Arbeitnehmerrecht beim Friedensverband: Krieg in den eigenen Reihen
Monty Schädel ist einer der bekanntesten deutschen Friedensaktivisten. Nun hat sein Pazifistenverband ihm gekündigt – nach einem Herzinfarkt.
Monty Schädel, Jahrgang 1969, ist ein kampferprobter Mann. Das muss er auch sein – als einer der bekanntesten deutschen Friedensaktivisten. 1995 verweigerte er als Totalverweigerer den „Kriegsdienst mit und ohne Waffe“, eine dreijährige Bewährungsstrafe war die Folge. Jahre später, 2007, war Schädel eine der zentralen Figuren bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Und vor ein paar Jahren, als die Friedensbewegung sich zum „Friedenswinter“ zusammenfand, mit Reichsbürgern und Verschwörungstheoretikern, war er die mahnende Stimme, die seine Genossen öffentlich zur Vernunft rief.
Monty Schädel aus Waren an der Müritz, streitbarer Friedensaktivist, Gewerkschafter und Politiker – und bald nun vielleicht arbeitslos?
Wie die taz nun erfahren hat, wurde Schädel Ende Juni die Kündigung ausgesprochen. Das Pikante: Wenige Monate zuvor hatte Schädel einen Herzinfarkt erlitten, zum Zeitpunkt der Kündigung war er krankgeschrieben.
Und so ist bei seinem Verband nun ein Zoff entbrannt, der alles hat, um die ohnehin streitfreudige Friedensbewegung erneut zu beleben: Es geht um den Frieden in den eigenen Reihen, um die Zukunft der Verbandsarbeit und, ganz banal, um arbeitsrechtliche Fragen. Und es geht um die Frage, wie Friedensaktivisten mit ihrem langjährigen Wegbegleiter und Aushängeschild umgehen – dem sie vieles zu verdanken haben; und der seit Langem krank ist.
Herz-OP und Gerichtsverhandlung
Denn mit Monty Schädel wurde einem gekündigt, der seit 26 Jahren Mitglied, seit 15 Jahren ehrenamtlicher Bundessprecher und seit 10 Jahren Politischer Geschäftsführer einer der wichtigsten deutschen Friedensverbände ist, der DFG-VK. Das steht für: „Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“. Der Verband ist einer der Veranstalter der jährlichen Ostermärsche.
Was Schädel wütend macht: Das Kündigungsschreiben erreichte ihn Ende Juni, als er nach schwerem Herzinfarkt noch krankgeschrieben war – und es führte dazu, dass er am 9. August 2017 gleich zwei Termine hatte: In der Klinik sollte er an diesem Tag am Herzen operiert werden und vor dem Gericht stand am gleichen Tag die mündliche Verhandlung über sein Anstellungsverhältnis an. Es ging um seine Kündigungsschutzklage. Sind das gute Bedingungen, um wieder gesund zu werden?
Schädel macht seinen einstigen Wegbegleitern schwere Vorwürfe: Sie würden seine Genesung torpedieren. Sie würden ihm in seinen schwersten Stunden in den Rücken fallen.
Dabei geht es dem Vorstand der Friedensbewegten vermeintlich nur um Formales. Denn obwohl Schädel vom Bundeskongress, der per demokratischer Wahl den Politischen Geschäftsführer bestimmt, immer nur für die Amtszeit von jeweils zwei Jahren gewählt wird, hat er einen unbefristeten Arbeitsvertrag.
Kündigung, warum jetzt?
Das bedeutet: Wenn im November die nächsten Wahlen anstehen und Schädel nicht wiedergewählt wird, müsste der Verband ihn noch länger bezahlen – um dann noch die Kündigungsfrist und eine Übergangszeit einzuhalten. Geht es nach dem Verband, so ging es bei der Kündigung nur darum, das formale Anstellungsverhältnis an die reale Amtszeit zu koppeln.
Allerdings: Für jemanden, der wie Schädel seit zehn Jahren in gleicher Position tätig ist, würde das eine Kettenbefristung bedeuten. Und das war in all den Jahren nie ein Thema. Denn schon seit 2007, als Schädel erstmals in die Position gewählt wurde, ist dessen Vertrag unbefristet. Warum also sollte wohl ausgerechnet jetzt sein seit zehn Jahren unbefristeter Vertrag gekündigt werden?
Nun, das könnte damit begründet sein, dass Schädel bereits seit 2015 für den kleinen Verband fast durchgehend nicht zur Verfügung stand – wegen Krankheit. Kosten tut das den Verband nichts: Das Krankengeld zahlt die Krankenkasse, eine Vertretung ist eingearbeitet. Für den Vorstand, der an die Beschlüsse des Bundeskongresses gebunden ist, war aber auch klar: Falls Schädel auf dem anstehenden Bundeskongress im November nicht wiedergewählt werden würde, müssten sie ihm ohnehin kündigen.
Warum dies dann nicht abwarten? Denn während Schädel für seine Vorstandskollegen offenbar eine Belastung ist, ist er für viele Verbandsmitglieder eine feste Größe. Bei der letzten Wahl des Verbands, 2015, wurde er zum Politischen Geschäftsführer wiedergewählt, trotz eines Gegenkandidaten und obwohl er auch da bereits krank und nicht anwesend war. Und so steht nun die Frage im Raum, wie viel soziale Verantwortung sich ein kleiner Friedensverband leisten will, wenn es um praktische Solidarität geht – und um Arbeitnehmerrechte.
Alles nur eine Formalie?
Der Vorstand der DFG-VK will den Fall – so weit verständlich – aufgrund der laufenden arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung auf Anfrage nicht kommentieren. Von dort heißt es lediglich: „Wir waren und sind um eine einvernehmliche Lösung mit Monty Schädel bemüht.“
Schädel dagegen sagt: „Da sind einige dabei, die wollen gern mit dem IS über Frieden verhandeln, aber interessieren sich nicht für meinen Gesundheitszustand.“ Im Vorstand dagegen ist man offenbar enttäuscht, dass Schädel – vor der Kündigung, während seiner Krankheit – nicht für ein persönliches Gespräch zur Verfügung stehen wollte.
Und so ist die Situation, zum Schaden aller, wohl nur noch vor Gericht zu klären. Denn auch Schädel, der als Politischer Geschäftsführer nicht nur Angestellter der DFG-VK ist, sondern auch einer von acht ehrenamtlichen Bundessprechern, hat sich auf eine formalistische Position zurückgezogen: Wieso, sagt er, sollte er während seiner schweren Krankheit über eine Verschlechterung seiner Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmerrechte diskutieren?
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autoritäre Auswüchse beim BSW
Lenin lässt grüßen
Prozess zum Messerangriff in England
Schauriger Triumph für Rechte
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Rückgabe von Kulturgütern
Nofretete will zurück nach Hause
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument