Weltweit In der Kathedrale von Mariana erklingt eine norddeutsche Barockorgel – die Frage ist nur, von wem sie stammt: Bis nach Brasilien
Das imaginäre Arp Schnitger-Netzwerk hat einen exzentrischen Knotenpunkt: In Südamerika, in Brasilien, steht eine Orgel, die norddeutsche Charakteristika aufweist. Sie wurde dort, aus Lissabon kommend, Mitte des 18. Jahrhunderts eingebaut – in der hochbarocken Kathedrale Mariä-Himmelfahrt zu Mariana. Stammt sie von Schnitger?
Fest steht: Die Überfahrt nach Brasilien war ihre Rettung. 1752, dreieinhalb Jahre vor dem Erdbeben in Lissabon, wird die Orgel dort für 1.200.006 Réis einem Treuhänder von Manuel Ferreira Freire da Cruz, dem ersten Bischof von Mariana, verkauft. Die Quittung, die im Arquivo Histórico Ultramarino liegt, ist datiert auf Montag, 26. Juni 1752. In welcher Kirche Lissabons das Instrument zuvor stand, weiß keiner. In seine Einzelteile zerlegt, in Kisten verpackt, sticht es zusammen mit einer Turmuhr in See. In Rio soll das Schiff am 16. Oktober angekommen sein.
Von dort wird die teure Last im Laufe von 37 Tagen 400 Kilometer landeinwärts bis nach Mariana geschafft, wo die Frachtkosten fällig sind: 1.995.196 Réis, fast zwei Millionen – mehr als das Instrument selbst gekostet hat. Und doch: Das ist keine Fehlinvestition. Dass die Orgel, die vermutlich am 15. August 1753 eingeweiht wird, „nach wie vor fast alltäglich in einer sonst orgellosen Region zum Erklingen kommt“, nennt auch Musikwissenschaftler Gerhard Doderer von der Universidade Nova Lissabon „bemerkenswert“.
Seit der Restaurierung in den 1970er-Jahren wird die Orgel Schnitger zugeschrieben. Denn er hat ja für Portugal Instrumente gebaut: „Zwei neue Orgeln gemacht“, hatte Schnitger anno 1701 notiert. „Diese beiden Werke wurden nach Portugal geliefert.“ Und die Orgel von Mariana hat eine Schwester-Orgel in Faró, Portugal. Eins plus eins macht zwei. Bloß fehlt in der Orgel selbst jeder Hinweis auf den stolzen Meister. Kein Wappen, kein Zeichen. Und dann ist da noch Johannes Heinrich Hullenkampf. Der Hamburger war einer der über 50 Schüler Schnitgers – und er war, Jahre nach den Orgeln seines Meisters, nach Portugal ausgewandert.
Als Joâo Henriques Hulemcampo machte er dort Karriere: Überliefert sind Aufträge für die Orgeln sowohl des Franzikaner- als auch des Karmeliterklosters von Lissabon, die das Erdbeben vernichtet hat. Und eben auch die für die Kathedrale von Faró, 1715, die eindeutig denselben Urheber hat, wie die von Mariana. bes
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