Prominenz in Osnabrück: Besuch von Dalí, Lindenberg und Björk
Kunst braucht Demokratisierung: Die italienische Street-Art-Künstlerin Roxy in the box konfrontiert das Osnabrücker Rosenplatzviertel mit fremden Welten
Street-Art-Künstlerin Rosaria Bosso aus Neapel, alias Roxy in the box, rollt ihre Luftkammerfolie ein, verstaut Klebeband und Stift. Ihr nächstes Ziel ist die stahlgraue Fassade der städtischen Musik- und Kunstschule am Johannistorwall, nur ein paar Gehminuten von hier. Da kommt das Performance-Duo Eva & Adele hin. Genauso lebensgroß wie Björk, allerdings mit viel Pink.
Pop-Art als prozesshafte Quartierserkundung, als Kommunikationsangebot an die Bewohner. Bild ausrollen, Leim drauf, fertig. „Und? Passt so? Oder weiter nach links?“, fragt Roxy. Punkig wirkt sie, guerillahaft. Aber das ist keine Attitüde.
Neben jedem Cut-out klebt ein QR-Code. Wer will, kann vor Björk oder vor Eva & Adele oder vor all den anderen – von Frida Kahlo bis Yoko Ono, von Joseph Beuys bis Marina Abramović – ein Selfie machen, ein Video drehen, einen Kommentar einsprechen – und hochladen, zur Kunsthalle Osnabrück, auf deren Einladung hin Roxys „Interventionen“ entstehen. Gleichzeitig öffnet der Code Wissenswertes zu den Ikonen der Kunstwelt, die hier in unseren Alltag einsickern.
Einen Monat lang ist Roxy in the box im Osnabrücker Rosenplatzviertel unterwegs, bis Ende August. Fünfzehn Stationen sind geplant, der öffentliche Raum als temporäre Ausstellungsfläche. In den urtümlichen, sozial nicht unproblematischen, eher kulturfernen Quartieri Spagnoli in Neapel, in denen sie lebt, hat sie es genauso gemacht: Bild ausrollen, Leim drauf, Häuserwand, fertig. Das senkt Hemmschwellen, baut Berührungsängste ab.
Julia Draganović, Leiterin der Kunsthalle Osnabrück, war früher lange als Kuratorin in Neapel, daher der Kontakt zu Roxy in the box: „Roxy nimmt der zeitgenössischen Kunst das Stigma, dass man Experte sein muss, um sich ihr zu nähern.“ Die Künstlerin meint dazu: „Auf die Menschen zugehen, nicht zurückscheuen vor neuen Erfahrungen, das ist doch das Wichtigste, für alle von uns. So viele Kulturen durchmischen sich heute, überall – darin steckt eine ungeheure Chance.“ Pause. Nachdenklicher Zug an der Zigarette. „Viele von uns begnügen sich mit einer sehr kleinen Welt. Aber man kann da raus.“
Raus aus der Eingefahrenheit. Wie gut das tut, hat Roxy in the box sich bewiesen, als sie 18 war. „Da habe ich meinen Namen geändert: Nennt mich ab jetzt Roxy!“ Und die Box? „Das kam durch einen Job bei einer Telefongesellschaft, da saß jeder von uns in so einer kleinen Bürobox“, sagt sie. „Und da hieß es dann immer: Wo ist Roxy? Antwort: In der Box!“ Natürlich gibt es auch noch eine übertragene Bedeutung – wie für alles bei Roxy: „Kein eingeengtes Denken zulassen. Entdecken, was außerhalb deiner Grenzen liegt.“
Roxy in the box – unter diesem Namen hat sie Videos gedreht, fotografiert, performt, Installationen gebaut. Hat gemalt – oft schrill, extrem bunt, comicartig. Hat zu Themen wie Spiritualität oder Gewalt gegen Frauen gearbeitet. Hat 2013 für das Projekt „Save the icon“ fünf Monate lang wie Elvis gelebt. 2016 hat sie – als Dolce & Gabbana ein Juliwochenende lang Neapel für ihre 30-Jahres-Feier zu einem Laufsteg des Luxus und Glamours machten – als Kontrast Bilder von Celebrities an die Häuser gemalt, die Alltägliches tun: Isabella Rossellini mit einem Brotkorb, Naomi Campbell beim Saubermachen.
Und nun eben ihre Cut-outs von Kunst-Ikonen. An Orten, an denen niemand Kunst erwartet. Ihr Credo: „Retten wir die Ikone, bewahren wir die historische Bedeutung hinter ihr, retten wir unsere Geschichte und dadurch vielleicht unseren Planeten, auf dem uns alles immer schneller entgleitet.“
An der Iburger Straße, neben dem Eingang zum Osna Grill, ist Graffiti-Künstler Jean-Michel Basquiat zu sehen. Auch er eine solche Ikone. Karola Siol hat im Osna Grill gerade zwei Currywürste serviert. Jetzt wendet sie Frikadellen: „Ist eigentlich nicht so meine Welt, Kunst und all das. Aber ist schon mal interessant. Die Leute bleiben stehen, fotografieren. Einige kommen auch rein und fragen.“
Auf einer mit Graffiti besprayten Häuserwand, ein bisschen die Straße runter, kleben Udo Lindenberg und Albrecht Dürer. Kuratorin Draganović erklärt: „Lindenberg haben die Leute natürlich erkannt. Aber bei Dürer wurde es lustig. Das reichte dann von Jesus und Sophia Loren bis Conchita Wurst.“
Aber das macht nichts. Genau dieser niedrigschwellige Austausch ist Sinn der Sache. In den Quartieri Spagnoli lief das ähnlich. „Ich habe dann oft die Lebensgeschichte der Dargestellten erzählt und die Passanten erzählten mir im Gegenzug ihre eigene“, sagt Roxy.
