: Alte Welt, wie sie Nazis gefällt
Rechtsextreme benutzen Versatzstücke aus vermeintlichen Wikinger- und Germanenkulten, um Identitäten zu konstruieren. Dass es dabei kunterbunt durcheinander geht, stört nicht: Je weniger verbürgt ist, desto mehr lässt sich hineinprojizieren
Von Andreas Speit
Ein Ausflug zum Wikingermuseum Haithabu, ein Rundgang im Sachsenhain, die Teilnahme an einem Viking-Rockevent oder ein Besuch der Wikingertage – im Norden haben extrem Rechte viele Optionen, um ihr Interesse an den Wikingern und deren Kulten zu verfolgen. Äxte werfen, Bogen schießen und Met trinken – alle Klischees über Wikinger kann man dort ausleben. Mit solchen Events wird auch Ideologie gefestigt, Identität konstruiert.
In der extrem rechten Szene sei die Hinwendung zu den Wikingern ihrer vermeintlichen Lebensweise, ihren Kulten und Mythen omnipräsent, sagt Gideon Botsch von der Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus der Universität Potsdam. Die Szene entwerfe eine „historisch-fiktionale Gegengeschichte“ für die Gegenwart, so Botsch.
Die Rezeption der Wikinger beschränkt sich nicht auf Literatur zur vermeintlichen Früh- und Urgeschichte. Kaum eine Rechtsrockband, die nicht den Hauptgott der nordischen Mythologie besänge: Odin, auch Wodan oder Walvater genannt. „Wir wollen euren Jesus nicht – das alte Judenschwein / denn zu Kreuz kriechen kann nichts für Arier sein / Die Bibel und das Kruzifix – die soll der Geier holen / Wir wollen eure Pfaffen nicht“, grölte Michael Regener als Sänger der 2003 verbotenen Neonazi-Band „Landser“. Und weiter: „Odins Raben wachen und sehe eure Taten / Und seine Wölfe kriegen demnächst einen fetten Braten / Ein Blitz aus Donars Hammer schlägt in der Kirche ein / Nun bet’zu deinem Judengott – er hört dich nicht, du Christenschwein.“ Im Refrain grölt Regener, der heute als „Lunikoff-Verschwörung“ auftritt: „Walvater Wotan soll unser Herrgott sein, Walvater Wotan wird Germanien befrei’n.“
Dass schon strittig ist, wer die indo-iranische Volksgruppe der Arier genau war und von ihrem Glauben wenig bekannt ist, hat nicht verhindert, dass das Lied bis heute ein Szenehit ist. „Über die Kulte und Riten der Wikinger, aber auch der Germanen, ist nichts wirklich belegt“, sagt Botsch. Der Bonner Professor für ältere deutsche und skandinavische Literatur, Rudolf Simek, spitzt zu: „Die authentischen archäologischen Zeugnisse“ ließen heute nicht zu, von „einer einheitlichen Religion der Germanen zu sprechen“. Sie hätten ihre Kulte und Rituale offenbar vielmehr in Sippen oder als Einzelne ausgelebt, sagt Simek.
Wie der Wikinger so war, dass weiß die rechte Szene dennoch sehr genau. Makss Damage rappt: „Das ist die Legende von Ragnar, dem Wikinger! / Er kam aus dem Eis, hoch im Norden, wo es schneit / Selbst im Winter ist es dort unter einem warmen Pelz noch kalt / Und so froren auch die Herzen ein, sie tauten erst auf, als die Klingen wieder klirrten / Da begannen sie zu singen: (…) Das war Ragnar, der Wikinger, auf der Jagd nach Beute / Trug zwei große Hörner auf dem Schädel.“ Der Nazi-Rapper lässt Ragnar als unerschrockenen Kämpfer mit einer „Panzerhaut aus Drachen“ erscheinen, der viel Met trank und „mit seiner Axt all die Kan*ken tot“ schlug.
In dem Rap vermischt Makss Damage alias Julian Fritsch die vermeintliche Geschichte mit der angestrebten Gegenwart. Der Wikinger erscheint als legitimer Eroberer. Soll er doch die „Kan*ken“ mit der Axt erschlagen.
Den Kämpfer und Eroberer in Wikingergestalt beschwören rechte Musiker aller Stilrichtungen immer wieder. „Vor allem über die Musik und den Lifestyle werden die unterschiedlichen Formen von Wikingerbezügen angeboten und ausgelebt“, sagt Jan Raabe vom Verein Argumente & Kultur gegen Rechts e. V. „Odin statt Jesus“ prangt auf Bekleidung diverser Szeneversandhändler. Ein Aufkleber mit einem Adler, der einen Fisch greift, soll codiert zeigen, dass das Germanentum das Christentum angreift. Odins Raben Hugin und Munin, die auf einen Fisch einpicken, ist ein weiteres Motiv mit derselben Botschaft gegen den Glauben, dass alle Menschen vor Gott gleich seien. Eine scharfe Trennung zwischen Wikingern und Germanen wird kaum vorgenommen.
Auch in die Haut lassen sich extrem Rechte gern Motive des angeblichen Wikingerkults stechen. Odin-Konterfeis, Thor-Hammer, Hörner-Helme, Wikingerschiffe und Runen seien beliebte Tattoo-Motive, sagt Raabe. Historisch ist bei den Tattoos nicht alles korrekt: Bis heute sei kein Helm mit Hörnern bei einer Wikinger-Grabungsstätte gefunden wurden, sagt Uta Halle, Professorin für Ur- und Frühgeschichte an der Uni Bremen. Die Rezeption beruhe bereits auf einer Konstruktion: In dem Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner betritt erstmals ein Wikinger mit behörntem Helm die Bühne. Rechte Männer, die ihren Körper mit einem Thor‑Hammer verzieren, verkennen, dass dieser Hammer bisher in Gräbern von Frauen aus der Wikingerzeit gefunden wurde.
Fakten oder Fake? Nicht wichtig. Die alternative Wahrheit beruht auf einer alternativen Vergangenheit. Karl Banghard, Leitung des Archäologischen Freilichtmuseums Oerlinghausen, sagt: „Geschichte ist ein zentrales Thema der extremen Rechten.“ Sie begründen damit Identitäten, Hierarchien und Gebietsansprüche. Die Affinität zum Prähistorischen habe einen besondere Grund. „Zum einen bietet die Ur- und Frühgeschichte ein reiches Reservoir an gesellschaftlichen Alternativen zur verachteten Moderne. Und zum anderen machen die riesigen Wissenslücken das Bild der Vorgeschichte besonders formbar“, sagt Banghard. „In eine Epoche, zu der ich nicht viel weiß, kann ich viel hineinprojizieren.“ Für eine politische Deutung bestünden nahezu unbegrenzte Möglichkeiten der Manipulation.
Manchmal mit einer kruden Mischung: Die „Identitäre Bewegung“, die Identität aus Tradition herzuleiten vorgibt, postete im Internet ein Bild mit einen kleinen blonden Jungen im Wikinger- oder Germanen-Outfit mit Schwert. Im Hintergrund ist ihr Logo zu sehen, der griechische Buchstabe Lambda. Er soll symbolisch für das antike Sparta stehen. „Die Geschichten unserer Vorfahren sind die Geschichten unserer Kinder“, steht dabei. Mit der Kombination dieser Motive soll die Figur des sich selbst aufopfernden Kämpfers für Volk und Vaterland konstruiert werden. Aus dem Mythos wird Politik. Vermeintliche Geschichte wird bedrohende Gegenwart.
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