piwik no script img

Kommentar Neue Schengen-RegelnEin Zeichen des Misstrauens

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Die beliebige Schließung der Schengengrenzen ist ein Zugeständnis an die Rechtspopulisten. Und ein Geschenk für ihre zukünftigen Kampagnen.

Wo Grenzen sind, sind die Wachen nicht weit Foto: dpa

S chengen, das war ein Versprechen: auf mehr Europa. Die Abschaffung der Grenzkontrollen war das sichtbarste, spürbarste Zeichen dafür, dass dieser seit Urzeiten im Streit liegende Kontinent sich für eine gemeinsame Zukunft entschieden hatte.

Wer dem Nachbarn so weit über den Weg traut, dass er den Schlagbaum hochklappt, der sollte sich auch einigen können, wenn es um Währung, Steuern, Märkte, Einwanderung und anderes geht. Deswegen war der Kommission, der Hüterin der EU-Verträge, Schengen auch so wichtig. Denn wer es verteidigt, der hält den Weg offen für die weitere Einigung Europas.

Seit der Flüchtlingskrise aber wird an Europas Binnengrenzen immer öfter kontrolliert – an Flughäfen, in der Bahn, in Bussen und an Autobahnen. Die Kommission hatte immer wieder auf ein Ende dieser vermeintlichen Ausnahmen gedrängt. Innenpolitiker, auch aus Deutschland, hatten sie hingegen immer weiter verlängern wollen.

Es war ein Schritt in Richtung Renationalisierung, ein Ausdruck des Misstrauens: gegen Brüssel, gegen die Südeuropäer oder gegen die Staaten im Osten, die nicht imstande seien, ihre Grenzen zu sichern. Und je stärker darauf gedrängt wurde, Schengen aussetzen zu dürfen, desto eher durften Rechtspopulisten sich bestätigt fühlen: Ihre Erzählung von Europa ist die von der Gefahr durch offene Grenzen und unkontrollierte Migration. Von diesem Punkt aus stellen sie Europa insgesamt infrage.

Wer Schengen beschneiden will, macht es ihnen leicht. Genau das tut die EU. Es wäre an ihr, ein Signal zu setzen: Offene Grenzen, wenigstens im Innern, sind keine Bedrohung, sie sind die Zukunft des Kontinents. Dass sie im Streit nun einknickt und den Mitgliedstaaten erlaubt, Schengen praktisch nach Belieben aussetzen zu können, wird von den Europahassern als klares Eingeständnis interpretiert, dass es doch keine so gute Idee war, die Grenzkontrollen in Europa abzuschaffen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Natürlich können Sie alles "Rassismus" nennen, wenn Sie wollen. Nur ob Sie damit die Bedeutung des Wortes treffen oder einfach um Ihre privat gefühlten Horizont erweitern, steht auf einem anderen Blatt. Wenn Sie im Hochsommer auf Mallorca eine Abstimmung machen, soll da wirklich "die Bevölkerung", also hundertausende Touristen darüber mit abstimmen dürfen, was doch eigentlich nur die Mallorquiner angeht ?

  • Die meisten Menschen schließen die Haustür ab, nicht nur wegen der Versicherung, und wollen auch nicht, daß abends auf einmal Fremde auf´m Sofa sitzen. Jede Disco hat einen Türsteher um zu gucken, wer da so reinsoll oder eben nicht. Kann ich einfach so abends zu Frau Roth oder zu Frau Göring-Eckhard um mich da mit hinzusetzen ? Jeder, der das liest, empört sich gerade und sagt, daß man das nicht vergleichen könne, oder ? Ich frage: Warum denn nicht ? Was ist ein "Hoheitsgebiet" anderes als unser aller Wohn- und Lebensbereich ? Und wenn es abends klingelt und ich sage:"Du kommst hier net rein.", dann ist das mein freier Wille (So, wie Claudia Roth mich nicht in ihrer Wohnung würde haben wollen) und mein persönliches Recht und das brauche ich auch nicht mal vor irgendjemandem zu rechtfertigen. Und dieses Recht hat nun mal der Souverän. Versuchen Sie mal in die USA einzureisen und Sie haben nur eine Angabe vorher nicht richtig gemacht oder unvollständig. Die schicken Sie postwendend noch am Flughafen direkt wieder zurück. Jemanden nicht reinzulassen kann nicht Rassismus genannt werden.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Thomas Schöffel:

      Ich kenne das noch. Eine Frage mit "Ja" beantwortet und dann kann die Einreise verweigert werden.

