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„Roma Armee“ im Berliner Gorki-TheaterDer Zukunft den Rücken kehren

Was als Empowerment der Roma gemeint war, geht als Theaterrevue nach hinten los. Versuch der Beschreibung eines Missverständnisses.

Glitzerndes Muskelspiel in der „Roma Armee“ Foto: Ute Langkafel

Eine „Roma Armee“ wurde im Gorki-Theater gegründet. Das Wort „Fraktion“ ging während der Entwicklung des Arbeitstitels zum Titel verloren, was man als kleinen Hinweis auf die Ängste werten kann, die es in einem sich rebellisch gebärdenden Theater in Berlins Stadtmitte offenbar gibt. Aber auch ohne „Fraktion“ sind die Assoziationen in Richtung mehr oder weniger revolutionäre und vor allem bewaffnete Truppe vollkommen klar.

Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen der Truppe, die sich in diesem Stück gründet, und den im Titel assoziierten Armeen: sowohl zu der Roten Armee aus der Zeit des Theaternamensgebers Maxim Gorki als auch zur RAF der 70er und 80er Jahre. Die Rote Armee war grundsätzlich international, die RAF wollte es wenigstens sein. Diese „Roma Armee“ indes operiert in einem schauderhaft antiquierten Bezugsrahmen, der mit nationalen und nationalistischen Instrumenten hantiert.

Das Stück

Am 14. September hatte im Maxim Gorki Theater in Berlin das Stück „Roma Armee“ Premiere, das Sandra und Simonida Selimović mit der Regisseurin Yael Ronen und anderen KünstlerInnen inszenierten. In dem Stück verarbeiten sie persönliche Erfahrungen und aktuelle antiziganistische Vorfälle. Weitere Termine: www.gorki.de

Okay, ja, gut, es handelt sich in diesem Falle um Roma und Romnija, und die haben eine ganze Unterdrückungs- und Diskriminierungsgeschichte ihres Volkes zu erzählen. Sie machen dies auch ganz schrill. Und wenn mal ein Betroffenheitsgestus reinrutscht, dann wird er brav ironisch gebrochen, getreu den postmodernistischen Kunstfibeln. Alles ganz vorbildlich.

Gefangen in Klischee-Kathegorien

Die Truppe – sechs Roma und zwei Gadje, also Nicht-Roma – stellt die jeweiligen sexuellen Vorlieben und politischen Positionen – lesbisch, schwul, queer, feministisch, Linkspartei-links usw. – heraus. Sie entzieht sich den Klischees von Bettler und Teufelsgeiger, bleibt allerdings in der gleichen Klischee-Kategorie gefangen. Im Gorki spielen sie mit viel Glitzerfummel und viel freier Haut, mit „Temperament“ und „Hingabe“ – diesen alten kulturellen Zuschreibungsklischees – vor gesättigt bürgerlichem, bestenfalls linksbürgerlichem Publikum.

Und das ergötzt sich. An dem Fummel, an dem Glitzer. Am Gangsta-Rapper-Getue, das mittlerweile, und zum Glück, wegen zu viel sozialer Anbiederei bereits aus den meisten Projekten der kulturellen Bildung verschwunden ist. Aber hier feiert das fröhliche Urständ. Und das National- und Identitätsgebrabbel auch. Das verblüfft.

„Ich bin stolz, Rom zu sein“, heißt es zum Höhepunkt der Bekenntnisorgie. Sonst hört man das, ins Deutsche gewendet, bei Pegida, AfD & Co. – und wendet sich ab. Hier indes findet die Kategorie des ethnisch Eindeutigen begeisterte Zustimmung.

Verlierer im Opfer-Contest

Natürlich, es gibt auch Brüche. Regisseurin Yael Ronen ist bislang eher nicht als Agit-Prop-Athletin aufgefallen, sondern als Spezialistin fürs Komplexe, für die purzelnden Kategorien. Und so dürfen an einem der zwei Höhepunkte des Abends die zwei performenden Gadje, die Israelin Orit Nahmias und der türkische, deutsche und arabische Wurzeln besitzende Mehmet Ateşçi, sich ganz erstaunt darüber zeigen, dass sie, die sonst ganz locker Opferidentitäten für sich reklamieren können, im Kontext der von ihren bekennenden Kollegen erzählten Armuts- und Ausgrenzungsgeschichten der Roma zu privilegierten „Weißen“ mutierten. Sie waren Verlierer im Opfer-Contest – eine charmante Volte.

Sich umdrehen,die Blickrichtung wechseln, das könnte eine Lösung sein

Den zweiten guten Moment gab es am Ende. Da wurde die klassische kapitalistische Mehrheitsgesellschaft als in die Zukunft rennend und der Vergangenheit den Rücken zuwendend auf die Bühne gestellt, während traditionalistische Gesellschaften, wie eben Roma, die ihr Roma-Sein nicht aufgeben wollen, ihre Augen nur aufs Gestern richten und der Zukunft den Rücken zuweisen.

