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Plan B für Osnabrück

Beteiligung Seit Jahren soll am Osnabrücker Neumarkt ein Einkaufszentrum entstehen. Der Bau verzögert sich immer wieder. Nun entwerfen Fachleute aus der Stadt einen Alternativplan. Auf ehrenamtlicher Basis

von Anne Reinert

Autos rauschen über die Straße. An den Haltestellen links und rechts rollen alle paar Minuten Linienbusse heran, spucken Menschen aus, die die Straße im Schwarm überqueren und das Autorauschen für eine Grünphase unterbrechen. Der Neumarkt in Osnabrück ist keine Wohlfühlzone. Und trotz der Geschäftigkeit irgendwie auch ein toter Punkt im Stadtzentrum.

An den Rändern der Straße, die die Fußgängerzone in Nord und Süd teilt, ein wilder Stilmix an Fassaden, hinter deren Fenstern Leere herrscht. Obwohl noch ein rotes Logo an den Scheiben prangt, ist die Betriebsamkeit innen längst Geschichte. Seit 2009 steht das Kaufhaus leer. Ein Imageschaden für die Stadt, steht es doch an dem zentralen Punkt Osnabrücks. Darin sind sich alle einig.

Schon länger hätte an dieser Stelle ein Einkaufszentrum stehen sollen. Auch weitere Gebäude sowie ein dahinter liegendes Parkhaus sollen abgerissen und durch „Oskar“ ersetzt werden, wie Investor Unibail Rodamco das Einkaufscenter nennt. Ein moderner Bau mit 25000 Quadratmeter Verkaufsfläche auf drei Ebenen. Wie das aussehen soll, können die Passanten schon bestaunen. Die Entwürfe hängen schon an einer Hauswand am Neumarkt.

Doch geschehen ist bisher: nichts. Kurz bevor es 2015 endgültig mit dem Bau losgehen sollte, klagte der Eigentümer eines Nachbargebäudes, der sich durch einen zum Einkaufszentrum geplanten Wendehammer in seinen Eigentumsrechten eingeschränkt sah. Im Sommer scheiterte der Versuch von Stadt und Investor, sich mit dem Kläger außergerichtlich zu einigen. Damit muss das Normenkontrollverfahren wieder aufgenommen werden. Der Bau des Centers könnte sich bis 2025 verzögern.

Diese Nachricht las Reinhart Richter in der Zeitung. Er initiierte kurzerhand ein einzigartiges Modell der Bürgerbeteiligung. Er scharrte im Juli eine Gruppe von 40 Fachleuten um sich – unter anderem ArchitektInnen, StadtplanerInnen, MobilitätsexpertInnen und Finanzleute. Alles Osnabrücker oder Menschen mit Bezug zur Stadt. Diese entwickeln einen Alternativentwurf für den Neumarkt. Unentgeltlich. Anfang November soll er fertig sein. Richter nennt das Modell „bürgerschaftlich-fachlichen Planungsprozess“.

Ein straffes Programm. Und bei Weitem nicht Richters einziges Projekt. Ihn zu erreichen, ist gar nicht so leicht. Wenn man Glück hat, erwischt man ihn zwischen Beratungsterminen. Mit seinen 78 Jahren arbeitet er immer noch als selbstständiger Kommunalberater. Richter berät Kommunen, wie sie ihre Kulturarbeit ausrichten und voranbringen etwa.

Er selbst hat vor Kurzem eine Skulpturengalerie ins Leben gerufen. Ein gemeinnütziges Projekt, zu dem der Volks- und Betriebswirt kam, weil er fand, dass es zu wenig Skulpturenausstellungen in der Stadt gibt. Auswärtige Galeristen können nun mitten in der Altstadt ihre Künstler präsentieren, wenn sie im Gegenzug die Arbeiten eines Osnabrückers zeigen. Eine von vielen Ideen, mit denen Reinhart Richter mitmischt. „Ich bin seit 1970 in Osnabrück und lebe gern hier“, erklärt er seine Umtriebigkeit, „ich will, dass die Stadt sich zukunftsfähig entwickelt.“ Und dann entspricht es einfach seinem Wesen. „Ich habe so ein Prinzip. Wenn ich auf ein Problem stoße und den Eindruck habe, ich kann etwas verändern und das macht mir auch noch Spaß, bin ich gefährdet, es anzugreifen.“

Reinhart Richter will zeigen, dass Kommunen eine hohe Kompetenz unter ihren EinwohnerInnen nutzen können

Richter ist ein eher unauffälliger Mann. Nicht besonders hochgeschossen, etwas untersetzt, immer korrekt gekleidet, Hemd und graues Jackett. Höflich und direkt tritt er auf. Doch was sich in seinem Kopf abspielt, ist alles andere als angepasst. Als er etwa 1976 sein Amt als Leiter des Kulturamtes in Osnabrück antrat, sorgte er dafür, dass die Stadt als erste in Deutschland überhaupt einen kommunalen Entwicklungsplan vorlegte. Elf Jahre später, „als ich unkündbar geworden war“, gab er sein Amt wieder ab und wurde Kulturberater. Der erste in Deutschland, wie er sagte. Und weil er gerade mal einen neuen Beruf erfunden hatte, gründete er nebenbei ein Exportunternehmen, mit dem er sich finanzierte und das er fünf Jahre später wieder verkaufte.

