Junge Leute leiden unter Wohnungsnot: Schlafsack verzweifelt gesucht
In Hamburg gab es binnen 24 Stunden zwei Hilferufe von 20-jährigen Frauen, die eine Bleibe suchen. Seit zehn Jahren wird vergeblich eine Notschlafstelle gefordert
Eine aufmerksame Leserin wies die taz auf einen ähnlichen Appell bei Ebay-Kleinanzeigen hin. Diese 20-Jährige verliert ihre Wohnung, die sie nur vorübergehend hatte. „Ich suche nun alles, was nötig wäre für eine Person und zwei Hunde, um auf der Straße zu überleben“, schreibt sie. Sie habe schon Erfahrung mit dem Leben auf der Straße und wolle auf keinen Fall in öffentliche Einrichtungen wie das Pico. Nun sucht sie: „Zelt, Kocher, Isomatte, BW Schlafsack (dick) sehr wichtig!, BW Rucksack, BW Geschirr, Taschenlampe, Plane, Decken“.
Die traurige Anzeige stammt von Mittwoch früh. Ein paar Monate vorher, Anfang Juli, hatte die junge Frau in den Kleinanzeigen schon einmal um Hilfe geben. Sie suche eine Wohnung in Hamburg. Sie sollte nicht mehr als 400 Euro kosten. „Hunde sollten erlaubt sein.“ Sie schrieb damals, sie wohne seit acht Monaten in einer Einrichtung des städtischen Trägers Fördern und Wohnen in einer Vierer-WG. Nur sei der Nutzungsvertrag leider auf zwölf Monate begrenzt, „da das nur eine vorübergehende Maßnahme ist, um jungen Menschen wie mir zu helfen ein normales Leben zu finden“.
Offenbar war die damalige Suche nicht erfolgreich. Deshalb nun offenbar die Vorbereitung auf ein Leben auf der Straße.
In Deutschland sind rund 37.000 junge Menschen ohne festen Wohnsitz. Das ergab eine Studie des Deutschen Jugendinstituts.
Zwei Drittel sind Jungen, ein Drittel Mädchen. Etwa 20 Prozent sind minderjährig, die übrigen 18 bis 26 Jahre alt. Gezählt werden auch jene, die bei Freunden oder in Notunterkünften wohnen.
Die Hamburger Sozialbehörde hat keine Statistik über jugendliche Obdachlose. Bei einer älteren Studie von 2009 wurden 117 Obdachlose unter 25 erfasst und befragt.
„Hier gibt es wenig Handlungsspielraum.“
Die taz fragte bei der Sozialbehörde und bei Fördern und Wohnen nach, was für eine Alternative diese junge Frau hat. Die Antwort: Es handele sich um ein Projekt des Bezirks Altona, für welches der städtische Träger lediglich die Räume stellt. „Im Hinblick auf eine drohende Obdachlosigkeit der Frau gilt das Regelsystem“, sagt Pressesprecher Marcel Schweitzer. Möglich wäre, sofern die Jugendhilfe nicht mehr zuständig ist, ein Platz in einer öffentlich-rechtlichen Unterkunft. Eine Schwierigkeit wären allerdings die Hunde, für die ein Einzelzimmer nötig sei. Schweitzer: „Hier gibt es wenig Handlungsspielraum.“
Zu der ersten Betroffenen hatte Max Bryan von der Initiative „Hamburger Obdachlose“ Kontakt aufgenommen. „Ich habe ihr einen Leitfaden geschickt und ihr geraten, sich an das Streetlife-Projekt in Rahlstedt zu wenden“, sagt Bryan. Die junge Frau meldete Bryan zurück, dass ihr dort geholfen worden sei. Sie habe jetzt wieder eine Postadresse, sodass sie Hartz IV beantragen könne, und für sie werde auch ein Platz gesucht. Der Träger selbst kann sich zu Einzelfällen nicht äußern, sagt aber, dass Hamburg für diese Zielgruppe viel mehr tun muss.
„Wir haben drei Gästewohnungen. Früher waren die drei Monate belegt, inzwischen bleiben die jungen Menschen ein bis zwei Jahre“, berichtet Streetlife-Mitarbeiter Ralf Mehnert. „Sie finden einfach keinen Wohnraum.“
Das Problem beginne, wenn die Jugendlichen 18 werden, und sie zu alt für die Jugendhilfe sind, aber zu jung für Obdachlosenunterkünfte mit Erwachsenen. „Berlin, München, Köln – all diese Städte haben Notschlafstellen für junge Menschen von 18 bis 27 Jahren. Nur Hamburg hat so etwas nicht“, kritisiert Ralf Mehnert. Streetlife und weitere Jugendhilfeträger würden sich seit zehn Jahren im „Arbeitskreis junge Wohnungslose“ dafür einsetzen. „Aber seitdem ist nicht viel passiert.“ Zwar gibt es seit 2009 mit „JEP“ ein Jungerwachsenenprojekt für 19 junge Männer im Bezirk Mitte. Nötig sei ein Projekt, wo junge Frauen Zugang haben oder Hunde mitgebracht werden können.
Die Wohnungsnot der Jugend war auch im Mai Thema bei einer Anhörung der Hamburger Linksfraktion. Sozialarbeiter Olaf Sobczak sagte dort, ein Problem sei die Gruppe der „Care Leaver“, also jener, die aus öffentlicher Erziehung kommen. Es seien oft die jungen Menschen mit den schlechtesten Chancen, die mit 21 in einer Wohnunterkunft landen oder prekär bei sogenannten Freunden unterkommen. Bei Wohnungsneubauten müsste es Kontingente für diese Zielgruppe geben, möglicher weise sogar einen ganz neuen Player für sozialen Wohnungsbau.
Die Anregung aus dieser Anhörung, Notschlafplätze und Gästewohnungen zu schaffen, floss in einen Antrag der Linken zur Bekämpfung der Armut von Kindern, Jugendlichen und Jungerwachsenen ein. Die Hamburger Bürgerschaft lehnte ihn vergangene Woche mit den Stimmen von Rot-Grün ab.
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