Kommentar Streit um Katalonien: Mehr Macht für die Regionen
Spaniens Ministerpräsident droht und beschwichtigt. Besser wäre, er schwächte die Separatisten in Katalonien mit mehr Mitsprache und mehr Geld.
S paniens Ministerpräsident Mariano Rajoy hat auf die Pseudounabhängigkeitserklärung der katalanischen Regionalregierung geschickter reagiert als befürchtet. Doch nun muss er den Separatisten in Katalonien durch mehr Mitspracherechte und teils mehr Geld für die Regionen den Nährboden entziehen.
Rajoy hätte gemäß Artikel 155 der Verfassung schon lange die Führung in Barcelona entmachten können, da sie gegen das Verbot der Abspaltung und andere Gesetze verstößt. Solche Zwangsmaßnahmen gegen eine abtrünnige Regionalregierung sieht auch das deutsche Grundgesetz vor. Sie hätten aber von vielen Katalanen als Demütigung empfunden werden können, was den Separatisten noch mehr Zulauf verschafft hätte.
Stattdessen fragt Rajoy erst einmal offiziell die katalanische Regierung, ob sie die Unabhängigkeit ausgerufen hat oder nicht. Der katalanische Regierungssprecher Jordi Turull hat am Mittwoch – korrekterweise – gesagt, dass eine offizielle Unabhängigkeitserklärung durch das Regionalparlament erfolgen müsse, was aber nicht der Fall gewesen sei. Wenn Barcelona das Madrid nun auch schriftlich gibt, ist die riskante Entmachtung der Regionalregierung vorerst vom Tisch.
Doch so ist der Konflikt noch nicht gelöst. Die Steuereinnahmen müssen endlich transparenter und gerechter auf die 17 autonomen Regionen Spaniens verteilt werden. Bisher erhält etwa das Baskenland viel mehr vom Zentralstaat als die Katalanen – eine willkürliche Entscheidung.
Es muss transparenter geregelt werden, wie viel der Staat beispielsweise in Katalonien etwa in Eisenbahnstrecken und Autobahnen investiert. Der Senat, die zweite Kammer des spanischen Parlaments, muss zu einem echten Vertreter der Regionen werden und mehr Macht bekommen. Das sind berechtigte Forderungen, deretwegen viele Katalanen für die Unabhängigkeit sind.
Ein von Madrid genehmigtes Referendum dagegen wäre gefährlich. Denn es würde, unabhängig vom Abstimmungsergebnis, den Verlauf der Grenzen in der EU infrage stellen. Das würde in vielen Regionen nationalistischen Gefühlen Auftrieb verleihen und zu weiteren, möglicherweise gewaltsamen Konflikten führen.
Ein wirklich faires Referendum müsste auch in ganz Spanien stattfinden, denn die Madrilenen etwa verlören durch die Unabhängigkeit Kataloniens das Recht, in Barcelona wie Inländer behandelt zu werden. Zudem wäre eine Zweidrittelmehrheit nötig, um so eine fundamentale Entscheidung zu treffen. Aber so hohe Hürden würden die Separatisten nicht akzeptieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels