: Im Dschungelcamp am Karpfenteich
Die Deutschen wollten „Eingeborene“ ausstellen, die die Exotik der Kolonien verkörpern sollten. Doch die „Schutzbefohlenen“, oft aus guten Familien stammend, wehrten sich gegen diese Diskriminierung. Vier Porträts
Von Susanne Memarnia
Sie wurden nicht gezwungen nach Berlin zu kommen. Die 106 „Schutzbefohlenen“, die meisten aus Afrika, acht kamen aus dem heutigen Papua-Neuguinea, wurden in den Kolonien angeworben und bekamen einen Vertrag. Ihr Lohn betrug etwa die Hälfte eines deutschen Arbeiterlohns, erklärt Christian Kopp, Historiker von Berlin Postkolonial, der an der Ausstellung „Zurückgeschaut“ 1896 – Treptower Park – Erste Deutsche Kolonialausstellung“ mitgearbeitet hat. Dafür waren Unterkunft und Verpflegung – in der Kolonialausstellung – frei.
Teilweise kamen sie aber auch auf eigene Kosten nach Berlin, so Kopp; etwa einige Herero und Nama: „Sie haben die Kolonialausstellung als Möglichkeit zum Studieren der Kolonialmacht und zu politischen Verhandlungen angesehen“, später waren sie tatsächlich bei einer Audienz beim Kaiser. Ansonsten wisse man aber wenig über die Motive der Menschen, nach Berlin zu kommen, sagt Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. „Was ihnen versprochen wurde, ist nicht überliefert.“
Die Bedingungen von Reise und Leben in Berlin dürften nicht einfach gewesen sein. Schon nach der Anreise per Schiff, erzählt Della, seien einige Menschen krank gewesen, weil sie bei der Überfahrt auf Deck hatten bleiben müssen. Sie mussten in den nachgebauten Dörfern der Ausstellung leben, die sie teils selbst mit aufbauten. Drei starben laut Kopp im Verlauf der Ausstellung, zwei an Lungenentzündung, einer an Hirnhautentzündung. Im „Amtlichen Bericht“ der Ausstellungsmacher ein Jahr später heißt es, man habe eigens Öfen in die Wohnhütten gebaut, und diese oft genug anheizen müssen.
Ein großer Streitpunkt zwischen Ausstellungsmachern und afrikanischen „Schauspielern“ betraf die Kleidung. Die Afrikaner sollten in traditionellen Kleidern auftreten, um ein „authentisches“ Bild abzugeben. Das sei vielen jedoch unangenehm gewesen, „man wollte nicht als rückständig gelten“, erzählt Della. „Zumindest wenn sie ausgingen in die Stadt, bestanden sie darauf, sich europäisch zu kleiden.“ Allerdings durften sie das Ausstellungsgelände nicht selbstständig und ohne Genehmigung verlassen, so Kopp – nur bei ausgesuchten Ausflüge bekamen sie Gelegenheit, die Stadt kennenzulernen.
Bismarck Bell/Kwelle Ndumbe
Einer, der sich weigert, die Rolle des „primitiven Eingeborenen“ zu spielen, ist der Sohn des Königs Bell (Ndumbe Lobe Bell), der 1884 den Schutzvertrag mit den Deutschen unterzeichnet hatte. Bismarck Bell spricht fließend Deutsch und ist in Treptow der Anführer der Duálá-Gruppe (aus dem heutigen Kamerun). Er habe es dem Anthropologen Felix von Luschan nicht erlaubt, ihn für seine „Rasseforschung“ zu vermessen, heißt es im Ausstellungstext zu seiner Person. Auch habe er sich von Luschan nicht in traditioneller afrikanischer Kleidung fotografieren lassen, sondern auf westliche Kleidung bestanden, „wodurch er ganz bewusst zeitgenössische europäische Darstellungen von Afrika und Afrikaner*innen hinterfragt“. Von Luschan habe ihn daher abfällig als „Idiot“ bezeichnet.
Nach seiner Rückkehr nach Westafrika, war Bell/Ndumbe an Protesten gegen die deutsche Kolonialverwaltung beteiligt, wofür er zu zehn Jahren Kettenstrafe in Douala verurteilt wurde. „Sein weiteres Schicksal ist unbekannt“, erklären die Treptower Ausstellungsmacher.
Nicht nur Bismarck Bell/Kwelle Ndumbe hatte zwei Namen, gerade bei den Kamerunern kam das öfter vor, erklärt Kopp. „Es gab Duálá-Geburtsnamen und dann oft deutsch klingende Taufnamen und zudem noch ‚Spitznamen‘, die manchmal abwertend benutzt wurden, zum Teil aber auch kolonialdeutsche Bezeichnungen aufgriffen, um zum Beispiel die Nähe der Familie zur Kolonialmacht zu verdeutlichen, wie bei Bell.“ Zudem hätten die Migranten, die herkamen, die Möglichkeit gehabt, sich einen eingedeutschten oder ganz neuen Namen für Deutschland zuzulegen.
Kwassi Bruce
Zwei Namen hatte auch der jüngste Teilnehmer der Schauspieltruppe. Kwassi Bruce kommt als Dreijähriger mit seinen Eltern aus Togo nach Berlin. Bis heute werde er familienintern „Berlin-Bruce“ genannt, haben die Treptower Ausstellungsmacher herausgefunden. Weil sein Vater ihm eine gute Ausbildung ermöglichen will, gibt es ihn dem Berliner Ehepaar Antelmann in Pflege, das einen „Kolonialwarenladen“ betreibt. Er besucht das Gymnasium, wird schließlich am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium in Schöneberg zum Pianisten ausgebildet. 1913 besucht er sein Herkunftsland, wird dort 1914 vom Ersten Weltkrieg überrascht, als französische und englische Truppen die deutsche Kolonie einnehmen. Er meldet sich beim deutschen Militär, gerät in Kriegsgefangenschaft, kann erst 1920 nach Berlin zurückkehren. Er arbeitet am Charlottenburger Opernhaus, gründet eine Jazz-Kapelle. Außerdem heiratet er „eine Deutsche und wird 1926 als einer von wenigen Personen aus den Kolonien eingebürgert“, so die Ausstellungsmacher.
Unter den Nazis werden die Lebensumstände für Bruce immer schwieriger, er wird als Bar-Pianist entlassen, angeblich will das Publikum keine schwarzen Klavierspieler mehr sehen. 1934 verfasst er eine Denkschrift ans das Auswärtige Amt, „in der er den eskalierenden Rassismus anprangert und Unterstützung für Schwarze Menschen in Deutschland fordert“.
Martin Dibobe/Quane a Dibobe
Als einer der ganz wenigen bis heute in Berlin bekannt ist Martin Dibobe, der „erste schwarze U-Bahnfahrer“ der Stadt. Ein Foto in der U-Bahn-Station Hallesches Tor erinnert an ihn. Wie Bell ist auch er Sohn eines Duálá-Anführers, der mit den Deutschen einen Schutzvertrag unterschrieben hat. Die Vornamen Benjamin Martin erhält er bei seiner Taufe 1892 durch einen Baseler Missionar in Douala. Nach der Kolonialausstellung will Dibobe in Berlin bleiben, jemand organisiert ihm eine Lehre als Schlosser in Strausberg.
Dibobe wird einer der ersten Mitarbeiter der neu eröffneten Berliner Hoch- und Untergrundbahn, ist erst Zugabfertiger, dann Zugführer. Durch Kontakte mit der sozialistischen Arbeiterbewegung wird er politisiert. 1906 geht er nach Kamerun, soll dort beim Bau einer Eisenbahnlinie helfen, agitiert aber auch die kamerunischen Anführer. Zurück in Berlin, engagiert er sich gegen die deutsche Kolonialpolitik, leitet etwa Protestbriefe der Kameruner „gegen die Exzesse des deutschen Kolonialregimes weiter“, heißt es im Ausstellungstext über ihn.
Friedrich Maharero
Auch der 22-Jährige aus dem Gebiet des heutigen Namibia ist Sohn eines Anführers, des Paramount Chiefs der Ovaherero. Er und seine Delegation verfolgen in Berlin ausdrücklich politische Ziele, wollen mit der Kolonialmacht über die Sache der Ovaherero und Nama verhandeln. Am 19. September 1896 bekommen sie tatsächlich eine Audienz beim Kaiser, überreichen einen Brief des Chiefs. Sie haben Sorge, dass der Landeshauptmann von Südwest-Afrika, Major Theodor Leutwein abberufen werden soll. Dieser war wohl in Deutschland in die Kritik geraten, weil ihm „zu große Nachsicht gegenüber den Hereros vorgeworfen wird“, wie Bernhard von Bülow, der spätere Reichskanzler dem Kaiser schreibt. „Die Hereros erwarten eine Versicherung, dass Seine Majestät gewillt sind, den Frieden mit ihnen zu halten.“
D er aber wird nicht lange halten: 1904–1907 kommt es zum Deutsch-Herero-Krieg, der in einen Völkermord mündet. Auch Friedrich Maharero kämpft gegen die Deutschen, muss 1904 mit seinem Vater ins britisch kolonisierte Betschuanaland flüchten. Bezüglich seines Aufenthalts in Berlin sagte er: „Wir waren dort ein Jahr lang. Gar nichts wurde uns beigebracht. Wir haben nur mit Pferden reiten müssen und wurden gekleidet und gedrillt wie Soldaten.“
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