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Denkmal für Homobewegung in Berlin„Was sind das für schwule Blumen?“

Sechs überdimensionale Calla-Lilien schmücken das Spreeufer vor dem Kanzleramt. Jörg Steinert vom Berliner LSVD erklärt, was das soll.

Echt riesig, die Blumen! Blick auf das neue Denkmal Foto: dpa
Interview von Rebecca Barth

taz: Herr Steinert, Sie weihen heute ein neues Denkmal gegenüber vom Kanzleramt ein. Das Ufer ist bereits nach Magnus Hirschfeld benannt. Es gibt auch schon zwei Gedenktafeln. Wofür braucht man jetzt noch ein zweites Denkmal?

Jörg Steinert: Das Denkmal erinnert an die erste Homosexuellenbewegung. Diese geht weit über die Person Hirschfeld hinaus. Wir haben in den letzten Jahren damit begonnen, nicht nur an die Verfolgung von Homosexuellen zu erinnern, sondern auch an die Emanzipationsbewegung. Damals sind erstmals Menschen zusammengekommen und haben sich organisiert. Sie haben Petitionen eingereicht, Aufklärungsarbeit geleistet und sich vernetzt. Davon profitieren wir bis heute.

Welche Bedeutung hat Magnus Hirschfeld heute noch in der LGBT-Szene?

Hirschfeld war der Begründer der ersten Homosexuellenbewegung. Viele denken, das sei im 20. Jahrhundert in New York losgegangen, da wir jährlich den Christopher Street Day feiern. Das ist falsch. Die erste Homosexuellenbewegung hat ihren Ursprung in Berlin, und zwar im 19. Jahrhundert, genau 1897.

Hirschfelds wissenschaftlicher Ansatz gilt heute als überholt.

Seine Theorie der sexuellen Zwischenstufen würde man heute sicher nicht mehr so formulieren. Aber es war der Anfang, sich diesem Thema zu nähern und bisherige Denkmuster aufzubrechen.

Aus den eingereichten Vorschlägen hat die Jury die Variante mit sechs großen Calla-Lilien ausgewählt. Warum?

Im Interview: Jörg Steinert

geboren 1982, ist Geschäftsführer und Pressesprecher des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg (LSVD).

Die Pflanze hat Blüten verschiedenen Geschlechts auf einer Pflanze. Sie steht dafür, dass es in der Natur eben noch mehr gibt als nur männlich oder nur weiblich. Zudem wollten wir ein Denkmal, dass nicht nur funktioniert, wenn man daran vorbeigeht. Die vier Meter hohen Calla-Lilien sind auch vom Kanzleramt zu sehen, sie sind vom anderen Ufer zu sehen, wo das Institut für Sexualwissenschaft stand. Auch die Touristen von den Booten können es sehen.

Aus der Ferne werden wohl nicht alle die Bedeutung hinter den vier Meter hohen Blumen verstehen.

Das neue Denkmal steht am Hirschfeld-Ufer in Berlin Foto: dpa

Uns wurde schon vermittelt, dass die Touristen, die auf den Booten vorbeifahren, wohl sagen: „Was sind denn das für schwule Blumen?“ Weil diese in Regenbogenfarben sind. Eine Tendenz wird also erkannt.

Wird es zu den Callas weitere Informationen geben?

Informationen wie die auf den Gedenktafeln sollen auf jeden Fall neben dem Denkmal bestehen bleiben. Inwieweit es eine redaktionelle Anpassung geben sollte, werden wir noch mit der Kulturverwaltung klären. Zudem sind diese Tafeln sehr beschädigungsanfällig. Es gab schon vier Mal Vandalismus an dieser Stelle. Das haben wir beim Bau des Denkmals beachtet. Die Callas bestehen daher nicht aus Aluminium, sondern aus Stahl.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hat in einer Broschüre, die Sie herausgegeben haben, geschrieben: „Vieles von dem, wofür Hirschfeld kämpfte, ist heute in Deutschland Wirklichkeit.“ Da kann man sich ja jetzt entspannt zurücklehnen.

Als die Broschüre herauskam, gab es die „Ehe für alle“ noch nicht, aber zumindest in Deutschland seit 1994 keine strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen mehr. Aber auch mit der „Ehe für alle“ bleibt es bei Diskriminierungen im Alltag und am Arbeitsplatz sowie bei Gewalt im öffentlichen Raum. Das Denkmal soll daher ein Ansporn sein.

Was erwarten Sie diesbezüglich von Politik und Gesellschaft?

Unser Anspruch ist Akzeptanz in allen gesellschaftlichen Bereichen. Wir wissen, dass „schwul“ eines der meistbenutzten Schimpfwörter an Schulen ist, dass homosexuelle und transgeschlechtliche Jugendliche ein erhöhtes Suizidrisiko haben, dass es Gewaltvorfälle zu Hunderten in der Stadt gibt. Dagegen muss man sich engagieren, die betroffenen Menschen unterstützen und die Gesellschaft sensibilisieren.

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