunstein müssen sich derzeit drei mutmaßliche Schleuser vor dem Landgericht verantworten. Den Angeklagten wird vorgeworfen, zwischen 2015 und 2016 Hunderte Flüchtlinge illegal nach Deutschland gebracht zu haben. Bei Bootsfahrten von der Türkei nach Griechenland ertranken mindestens sechs Kinder.

Sie sollen Teil einer Bande sein. Verhandelt werden 23 Fälle.

Im August hatte das Landgericht Traunstein drei weitere Syrer verurteilt: Den Hauptangeklagten zu vier, den Bootsführer zu zweieinhalb und den dritten zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. 13 Menschen sollen auf von ihnen organisierten Fluchten gestorben sein.

Auf einem Holzboot zusammengepfercht

Das Unglück war eins der schwersten in der Ägäis, mit den meisten Toten. 328 Menschen waren laut Bieler auf dem Holzboot zusammengepfercht – drei Mal so viele wie das Boot nach seiner Einschätzung hätte tragen können, wie der Überlebende Delal Saxoji wenige Tage später Reportern der Nachrichtenagentur AP erzählte.

„Als wir sagten, dass es zu viele Menschen sind, hat der Fahrer mit seiner Waffe in die Luft gefeuert“, wird der aus dem Nordirak geflohene Musiker in dem Bericht zitiert. Der Kieler Staatsanwaltschaft liegen ebenfalls Ermittlungsergebnisse vor, nach dem die Flüchtenden mit Waffengewalt aufs Boot gezwungen worden waren.

In einem weiteren AP-Bericht aus dem Oktober 2015 kommt ein griechischer Fischer zu Wort, der sagte, das Boot sei bei stürmischem Wind gesunken. Die Schlepper hätten sich des Risikos bewusst sein müssen, bei solchem Wetter die Überfahrt zu wagen. „Das sind Verbrecher. Die haben ihr Geld genommen, sie auf Boote gepackt und in ihren Tod geschickt.“

Das nach Angaben der Kieler Staatsanwaltschaft „wenig stabile“ Holzboot brach in der Nacht auseinander, als sich das Boot der nördlichen Küste von Lesbos näherte. „Die Wellen waren zwei bis drei Meter hoch“, erinnerte sich der kurdische Musiker Saxoji, „es ist einfach auseinandergebrochen“. Er selbst überlebte mit Frau und Kindern – nach zwei Stunden im Wasser. 274 Menschen sollen damals gerettet worden sein. Die AP-Reporter berichteten von Kleinkindern, die nach ihrer Rettung über den Strand irrten, auf der Suche nach ihren Eltern.

Sterben auf der Flucht

Insgesamt kamen im Jahr 2015 laut eines Berichts der International Organization für Migration (IOM) 806 Menschen bei dem Versuch ums Leben, über die Türkei nach Griechenland zu fliehen. 2016 waren es 434 Menschen, in diesem Jahr bisher 46.

Nachdem die Weiterreise über die Balkanstaaten ab Anfang 2016 erschwert worden war und ab März 2016 nur noch in Einzelfällen gelang, verlagerte sich der Fluchtweg nach Libyen. Die Überfahrt nach Italien ist wesentlich weiter als von der Türkei nach Griechenland und führt über das offene Meer. Laut IOM starben im Vorjahr 4.581 Menschen auf dieser Route, in diesem Jahr waren es 2.604. Im Verhältnis kamen dabei in diesem Jahr mehr Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer zu Tode als im vergangen Jahr 2016.

Diese Todesfälle seien vermeidbar, sagte am Donnerstag der Sprecher des Flüchtlingsrats Niedersachsen, Kai Weber, der taz: „Europa verhindert Menschen in Not den legalen Zugang.“ Solange sich dies nicht ändere, könnten kriminelle Schleuser Geld mit der Not verdienen.

Weber erinnerte daran, dass in vielen Fällen der Übergang vom Schleuser zum Fluchthelfer fließend sei. „Es gibt Menschen, die sich verpflichtet fühlen, anderen zu helfen, vielleicht weil sie aus derselben Gegend stammen.“ Dass sie sich die Hilfe bezahlen ließen, sei nicht verwunderlich, da sie auch überleben müssten. Manche bemühten sich auch um faire Geschäfte, indem die Geflüchteten erst zahlen müssten, wenn die Flucht geglückt sei. Dies sei etwas anderes, als Menschen mit Waffengewalt auf untaugliche Boote zu zwingen. „Die deutsche Justiz differenziert das aber oft nicht.“

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