Das Rosenplatzviertel bildet zu den Quartieri Spagnoli eine Parallele. Beides sind Problemzonen. Zwar wurde der Rosenplatz bis 2016 aus Mitteln von Stadt, Land, Bund und EU saniert, 15 Jahre lang, im Rahmen des Förderprogramms „Soziale Stadt“. Aber nach wie vor machen Gutverdienende und Akademiker einen Bogen um das Viertel, hingegen ballen sich Alleinerziehende, Arbeitslose, Alte, Migranten. Rosenplatz? Trotz des Namens duftet es hier höchstens nach Abgasen. Und dass der Beton der Straße in einem Rotton gefärbt ist, hilft auch nicht viel. Wer hier wohnt, sieht in der Regel nie ein Museum von innen. „Mein Ziel“, sagt Roxy, „ist eine Demokratisierung der Kunst.“ Das ist ihr Anspruch, seit sie vor 20 Jahren zu malen begann.
Osnabrück, nach Neapel die zweite Station ihrer Cut-outs, ist also eine Art Laborversuch für die Künstlerin. Unter dem Titel „in & out“ ist Roxy in the box Teil des Vermittlungsprogramms „Die Rakete“ der Kunsthalle Osnabrück. Und ihre Mission hat mehrere „Zündstufen“. Nummer 1: „in goes out“ – Roxys Interaktions-Aktionen im Viertel, auch mit Schülern, auch auf dem Rosenplatzfest Mitte August. Nummer 2: „out comes in“ – am 26. August, zur 17. Osnabrücker Kulturnacht, sind alle Selfies, Videos und Kommentare der Bewohner als Sample in der Kunsthalle zu sehen. Nummer 3: „will be continued“ – die Ausstellung fordert auf, das Rosenplatzquartier neu zu entdecken.
Heute ist Roxy ganz in Schwarz: Schuhe (na gut, weiße Sohlen und Schnürsenkel), Leggins, Kleid, Jacke, Tasche, Kopftuch (na gut, mit weißen Totenköpfen). Aber das ist kein Schwarz wie es Johnny Cash trug: „Till things are brighter, I’m the man in black.“ Roxy lächelt. Hintergründig, fragend. Das tut sie gern. „Ich mag Farben. Meine Farben bekleiden mein Schwarz.“
Spontaneität teilt sich mit und Reflexion, Sensibilität und Toughness. „Ich sehe vieles kritisch, das stimmt. Auch hier im Rosenplatzviertel. Es wirkt sehr kalt auf mich. Fast keine Orte, an denen Menschen sich aufhalten können, einfach draußen sein, miteinander reden. Aber ich kritisiere nicht. Ich beobachte, mache aufmerksam.“ Das Ristorante und Eiscafé Da Paolo, direkt am Platz, auf dem nur wenig rosig ist, ist die einzige Ausnahme. Cappuccino kommt, Wasser, Eis. „Ein bisschen wie zu Hause“, sagt Roxy.
An der Hausecke der Asna-Apotheke, nur einen kleinen Block weit entfernt, beobachtet Salvador Dalí den vorbeidröhnenden Verkehr. Apotheker Karl-Bernd Frerker sagt: „Das Konzept hat mich sofort überzeugt. Toll fürs Viertel. Öffnet die Augen, bringt Menschen in Kommunikation. Spannend. Und eine witzige Künstlerin.“ Seine eigenen Schaufenster, fraglos die lustigsten der Stadt, sind fast Kunst. Im Moment sind hier Bierkisten gestapelt, viele Dutzend, von Veltins bis Becks: „Gesundheit ist unser Bier!!!“
Und was, wenn Leute die Promis mitnehmen? Sprayer was drübertaggen? Dauerregen das Papier aufweicht? Roxy ist entspannt: „Macht nichts. Ist eben Street-Art.“ Und dann erzählt sie von diesem türkischen Supermarkt nicht weit von hier, an den Andy Warhol kommt und dass bald die ersten „in & out“-T-Shirts aus der Druckerei kommen. Und wie vielsagend es ist, wenn Passanten sich in Pose stellen – zu Promis, die sich in Pose gestellt haben. Sie selbst posiert übrigens auch – vor ihren Arbeiten.
Und nach Ende August? Eva & Adele bleiben, eine Plexiglasscheibe kommt darüber. Und bei Dalí, Lindenberg, Björk und den anderen dürfen die Hausbesitzer über den Fortbestand entscheiden.
Ausstellung im Rosenplatzquartier in Osnabrück: bis 26.8.; in der Kunsthalle Osnabrück: 26.8.-22.10., Hasenplatz 1.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!