Hybride aus Revue und Musical

Der Raum der Gegenwart ist dabei von den jeweils abweisenden Rücken begrenzt. Sich umdrehen, sich anschauen und, die Antlitze der anderen im Blick, in die jeweils andere Zeitrichtung schauen könnte eine prima Lösung sein, suggeriert diese Figurenaufstellung von Ronen.

Gut, vielleicht ist diese Szene zu versöhnlerisch und die ästhetische Freude daran erst recht. Vielleicht braucht es zum politischen und kulturellen Empowerment der Roma und Romnija ja den ganz groben Keil, die wilde Überzeichnung. Dass dann aber mit der Feier einer nationalen Identität nicht nur politisch in die Kiste des Vorgestern gegriffen wurde, sondern auch noch ästhetisch, eben mit einer Hybride aus Revue und Musical – das war der reaktionären Momente im vormaligen Realismus-Tempel Gorki denn doch zu viel. Es war Muff, nur bunt angemalt – in dieser Kombination aber ausreichend für ein frenetisch sich selbst feierndes Publikum. Happy Bubble in mid town Berlin.

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2 Kommentare

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  • Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich hinzufügen, dass Tom Mustrophs Hauptkritik am "ethnisch Eindeutigen" willkommen ist.

    Sandra und Simonida

    Selimovic, die in dem Stück einen starken Auftritt abgeben, haben in ihrem Interview (taz, 16. Sept) beschrieben, wie sie als junge Leute während des Jugoslawienkrieges sehr flexibel mit ethnischen Kategorien umgehen mussten. Sie haben sich einen Jux aus der FPÖ Hetzkampagne von der "Bettel-Mafia" gemacht, indem sie in Wien (spielerisch) einen offiziellen "Bettel-Beaufragten" einsetzten, der die Bettler staatlich überprüfte und ihnen bei korrektem Verhalten 50% der Einnahmen drauflegte (das goldene Herz der Stadt Wien).

    Man kommt der Sache näher, wenn man fragt: Bist du Mitglied einer stark diskriminierten oder Mitglied einer herrschenden Gruppe?

    Ein Thema, zu dem es noch jede Menge zu sagen gäbe, z.B. welche Unterstützung sich die diskr. Gruppe wünscht.

  • In meiner Sitzreihe befanden sich, lieber Tom, drei Menschen mit working class background und ein Romni (also Vorsicht bei der Wahrnehmung). Und die beteiligten gypsy performer haben gerade das Nationale, aber nicht ihre Geschichte, hinter sich gelassen:

    Die blonde Riah kommt aus England, der Lindy aus Schweden, die einen leben in Wien, die anderen in Berlin. Riah z.B. brachte eine Geschichte auf die Bühne, die sie als 7jährige im engl Sussex erlebt hatte: Dort gibt es ein alljährliches bonfire, bei dem in einem Umzug eine "effigy", in diesem Fall die Nachahmung einer Romany-Kutsche, eines "Zigeunerwagens" symbolisch verbrannt wurde, und ihre Familie im Dorf zu outcasts wurden. Eine reale Geschichte aus dem Jahr 2003.

    Stimme Tom zu, bestimmte Sätze sind Quatsch, oberflächliche Identitäten gefährlich. Alter, Geschlecht, Herkunft, Klasse, Nation sind dem Zufall der Geburtsumstände und Geographie geschuldet. Im Alltag sind aber gewisse Konstruktionen nötig, die das Überleben inmitten anderer Narren und SUV-Fahrer ermöglichen. So soll der Montagstazler Küppersbusch ein Borussia Dortmund Fan sein, ich auch, obwohl ich, jetzt wirds kompliziert, nicht gleichzeitig Masochist bin. Manche Teil-Identitäten (wie die buddhist oder psychosynth. Erfahrung von Nicht-Identität) sind Lust- oder sinnstiftend, wir ziehen sie uns an und werfen sie wieder weg. Andere sind mörderisch.

    Genauso habe ich die "Roma Armee" wahrgenommen, ein Fest

    des Lebens und der Diversität auf ganz hohem Niveau: Allein Lindy und Riah (hetero), so die Berliner Zeitung, hätten jeden Eurovisionskontest mit links gewonnen. Oder lesbische Künstlerinnen, die aus der konservativen Romatradition ausbrechen und frech ihre Sexualität deklamieren, ohne dem kaltem Voyeurismus des "Bürgertums" Raum zu bieten. Die Erfahrung von Demütigungwird transformiert, das ist individuelle Power in einem diversen Theaterkollektiv, in vielen Sprachen und gut übersetzt.