Den Osnabrücker Neumarkt bezeichnen andere als „Schandfleck“ und „hässlich“. Für Richter ist er schlicht „ein Imageschaden“ für die Stadt. Ein Einkaufszentrum wird es dort nicht geben, wenn es nach ihm geht. Das Einkaufszentrum, so Richter, schade dem Einzelhandel. Den wiederum will er und seine Gruppe mit seinen Ideen stärken. Statt der vom Investor angestrebten 25.000 Quadratmeter sollen im Neumarktquartier, das die Gruppe plant, höchstens 6.000 Quadratmeter für den Einzelhandel zur Verfügung stehen.

Wichtiger ist ihnen stattdessen, Wohnungen zu bauen. Denn wie in anderen Städten gibt es davon in Osnabrück zu wenig. Als Bewohner des Quartiers stellen sich die Planer etwa SeniorInnen vor, die es nach ihrer Familienphase vom Ein-Familien-Haus auf dem Land in die Innenstädte zieht. Oder Studierende, für es zu wenig Wohnraum gibt. Auch Arzt- und Rechtsanwaltspraxen oder Kreative sollen sich am Neumarkt ansiedeln können.

Mittelpunkt soll eine moderne Stadtbibliothek mit Räumen für die Volkshochschule, kulturpädagogische Angebote und Künstlerateliers sein. Sie soll ein „Ort der demokratischen Stadtgesellschaft“ und der „wichtigste Treffpunkt und Aufenthaltsort der Stadt“ sein. Reinhardt Richter ist sich sicher, dass die Mischform am Neumarkt dafür sorgen würde, dass sich die Angebote gegenseitig begünstigen und der Ort Strahlkraft über die Stadtgrenzen hinaus hat. Wichtig ist der Alternativplan-Truppe, dass ihr Entwurf „rentierlich“ ist, ein wirtschaftliches Desaster wollen sie nicht anfachen.

Richter ist nicht naiv. Er ist sich bewusst, dass der Plan möglicherweise ungenutzt in der Schublade verschwindet. Investor Unibail Rodamco hat inzwischen angekündigt, an seinen Plänen vom Einkaufszentrum festzuhalten. „Wie wir auch in der Vergangenheit immer betont haben, halten wir unverändert an der Realisierung unseres Projekts Oskar in Osnabrück fest“, erklärt Unternehmenssprecherin Hannah Liekenbrock. Allerdings verfolge Unibail Rodamco „den öffentlichen Diskurs hinsichtlich des Projekts sehr aufmerksam“ und setze sich „intensiv mit allen Bedenken und Anregungen“ auseinander.

Für Reinhart Richter ist das kein Grund, aufzugeben. Ihm geht es nicht nur um den Plan an sich. Für ihn hat der bürgerschaftlich-fachliche Planungsprozess Modellcharakter. Er will zeigen, dass Kommunen eine hohe Kompetenz unter ihren EinwohnerInnen nutzen können. Und das noch im Schnellverfahren. Denn was bei Richter und seinem Team gerade mal drei Monate dauern soll, braucht in den Verwaltungen oft mehrere Jahre. Doch vielleicht wird der Alternativplan Wirkung zeigen. Möglicherweise, so Richter, würde der Investor Ideen daraus aufgreifen. Und sollte das Einkaufszentrum am Ende gar nicht gebaut werden, wäre sofort ein Plan B parat.

Erste Zwischenergebnisse hat die Gruppe inzwischen öffentlich vorgestellt. Vor allem Geschäftsleute und Eigentümer von Gebäuden am Neumarkt sind der Einladung der Gruppe zu der Informationsveranstaltung vergangene Woche gefolgt. Einige der rund 40 ZuhörerInnen gucken etwas skeptisch. Zu viel Hin und Her gab es in den vergangenen Jahren am Neumarkt. Zudem ist das Einkaufszentrum umstritten. Viele Geschäftsleute fürchten, die Konkurrenz lasse ihre eigenen Umsätze sinken. Aber es gibt auch Befürworter, eine Kneipenbesitzerin aus der Nachbarschaft sagt, sie sei froh, wenn überhaupt mal was am Neumarkt passieren würde, die Idee mit dem Einkaufszentrum findet sie gut.

Die Osnabrücker Politik hält sich erst mal raus dem Thema. Sie gehe vorerst davon aus, dass das Einkaufscenter gebaut werde, sagt die Osnabrücker Bürgermeisterin Birgit Strangmann (Grüne). So hat es der Investor der Stadt schließlich mitgeteilt. Allerdings, so Strangmann, schade ein Alternativplan ja nicht. Die Stadtverwaltung versorgt Richters Gruppe sogar mit Informationen für die Planung. Das Gleiche gilt für die Industrie- und Handelskammer in Osnabrück

Reinhardt Richter plant schon die nächsten Präsentationen des Planungsteams. Denkt er eigentlich jemals daran, in den Ruhestand zu gehen? „Nein“, sagt er knapp. Und fügt schmunzelnd hinzu, dass seine Frau glaube, er werde eines Tages friedlich an einem Beratungstisch einschlafen.

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