Altstadt-Initiative präsentiert Ideen: Herzmassage für Hamburg
Mehr Wohnen, weniger Verkehr: Die Initiative „Altstadt für Alle!“ macht Vorschläge, wie sich das Zentrum wiederbeleben ließe.
Bei einer Auftaktdiskussion am Abend zuvor hatten rund 200 Menschen zugehört oder mitdiskutiert, und nochmal 40 Spaziergänger hatten sich an jenem Freitagnachmittag erklären lassen, mit welchen teils simpel erscheinenden Werkzeugen etwa das Kopenhagener Stadtentwicklungsbüro Jan Gehl die dänische Hauptstadt fußgänger- und radlerfreundlicher gemacht habe.
Das zeige doch, war nun der Tenor, wie groß das Interesse in der Stadt sei – an dem, was werden soll aus ihrem Herzen. Und mit dem Nachdenken über beziehungsweise auch dem Ruf nach einer neuen Mischung und mehr Leben sieht sich die Initiative ganz im Einklang mit Großtrends nicht nur in den europäischen Metropolen.
Vier Felder hatte sich die Planungswerkstatt vorgenommen: Wohnen, Arbeiten, Begegnung und Kultur sowie Mobilität. Welche Ideen dabei ausgebrütet und diskutiert worden waren, das präsentierten nun sichtlich ermutigt Johannes Jörn (Patriotische Gesellschaft), Jörg Herrmann, (Evangelische Akademie der Nordkirche), die Stadtplaner Ingrid Spengler und Dieter Läpple, St. Katharinen-Pastor Frank Engelbrecht sowie der Journalist Florian Marten.
Träger der Initiative „Altstadt für Alle!“ sind die Patriotische Gesellschaft von 1765, die Evangelische Akademie der Nordkirche sowie die Gruppe „Hamburg entfesseln!“, zu deren Gründern unter anderem Pastor Frank Engelbrecht von der Altstadtkirche St. Katharinen gehört. Die Initiative versteht sich als unabhängig und offen nach allen Seiten.
Ermöglichen will sie neues Denken, aber auch konkret Ideen entwickeln, was in der Hamburger Innen-, und vor allem der Altstadt machbar wäre. Auf letztere konzentriert sie sich, weil dort der Handlungsdruck besonders groß sei – aber auch, „weil wir uns davon eine Signalwirkung versprechen“.
Werkzeuge sind bislang vor allem Workshops und Diskussionen, ein Aufruf „Altstadt für Alle!“ ist in Arbeit.
Geradezu unterbevölkert sei die Hamburger Altstadt: Marten wies hin auf Städte wie Wien, in denen bis zu viermal so viele Menschen je Innenstadt-Quadratkilometer leben. Die Zahl der Altstadt-Bewohner liegt in Hamburg heute sogar erheblich unter der im Jahr 1950 – was einen Teil der Erklärung liefert für das sichtliche Aussterben, sobald die Geschäfte schließen. In der Werkstatt wurde nun unter anderem nachgedacht über eine Umnutzung von Parkhäusern wie dem in der Gröninger Straße.
Ein anderer wesentlicher Faktor für die von vielen wahrgenommenen Unwirtlichkeit des Zentrums ist die zuallererst autofreundliche Verkehrsplanung, insbesondere Hamburgs große „Ost-West-Schneise“, also die Bundesstraße 4 zwischen Deichtor- und Millerntorplatz: 75.000 Fahrzeuge täglich, das ist so viel wie auf der Autobahn 7 am Maschener Kreuz. Die Planungswerkstatt formulierte als Ziel eine „Zurückgewinnung der wesentlichen Innenstadtqualitäten“ durch teilweisen Rückbau der alles zerschneidenden Durchgangsstraße, flankiert etwa durch „Fahrrad-Highways“ auf Auto-Kosten, eine auf ihr verkehrende neue Buslinie in Ost-West-Richtung, die Verbannung des Lkw-Verkehrs oder – „in Hamburg derzeit politisch tabu“ – das Erheben einer City-Maut.
Auch über einen besonders prominenten Ort hat man sich Gedanken gemacht: den Rathausmarkt, dem Läpple eine Renaissance als Bühne des Bürgertums wünschte. Dazu könnte aus Sicht der Workshop-Teilnehmer eine Verlegung der Bushaltestellen – zugunsten von mehr Sonnenseite für die Menschen –ebenso beitragen wie etwa eine Übertragung wichtiger Bürgerschafts- oder auch Ausschussdebatten nach draußen: Polit-Public-Viewing also.
Apropos Politik: Ob sie mit all diesen guten Ideen nun zum Bürgermeister gehen, das wurden die Altstadt-Initiativler gefragt, was die aber verneinten: Das stehe erst am Ende. Im kommenden Monat sucht man nun erst mal das Gespräch mit den „Stakeholdern“, also mit all den Innenstadt-Akteuren, die die Veränderungen beträfen.
Und während es bis zu einem Rückbau der Willy-Brandt-Straße ein weiter Weg sein dürfte, ließen sich manch andere Ideen sehr viel schneller umsetzen: So sei die Initiative im Gespräch mit den neuen Eigentümern des Commerzbank-Areals. Wenn das demnächst neu bebaut wird, hofft die Initiative darauf, dass es für das normale Publikum passierbar bleibt – ganz im Sinne einer inneren Stadt, die nicht nur Büros kennt und Einkaufsmeilen.
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