      Fragen wie: Sind sie geistig oder körperlich behindert?

       

      Natürlich kann das Rassismus genannt werden. Ein Staatsterritorium ist niemandes Wohnzimmer. Wer sind "wir alle"? Der "Souverän" ist "das Volk" nach der Präambel des GG, aber nicht die Regierung oder der Staat. Ich wäre dafür, eher die "Bevölkerung" als Grundlage zu nehmen, denn das bezieht sich auf das Territorium und nicht auf eine kollektive Identität, die es realistisch gesehen gar nicht gibt.

       

      Nach Michel Foucault ist es Rassismus, wenn das individuelle Wohl dem Wohl eines vermeinten gesellschaftlichen Kollektivs (wie dem "deutschen Volk") untergeordnet wird.

      Wenn das Zähneputzen aufgrund der "Volksgesundheit" verordnet wird, ist das eine rassistiische Politik. Anders ist es, wenn, mit dem individuellen Wohl begründet, zum Zähneputzen aufgerufen wird.

      Auch wenn "zum Wohle der Menschheit" argumentiert wird, geht es nicht um das "Wohl der Menschen", sondern um die menschliche Spezies oder Rasse (engl. human race, frz.: la race humaine).

      https://www.linguee.com/english-french/search?query=human+race.

  • Die Grenzkontrollen nur mit Rechtspopulismus und Flüchtlingen in Verbindung zu setzen greift zu kurz. Wir leben in einer Zeit in der Freiheitsrechte immer mehr an Bedeutung verlieren und die oppressiven Rechte des Staates immer mehr erweitert werden. Das Pendent zu en offenen Grenzen war nicht die Festung Europa sondern der europäische Haftbefehl. Rechtstaatlich geht dieser bedenklich weit und er wurde auch im Fall Assange prominent missbraucht. Doch dies ist den Sicherheitspolitiker_innen nicht genug. Sie erzeugen eine Stimmung der Angst in denen sie ihre Kompetenzen und Etats immer mehr erweitern können und machen auch vor europäischen Freiheitsrechten mit hohem Symbolgehalt nicht halt. Die AfD ist eine abstrakte Gefahr. De Maizière dagegen legt ein verfassungswidriges Gesetz nach dem nächsten vor und schafft unsere Freiheit tatsächlich ab.

  • Grenzkontrollen sind "ein Zeichen des Misstrauens" zwischen europäischen Staaten?

     

    Ein bisschen sehr weit hergeholt. Sie sind eine Polizeimaßnahme, mit der vielleicht das eine oder andere Terror- oder Kriminalitätsopfer verhindert werden kann bzw. in der Vergangenheit hätte verhindert werden können. Ob die Kontrollen "ein Zugeständnis an die Rechtspopulisten" und "ein Geschenk für ihre zukünftigen Kampagnen" sind, sei dahingestellt, sollte aber gleichgültig sein.

  • Die EU ist (noch) kein Bundesstaat. Souveränität ist ein konstituierendes Element des Staates als Institution. Diese Souveränität wurde an die Staaten mit Aussengrenzen delegiert. Solange die Aussengrenzen des Schengenraums jedoch dermaßen löchrig sind, führt an der Kontrolle der Binnengrenzen kein Weg vorbei.

     

    Wie im Mehrfamilienhaus, in dem man sich gut versteht. Man kann die Wohnungstür angelehnt lassen, wenn die Kontrolle über die Haustür gewährleistet ist. Bleibt die Haustür jedoch nur angelehnt, wird jeder automatisch seine Wohnungstür wieder zumachen. Das gilt besonders dann, wenn das Haus an einer belebten Straße liegt.